Wer nicht hören will muss fühlen, hat meine Mutter immer gesagt, meist hatte ich dann etwas angestellt und und ihr rutschte die Hand aus. Aber wer hört, der kann eindeutig auch fühlen und wie. Diese Autorin ist mit ihrem Vortrag das allerbeste Beispiel dafür, das man mittels eines Hörbuches sehr gut mitfühlen, bestens nachempfinden kann, selbst die Zwischentöne, das was unausgesprochen bleibt. Darum höre ich, und Ihr, seid Ihr dabei?
Vati von Monika Helfer
Es musste Magie sein. Die kleinen und die großen Zeichen sahen einander gar nicht ähnlich, und doch schienen sie zusammen zugehören. Die Mutter schaute auf sie drauf und dann kamen sie von der Seite irgendwie in ihren Mund und sie sprach sie aus als Wörter, als Sätze, als Geschichte. Das wollte er auch können und so saß er jetzt hier im Wald, mit seinen fünf Jahren, auf der Erde, mit der Illustrierten die er heimlich weggenommen hatte und einem Stöckchen in der Hand. Seine Versuche die Zeichen aus dem Heft in den Sand zu schreiben scheiterten. Noch und weil die großen und die kleinen Zeichen, die eigentlich zueinander gehörten, denen sah man das gar nicht an. Er würde sich also der Mutter anvertrauen müssen, er wollte von ihr lernen wie das ging. Wie sie das machte, das aus den Zeichen erst Laute, dann ganze Geschichten wurden, so das auch er sie verstehen konnte. Er wollte es lernen, das Lesen und das Schreiben. Ganz unbedingt.
Monika Helfer, geboren 18. Oktober 1947 in Au, Vorarlberg, österreichische Schriftstellerin, verheiratet seit 1981 mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier. Helfer hat vier Kinder, ihre Tochter Paula verlor sie 2003 durch einen Autounfall, ihrem Andenken hat sie ihren 2010 erschienen Roman Bevor ich schlafen kann gewidmet. Ihr Vater war Verwalter in einem Erholungsheim für Kriegsversehrte, war Bibliothekar. In ihrem Roman Die Bagage erzählte sie uns die Geschichte ihrer Großmutter und die ihrer Mutter Grete, jetzt also geht es um ihren Vati. Der Josef hieß, über ihn will sie schreiben, über Wahres und über Erfundenes. Vielleicht auch. Was was ist, den Zweifel, lässt sie uns Lesern und Hörern.
Monika Helfer hat es wieder getan, wie schon bei der Bagage, liest sie ihren Text selbst ein 5 Stunden und 30 Minuten lang. Genau deshalb, habe ich mich erneut für die Hörbuchfassung ihres aktuellsten autobiografischen Romans entschieden. Leicht heiser ist ihre Stimme und sie bricht ihr, häufig und das macht sie so wunderbar nahbar. Es fühlt sich an, als erzähle sie mir persönlich und ganz allein ihre Geschichte, ihre Familiengeschichte. Das hat etwas so Privates, etwas Vertrauliches und ich mag es sehr.
Das besondere Verhältnis zum Buch, ist es das mich mit Helfers Vati verbindet. Er wollte besitzen was er gelesen hatte, liebte das gebundene Buch, hütete seine Schätze. Entschied, ob er jemanden Leiden mochte danach, wie er mit einem Buch umging. Wie großartig Helfer beschreibt, wie die Liebe ihres Vater mit fünf für das Lesen geweckt wird. Heulen könnt ich!
Ganze Bücher hat er als Schulbub dann abgeschrieben! Hat dafür Schulhefte aus den Ranzen seiner Mitschüler gestohlen. Da war er zehn. Wurde dafür verlacht, verstoßen, aber auch insgeheim bewundert. Gefördert schließlich vom Pfarrer, der ihm dabei half auf’s Gymnasium zu kommen.
Später dann, entließ ihn der Zweite Weltkrieg lebend, behielt aber ein halbes Bein von ihm und der Vati entschied sich, nach dem Heimkommen für die Grete von der Bagage. Weil die sich gekümmert hat. Um ihn. Was keiner verstand, wirkte er doch, versehrt hin oder her, wie einer aus der Stadt, als sei er mehr als sie, und dann entschied er sich ausgerechnet für eine von denen? Von der Bagage, die waren weniger als nichts. Hatten weniger als nix.
Nicht viel erzählt hat er von sich der Vati, schweigsam sei er gewesen, wie so viele Männer in dieser Zeit, als habe der Krieg ihnen auch die Worte genommen. Das meiste musste Helfer zusammentragen über ihn. Mit ihren eigenen Eindrücken verbunden, sich an Gespräche mit ihm erinnernd, entstand dieses Bild. Das Bild eines zarten, eines attraktiven Mannes, der das geschriebene Wort über alles liebte, und der darüber viel vergaß. Der heim- aber nie ankam. Der sie lehrte, das Glück erst vorkommt, wenn etwas verloren ist.
Seifengeruch, sauber und klar, das Rascheln eines gestärkten Nachthemds, kuscheln war ein Städterwort. Helfer erinnert sich, auch die an die Mutter, an eine Wiese, hoch oben am Berg, an einen Duft, der könnte man ihn in Flaschen abfüllen, im Internet heute ein Verkaufsschlager wäre.
Kostbare Bücher, in Leder gebunden, von Dante, Kant und Cervantes. Was machten sie hier, fernab der Stadt? Eine Bibliothek in den Bergen. Ausgerechnet in einem Erholungsheim? Ihr Vater war ihr Hüter, der der über sie wachte, der sie mehrte und ehrte. Mit soviel Platz. Was so ein Luxus war, eingedenk der Enge in der eigenen Küche. Der Armut, die dort immer zwischen ihnen saß.
Des Vaters Buchsucht belastet das Auskommen der Familie. Während Monikas Füße in alten Schuhen steckten, durch die das Wasser längst durchschlug, kratzte ihre Mutter das verbliebene Haushaltsgeld zusammen, das der Vati nicht für Bücher ausgegeben hatte. Wegen ihnen betrog er sogar. Sie und seinen Arbeitgeber. Aber im Herzen, da war er gut …
Eine Umgestaltung, ein Umbau, eine Bücher Rettungsaktion. Ein Schatz gehört vergraben. Das war schon immer so und bleibt auch so.
Dieb, Betrüger, Schimpf und Schande. Ein Rechnungsprüfer, eine Liste und ein Selbstmordversuch. Mit Gift.
Über den Tod ihrer Tochter schreibt Helfer, und auch darüber wie ihre Mutti klar kam mit dem was der Vater getan hatte, oder eben nicht. Über das Aushalten schreibt sie, und über das was nicht geht.
Darüber, das der Vati zärtliche Worte meist nicht fand, aber oft eine zärtliche Geste für seine Kinder hatte. Wie er sie, die Monika, ausgewählt hat, zur Kumpanin gemacht hatte, zur Mitwisserin. Wider Willen. Wie sie kämpfte damit, weil sie das Warum nicht kannte, es bis heute nicht kennt.
Darüber, wie gerne sie damals schon hatte ihren Namen auf einem Buchrücken lesen wollen.
Von Löchern in Wollstrümpfen, von scheinheiligem Wind und Schnee, von dem Gefühl, das in die Schulegehen weggenomme Zeit ist.
Vertrieben aus dem Paradies am Berg. Die Geschwister werden aufgeteilt.
Die Monika, die Gretel und die Renate, kommen zur Tante Kathe. Dort sind sie stumm, als hätte jemand sie ausgeschaltet nach dem Begräbnis der Mutti.
Den Tritt hat er verloren, der Vater, nachdem die Mutter gestorben war, so sagten sie, nur bei dem Onkel Sepp war er noch gern. Weil man mit ihm am besten schweigen konnte. Neben dem Sepp, sollte dem Vati eine Klosterzelle Halt geben und dann eine neue Frau. Die Tanten meinen die braucht es.
Barfuß in Sandalen, Traumberichte von Gustave Flaubert mitten in einem Fahrradrennen, so war der Vati, hatte immerzu ein Buch im Kopf. Eine Lebensbeichte wird fortgesetzt nach 33 Jahren.
Dialektisch und sprachlich ist Monika Helfer wieder ganz wunderbar authentisch unterwegs, wie auch schon in der Bagage. Nachdenklich, ehrlich und so ungeheuer nahbar.
Kindermund tut Wahrheit kund. So wirkt Helfers Geschichte auf mich. Mit offenen Augen und offenem Herzen erzählt sie uns von sich, von den Geschwistern, von Tanten, Onkeln, Mutti, Vati und der Stiefmutter. Vom Großen Ganzen und von vielen Kleinigkeiten. Von denen, die das Leben ausmachen, von denen die man aufsammelt im Laufe eines Lebens.
Alle haben sich bemüht, die ganze Bagage, verstanden haben sie einander wohl nie so ganz, glaube ich. Aber gern gehabt, das schon.
Ein ganz ein schönes Hörbuch ist das wieder geworden. Episodenhaft und voller Wechsel. Merci, Frau Helfer. Für das Teilen von Freude, Schmerz und Tränen.
“Ja, alles ist gut geworden. Auf eine bösartige Weise ist alles gut geworden.“
Zitat Monika Helfer Vati
Mein Dank geht an Der Hörverlag für dieses Besprechungsexemplar.
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