Treue (Hernan Diaz)

Money makes the word go around

The world go around
The world go around
Money makes the world go around
It makes the world go 'round.

A mark, a yen, a buck or a pound
A buck or a yen
A buck or a pound.
Is all that makes the world go around
That clinking, clanking sound
Can make the world go 'round

Dieser Songtext von Joel Grey aus dem Musical Cabaret war der erste Gedanke der mir in den Kopf kam als ich den Klappentext des neuen Romans von Hernan Diaz las, sofort begann ich zu summen. Als nächstes entdeckte ich, das sich HBO bereits die Filmrechte gesichert hat und das keine geringere als Kate Winslet eine der Hauptrollen übernehmen soll und Fans in aller Welt sind mindestens genauso gespannt darauf, ob Diaz in diesem Jahr mit seinem Roman Treue, im Original Trust, den Booker Prize gewinnen wird. Auf die Longlist hat er es schon mal geschafft und darum geht es:

Treue von Hernan Diaz aus dem Englischen von Hannes Meyer

Der Sohn des einstigen Zigarrenbarons Rask hängte selbst die ausgebufftesten Händler von J.P. Morgan ab. Machte sich Liquiditätsengpässe zunutze, kaufte Anteile zu Schnäppchenpreisen, liebte Leerverkäufe und rieb sich die Hände bei steigenden Kursen, wurde reicher und immer reicher während andere in den Ruin stürzten. Schwarze Tage an der Börse waren für ihn Feiertage.

Cut und Action. Diese junge Dame macht mir Spaß im Gegensatz zu Mister Rask junior, der mir in seiner Nüchternheit doch recht unsympathisch ist. Wissbegierig und literaturinteressiert ist sie, klug, hat früh gelernt sich still zu verhalten, denn sie ist eben eine Frau, in einer von Männern dominierten Welt und Zeit.
Eine sittsame Unterwürfigkeit machte sie zu ihrem Markenzeichen, im Grunde aber war sie der Ausdruck ihrer inneren Freiheit und schon bei ihrer ersten Begegnung, erkannte sie in Benjamin Rask eine Einsamkeit, die es ihr ermöglichten würde zu tun was SIE wollte. Endlich konnte sie der bedrängenden Aufsicht der Eltern entkommen. Deshalb heiratete sie ihn, nicht er sie. Das alles anders kommen sollte, wer hätte das kommen sehen, hier inmitten der Schweizer Berge:

Zu dieser unbelebten Stunde waren die Gebäude nicht mehr Produkte von Handwerk und Fleiß, sondern offenbarten die in ihnen fossilisierte Natur und traten in ihrer mineralischen Form hervor. Die Brise löste sich in stillere Luft auf. Die Wipfel, so grün dass sie schwarz waren vor dem blau, wiegten sich nicht mehr und einen Augenblick lang war alles Rinnen fern und alles ruhte, denn die Zeit schien an ihrem Ziel angekommen.

Textzitat Hernan Diaz Treue

Diese schönen Sätze finde ich in der Ruhe vor dem Sturm, das was folgt, die Behandlung die Benjamin Rask seiner Frau Helen in einem Schweizer Sanatorium angedeihen lässt, ist dann an Grausamkeit nicht zu überbieten, gipfelt in Katatonie und ist wahrscheinlich aber ein Spiegel dessen, was man in jener Zeit in der Psychiatrie für wirksam hielt, wie man Patienten erniedrigte, sie zu Versuchskaninchen machte. Einen gebrochenen Geist billigend in Kauf nehmend.

Hernan Diaz, geboren 1973 in Argentinien, aufgewachsen in Schweden, hat in Buenos Aires und London studiert und lebt heute in New York. Mit seinem Roman In der Ferne, seinem Debüt, wurde er 2018 aus dem Stand für den Pulitzer Prize und den PEN/Faulkner Award nominiert. Seither feiert ihn nicht nur die amerikanische Presse.

Gleich vier Sprecher:innen hat der Argon Verlag ums Mikrofon für die ungekürzte Hörbuchfassung versammelt, als da wären in der Reihenfolge ihres Auftretens: Stephan Schad, Johann von Bülow, Sabine Arnhold und Valery Tscheplanowa. Allesamt renomierte Schauspieler:innen und auch im Hörbuch keine Unbekannten. Rund zwölf Stunden gestalten sie die vier Romanteile mit. Konsequent unterstreichen sie so nicht nur die Romanstruktur, denn Diaz Geschichte besteht aus vier auf den ersten Blick voneinander unabhängigen Teilen, sie geben auch jedem dieser Teile ihre persönliche Note als Vorleser:in mit und prägen ihn.

Stephan Schad beginnt mit Teil eins, der mit Verpflichtungen überschrieben ist und verliest den Roman eines Autors namens Harold Vanner über einen Benjamin Rask und seine Frau Helen. Dieser ist opulent ausgeschmückt, blumig und weitschweifig, zeichnet ein buntes Bild der New Yorker Society und Finanzwelt, versammelt Kunstbegeisterte und Mäzene.
Im Anschluß an Schad übernimmt von Bülow und stellt sich als ein gewisser Andrew Bevel vor, der unter der Überschrift Mein Leben den Teil zwei des Romans ausfüllt. Ein harter inhaltlicher Bruch ist das und auch die Sprache wechselt, wirkt mal geschäftsmäßig, nüchtern, dann wieder geschwätzig, eitel und wichtigtuerisch. Bevel, der 1876 geborene Financier, der wie ein Snob daherkommt, ohne Unterlass seine historischen Verdienste um die amerikanische Wirtschaft betonend, der meint Großzügigkeit sei die Mutter des Undanks, lässt mich durch die Zähne pfeifen. Oha, in diesem Ton ist dann auch seine Lebensbeichte gehalten, als selbsternannter Biograph ergeht er sich teils in bloßen Aufzählungen. Fördert dabei etliche Fakten des amerikanischen Wirtschaftswachstum zutage (erstaunlich!). Was da plötzlich möglich war als das Land seinerzeit mit Elektrizitär geflutet wurde. Er trauert um seine Ehefrau Mildred, das Licht seines Lebens. Von Bülow gibt alles während ich mich frage was dieser Teil denn jetzt bitte mit dem vorhergehenden zu tun hat, haben wird, mal abgesehen von Epoche und Finanzmarktgeschehen, da betritt auch schon eine neue Figur die Erzählbühne:

Die Journalistin Ida Partenza, die mittlerweile 70 Lenze zählt und dem Ehepaar Bevel über deren Tod hinaus beinahe schicksalseregeben verbunden ist. Ihre Erinnerten Memoiren, so der Titel von Romanteil drei, werden vorgelesen von Sabine Arnhold. Das sind sowohl Erinnerungen an einen beständig Marx zitierenten Vater mit italienischen Wurzeln, der die am Kapitalmarkt Agierenden verachtete und dann sucht und findet  ausgerechnet seine Tochter einen Job als Sekretärin bei einem der bedeutendsten Finanzmagnaten. Bei Andrew Bevel um genau zu sein. Um dessen Erinnerungen an seine Frau Mildred geht es dann auch und Idas lebendig erzählte Passagen lassen mich aufhorchen. 

“Je näher man der Macht kommt desto leiser wird es. Autorität und Geld umgeben sich mit Stille und den Einfluss einer Person kann man darin bemessen wie stark die Schicht des Schweigens ist die sie umhüllt.”

Textzitat Hernan Diaz Treue

Mir geht mit Ida ein Licht auf, während sie von einer einfachen Schreibkraft zur Biografin Bevels aufsteigt. Die Verbindung zwischen den einzelnen Buchteilen wird klar. Davon, kein Wort von mir. Dieser Moment gehört allein Euch, wenn ihr Euch für die Geschichte entscheidet.

Zum großen Finale von mir aber soviel. Diaz’ Erzählkonstrukt, rund um den Tanz ums goldene Kalb ist der Clou, wie er die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion, zwischen idealisierten Erinnerungsbildern und tatsächlicher Wahrnehmung verschwimmen lässt ist genial, aber es bedarf eines langen Atems bis man entdeckt wie geschickt man als Leser:in von ihm auf positive Art an der Nase herumgeführt worden ist. Ich wünsche dem Roman und Hörbuch das ihn möglichst viele haben werden und dranbleiben. Die vier perfekt von Argon gecasteten Sprecher verkürzten mir im Hörbuch die Wartezeit bis es Klick machte und für mich gilt hier auch: save the best for last:

Morphiumnebel, Musik und Schmerzenstränen. Heilende Hände und Stille.

Neben der sprachlichen Hochbrillianz von Diaz und seinem Übersetzer Hannes Meyer die für mich vielleicht ein Mü zuviel um Perfektion bemüht ist, zwischen den geschliffenen Sätzen gingen mir beinah die Figuren verloren, überzeugte mich der letzte Teil, der aus Tagebucheinträgen besteht, restlos. Hier war ich an Deck vom ersten bis zum letzten Satz, auch weil diese Passagen von Valery Tscheplanowa ganz hervorragend ausgestaltet sind. Für mich hat sie ihre drei Kolleg:innen damit glatt an die Wand gelesen! Wie dahingehaucht wirken die teils bruchstückhaften Notizen loser Gedanken, geisterhaft transparent erscheint mir durch Tscheplanowas Stimme Mildred Bevel. Eine Frau, die vieles war, aber nicht das, was man uns bis hierher hat glauben machen wollen. Ich durfte den perfekten Gänsehautmoment erleben, als Tscheplanowa ihre Stimme für den ersten Satz erhob! Bis zum Ende ihres Vortrags, sollten sich meine aufgestellten Härchen nicht mehr legen! Und den letzten Satz überlasse ich ihr: Mildred Bevel:

Mein Dank geht an den Argon Verlag für das Besprechungsexemplar.

“Stille zwischen zwei ist immer geteilt, doch einem gehört sie und er teilt sie mit dem anderen.”

Textzitat Hernan Diaz Treue
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