Der Tod und das dunkle Meer (Stuart Turton)

Mein Großvater rauchte Pfeife und als Kind folgte ich oft dem Duft seines Tabaks wenn ich nach ihm suchte. Batavia stand auf der Packung mit der mein Papa seine Zigarettn stopfte und ich hatte ja kein Ahnung. Keine Ahnung, das Batavia der Name einer Stadt war. Heute heißt sie Jakarta und sie liegt noch immer an der Nordküste der Insel Java, an einer geschützten Bucht, wird von Kanälen und Flüssen durchzogen. Vielleicht wurde sie deshalb, weil sie die Niederländer an ihr Amsterdam erinnerte, das Asien-Hauptquatier ihrer Ostindien-Kompanie, der seinerzeit wohlhabendsten Handelsgesellschaft und bis zur Unabhängigkeit Indonesiens war Batavia auch die Hauptstadt Niederländisch-Indiens.

Genau hier startet diese Geschichte, das Handelsschiff Saardam will auslaufen, acht Monate soll die Reise dauern. Eine Reise voller Gefahren, auf einem Meer welches noch eingerahmt ist von unvollständig kartographierten Küsten. Krankheiten, Stürme und Piraten sind zu erwarten, denn für jede Muskatblüte, jedes Gramm Gewürz, das seinen Weg nach Amsterdam findet, bezahlte nicht selten ein Teil der Crew oder der Passagiere mit ihrem Leben. Wenn sich ihnen nicht gar ein Riff in den Weg warf und das Schiff versenkte …

Der Tod und das dunkle Meer von Stuart Turton

1634 im Hafen von Batavia.

Ein Gefangener wird an Bord gebracht. Er ist unterwegs zu seiner Hinrichtung in den Niederlanden. Unter einem Hagel von Steinen die Umstehende werfen. Sie kann man hier sackweise kaufen um seinen Unmut kundtun und man trifft. Nicht selten und jeder Wurf wird begleitet von Beschimpfungen und Verwünschungen. Eine letzte stößt plötzlich ein Aussätziger aus, von der Lepra gezeichnet, steigt er auf ein Faß, einem Fluch gleich prophezeit er dem Schiff welches der Verurteilte besteigt, dass es seinen Hafen in Amsterdam niemals erreichen werde, bevor er selbst schreiend von Flammen, die an seinem Gewand zu lodern beginnen, verschlungen wird …

Die ihm zu Hilfe Eilenden kommen zu spät, man kann den Mann nur noch erlösen und tut es, mit einem gezielten Stich ins Herz. Was man hernach feststellt ist, dass man dem Leprakranken wohl schon eine ganze Weile zuvor die Zunge herausgeschnitten hatte. Wie war es also möglich, dass er eben noch so klar hatte rufen können? Sie hatten es doch alle gehört?! Einen verkrüppelten Fuß hatte er zudem? Wie war er damit auf das Faß gekommen?

Abenteuer voraus! Wer mich kennt, der weiß, ich halte immer gerne Ausschau nach Geschichten aus vergangenen Tagen und nach guten Abenteuer-Romanen. Beides haben kann man hier und zwar auf das Vortrefflichste! Einen Kriminalfall gibt es obenauf als Zugabe, wen würde es nach seinem Vorgänger-Roman auch wundern, denn …

Stuart Turton, geboren 1980 in Widnes, Reisejournalist und Bestsellerautor weiß wie es geht drehbuchreife Geschichten zu schreiben und damit zu fesseln. In seinem Roman “Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle” inszenierte er ein Verwirrspiel par excellence, einen Kriminaltango aus zahlreichen Perspektiven erzählt, diesmal entführt er uns an einen exotischen Schauplatz und anschließend auf hohe See. Hier sind wir wie alle, wie seine Figuren, ausschließlich in Gottes Hand und das meine ich ganz wortwörtlich, denn den Passagieren dieses Schiffs steht eine Heimsuchung der besonderen Art bevor …

Stuart Turton wurde von einem tragischen Unglück zu seinem aktuellen Roman inspiriert. Im Jahr 1629 verlor die Batavia, ein Handelsschiff der niederländischen Ostindien-Kompanie, den Anschluß an seine beiden mit ihm im Konvoi fahrenden Schiffe und lief vor Australien wegens eines Navigationsfehlers seines Kapitäns auf ein Riff. Zwanzig Menschen starben bei der Havarie, der Rest konnte sich retten um sich im Anschluß durch Meuterei und Massaker zu dezimieren.

Aber jetzt erst einmal Leinen los, die Anker, es sind drei, der Saardam werden gelichtet, es knarrt in den Wanken, das Großsegel wird gehisst und allen verschlägt es den Atem. Ein Auge mit einem Teufelsschwanz prangt in seiner Mitte …

Sechs Schiffe folgen der Saardam mit gebauschten Segeln, man reist im Konvoi, was sicherer ist, denn viele Monate wird man bis Amsterdam unterwegs sein und in diesen Gewässern wimmelt es von Piraten.

Die erste Nacht. Ein achtes Positionslicht in der Dunkelheit, das kommt und geht. Angst, die kommt um zu bleiben …

Auf schwankenden Planken und unter knatternden Flaggen sind wir hart am Wind unterwegs. Der Bauch dieses Schiffes wirkt auf mich wie ein Ungetüm, sein Balkengerüst wie ein Skelett und überall unter Deck tropft es.

Stimmen in der Dunkelheit. Ein Flüstern verführt und lässt Dinge geschehen, die sich jeglicher Beeinflussung entziehen. 

Abgründe, Irrwege und Rätsel. Zufall oder doch Kalkül? Fluch, Drohung oder Warnung? Arroganz und Selbstüberschätzung versus Barmherzigkeit. 

An Bord der Saardam hat man die Furcht im Nacken und den Unglauben im Gesicht. Das alles muss ein Ende finden und das tut es auch …

Ein Sturm zieht auf, Schiff und Mannschaft stemmen sich mit Planken und Muskeln dagegen. Unbarmherzig werden sie zum Spielball von Wellen und Wind.

Diese Szenen haben es in sich. Naturgewalten treffen auf Mut und den Kampfgeist der Verzweiflung. Turton beschreibt was jetzt geschieht zum Nägelkauen spannend, und es ist längst zu spät, – man kann sich dem Sog der Geschichte nicht mehr entziehen.

Es geht nicht mit rechten Dingen zu, es wird schauerlich, unheimlich und nicht nur einer scheint mir hier ein Geheimnis zu hüten, dass er nicht preisgeben will.

Den Offizieren an Bord kann man offenbar allen nicht über den Weg trauen, sie haben zu rasch einen Dolch zur Hand und lösen Probleme am liebsten mit seiner Hilfe. 

Es hat reichlich Romanpersonal in dieser Geschichte und auch reichlich Verdächtige. Als da wären Samuel Pipps, Ermittler Detektiv, Gefangener und Todgeweihter, zierlich und von kleiner Statur. Arent Hayes, ehemaliger Söldner, jetzt Leibwächter und Assistent von Sammy Pipps, ein Mann groß und breit wie ein Scheunentor, die beiden Hauptfiguren bilden ein ungleiches Paar à la Sherlock und Watson, ihre Wortwechsel zeigen mir wie vertraut sie einander sind. Sie erzeugen in mir ein Kopfkino, das einen Hollywood- Blockbuster in den Schatten stellt.

Ein Hauch von Schicksal, Seemannsgarn und Aberglauben. Nicht alles was geschieht kann der Verstand erfassen, denn es gibt sie, diese Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nur mit einem bestimmten Sinn begreift, mit einem 7. Sinn. Nicht, und was hat er nun eigentlich angestellt dieser Samuel Pipps, den sie in Ketten gelegt haben? Was hat das mit dem Aussätzigen im Hafen und seiner Prophezeihung auf sich? Können Lieutenant Hayes, der vieles mit den Fäusten klärt oder Sara Wessel, die Frau des Generalgouverneurs, die heillkundig zu sein scheint und vielleicht ist sie gar der Hexerei mächtig, Licht ins Dunkel bringen? Jeder verfolgt hier offenbar seine eigenen Pläne und das hält die Story unter Spannung. Das kann nicht gut gehen, denke ich noch und da reißt uns ein Strudel auch schon abwärts …

Wer diesen Roman in eine Schublade stecken will, dem wird das schwer gemacht, er ist phantastisch angehaucht, mystisch, rätselhaft, gewürzt mit einer Prise Exotik, ist Krimi und Historienspektakel, eine Wundertüte und ich mochte ihn sehr. Die Art wie Turton erzählt ist genau mein Ding, mit hoher Ereignisdichte, atmosphärisch und extremst bildhaft.

Seine Übersetzerin Dorothee Merkel transportiert seine Gedanken ganz wunderbar ins Deutsche. Sie findet Bilder und Entsprechungen in meiner Muttersprache, die mir große Freude bereitet haben. Der Meister des Plot-Twist ist zurück, kann man auf dem Buchrücken lesen und es stimmt. Eindimensional gestrickte Geschichten sind nicht Turtons Ding, er beherrscht die Multiperspektive, mit ihm betrachtet man Geschehnisse immer von den verschiedensten Seiten.

Ein kostbarer Schatz, der nicht aus Gold und Münzen besteht. Eine unverbrüchliche Freundschaft, dämonische Klauen.

Masken fallen und ich bin angemessen verblüfft obgleich dieser Auflösung. Sie ist Turton meisterlich gelungen und mit Agatha Christie würde er sich sicherlich ebenso gut verstehen wie es sein Text mit ihm tut …

Frank Stieren, geboren am 10. Februar 1966 in Oelde, deutscher Schauspieler war mir in der Hörbuch-Fassung von Turtons Vorgänger bereits ein kundiger Führer und ich habe nur allzu gerne wegen ihm erneut zum Hörbuch gegriffen. Ungekürzt genoß ich rund 18 Stunden lang jede einzelne Minute. Ein wenig Konzentration ist obgleich der reichlich mit Personen ausgestatteten Handlung bei Turton angeraten, drum ist es auch so vorteilhaft Stieren an Bord zu haben. Seine Tonlagen-Wechsel schrammen nie den Klamauk, sind aber farbig und lebendig und helfen den Überblick zu behalten. Er coloriert die Protagonisten stimmlich so passgenau, dass es eine helle Freude ist ihnen auf den Fersen zu bleiben und hier lohnt es wirklich. So manches Ass zieht Turton noch aus dem Ärmel bis die letzte Silbe Frank Stierens Lippen verlassen hat …

Wer noch einmal Lust bekommen hat auf Turtons Evelyn Hardcastle, zu meiner Besprechung geht es hier entlang, klickt auf das Cover:

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