Sweetest Fruits (Monique Truong)

Kaum jemand, der sie nicht kennt, die Abenteuer aus der Feder von Jules Vernes, denen sich Phileas Fogg und sein Diener Passepartout fiktiv gestellt haben, in seinem “In achtzig Tagen um die Welt” … Eine Wette und ein Wettlauf gegen die Zeit, einer den zwei Journalistinnen im Jahr 1889/90 real zu übertrumpfen suchten. Als da wären, Nellie Bly, die für die New York World schrieb und ihre Konkurrentin Elisabeth Bisland, die für den Cosmopolitan an den Start ging, und von der Bly bis kurz vor dem Ziel nichts wusste. Bisland blieb trotz dieses “Geheimvorteils” der Sieg verwehrt, aber dennoch schrieb sie sich mit diesem Rennen in die Geschichtsbücher ein. Auch in dem Roman, den ich heute vorstelle, begegnen wir ihr, diesmal in ihrer Rolle als Biografin. Eine Freundschaft verband sie mit dem Mann, über den sie schrieb und den sie 1880 in New Orleans kennen und bewundern gelernt hatte. 1906 erschien ihr “The Life and Letters of Lafcadio Hearn”. Diese überlieferte, offizielle Version zitiert Monique Turong in ihrem aktuellen Roman Sweetest Fruits und reiht so Bisland ein, zwischen die Erzählstimmen dreier anderer Frauen, die uns einiges von diesem weitgereisten Mr. Hearn, Schriftsteller, Lehrer, Kochbuchautor, und von ihrem Leben mit ihm zu erzählen haben. Von einem Mann, der hier zu Lande weitestgehend unbekannt ist, das obwohl er mit seinen Texten und Schriften maßgeblich das Bild Japans in der westlichen Welt geprägt hat.

Lafcadio Hearn. Geboren als Patricio, verließ Irland als Patrick, wanderte aus in die USA nach Ohio als Lafcadio, heiratete, die Ehe scheitert. Er zog weiter, über New Orleans, New York und die französischen Antillen im Auftrag der Zeitschrift Harper’s New Monthly nach Japan. Heiratet erneut, wird dafür adoptiert von einer alten Samurai Familie. Man nennt ihn jetzt Koizumi Yakumo, er erhält die japanische Staatsbürgerschaft.

Lasst Euch ein, taucht ein in drei Geschichten in einer, den Anfang, so konsequent wie logisch nimmt sie mit der Mutter von Hearn, Rosa Antonia Cassimati:

Sweetest Fruits von Monique Truong

“Die Nacht folgte ihren Worten und verschlang sie vollständig.

Textzitat Monique Turong Sweetest Fruits

Lefkas, Griechische Inseln um 1850 und Irland

Reicher Vater, arme Tochter. Ein Mann musste her, Rosa war schließlich schon sechsundzwanzig, aber bereit dazu ihr eine Mitgift zu zahlen, das war ihr Vater nicht. Sie war eine wahre Tochter Evas und hatte sich ebenso wie sie versündigt, das redeten ihr die Männer und Frauen im Ort, ihr Vater und die Brüder ein. Nachdem sie Charles kennengelernt hatte und nachdem das gefolgt war, was auf einen Kuss folgte, das aber erst nach einer Eheschließung folgen durfte, verstieß man sie.

In einer mondlosen Nacht verfolgen entehrte Brüder eine schwangere Schwester. Breiten vor dem ganzen Ort ihre Schande aus. Lautstark und tobend. Wut riecht wie Essig und Knochenmark. Was nicht schlimm war, denn er hatte ihr ja die Ehe versprochen und eine andere Insel, eine die Irland hieß und so kam es auch. Aber sie strandete hier, der Sprache, die man hier sprach nicht mächtig, und sie war hier nicht willkommen … 

Die Ehe mit Charles war meist eine Ehe ohne Charles. Er, Arzt und Angehöriger der britischen Armee, war zuletzt auf der Krim stationiert gewesen und als er erneut aufbrach, gab er sie mitsamt ihrem Sohn, Lafcadio, sie nannten ihn Patrick, in die Obhut einer hartherzigen Großtante, die mit dieser dunkelhäutigen Fremden und ihrem Kind nichts anfangen konnte und wollte … 

Für die Peitsche war man niemandes Mutter.

Textzitat Monique Turong Sweetest Fruits

Cincinnati, Ohio um 1874

Dieser seltsam wirkende neue Gast in ihrer Pension, der nur ein Auge hatte und sich ständig auf die Schuhspitzen schaute, rührte sie. Er war traurig, erzählte davon, das er seine Heimat verloren habe, er stamme von einer Insel im Ionischen Meer und das Meer hatte sie, Althea, eine ehemalige Sklavin, noch nie gesehen. Sie erinnerte sich, wie sie “erzähl mir vom Meer” gesagt, und er sie aufgefordert hatte die Augen zu schließen. Plötzlich war alles da gewesen, herauf beschworen von seinen Worten. Der Geruch, der Wind, die Wellen. Soweit fort war sie noch nie gewesen …

Er fing sie ein, sie und ihr Kind, das das eines Schotten war, nicht seins. Mit heller Haut. Nicht aussah wie sie. Dach und Wände teilen wollten sie, die beste Familie füreinander sein, die möglich war und doch ging das nicht. Die anderen wollten es nicht, sie so sehen, als Familie. Vielleicht aber war es auch das Fieber, vielleicht war es das Vermissen, vielleicht die Sehnsucht, die ihn trieb, fort trieb wie die Strömung seines Meeres …

“Wenn man die Geschichte eines anderen erzählt, holt man ihn ins Leben zurück und du Gemahl, bist ja noch da. Jeden Tag bei Sonnenaufgang stehst du zusammen mit dem Kummer in mir auf. Ich sehe dich im Garten dieses Hauses die aderblaue Herrlichkeit des Morgens begrüßen.”

Textzitat Monique Turong Sweetest Fruits

Bildquelle Wikipedia, das Foto zeigt Koizumi Yakumo + Setsu

“Kinder sind die süßen Früchte eines veredelten Baumes.”

Textzitat Monique Turong Sweetest Fruits

Japan um 1890

Festtagskimonos und ein Spiegelteich vor einem Schrein, eine Prophezeiung, ein Ehemann, er würde von weit her kommen.

Die Ehe war glücklich trotz anfänglicher Verständigung via Wörterbuch. Aus dem Dienstmädchen des ausländischen Lehrers, das kein Wort verstand von dem was er sagte, wurde eine Ehefrau, deren kulturelles Wissen für ihn wegweisend war. Aus der anfänglichen Fremdheit erwächst allmählich Vertrauen. Vier Kinder wurden ihnen geschenkt und sie, seine Setsu, konnte ihn offenbar lesen, bis zum Schluss, erkannte die Enttäuschung in ihm. Sie war eine gute Beobachterin. Ein Fieber begleitete ihn bei ihrer ersten Begegnung und er war empfindlich gegen Kälte. Das blieb er bis zuletzt, als die Krankheit in sein Herz kroch und von dort nicht mehr weichen wollte …

Monique Truong, geboren 1968 in Saigon, floh mit den Eltern als sechsjährige in die USA. Sie arbeitete nach einem Studium in Yale und der Columbia University School of Law in einer New Yorker Anwaltskanzlei. Zahlreiche Literaturpreise darf sie inzwischen ihr eigen nennen. Wenn sie nicht schreibt, geht sie spazieren oder kocht. Sie liebt gutes Essen und kam mit Hearn über dessen Kochbücher in Kontakt. Sie war fasziniert von der Idee zu ergründen, wie es jemandem erging, der sich selbst eine neue Heimat wählt, aus freien Stücken. Ob er wohl findet was er sucht? Ob er wieder Wurzeln schlägt. Ob wer Hunger kennengelernt hat, jemals wieder satt werden kann? Ob man versucht ist, diesen Hunger auch mit Eindrücken zu stillen?

Mit bisweilen blumiger Sprache und durchaus auch durch die Blume lässt sie ihre Ich-Erzählerinnen von ihrem Leben und Lieben berichten. Bemerkenswert finde ich, wie Truong ihren Erzählton wechselt mit jeder Frauenstimme die sich erhebt, wie sie ihn anpaßt. Die religiös verklärte Mutter fängt sie genauso präszise ein, wie die ehemalige Sklavin auf die Hearn in Cincinnati/Ohio trifft. Truong macht sie mit einer wechselnden Prosa wunderbar unterscheidbar und mir hat sprachlich am besten der japanische Erzählteil gefallen. Hier habe auch ich mich in der Geschichte am wohlsten gefühlt. Ich mochte diese Klarheit, dieses In-Sich-Ruhen, diese Strenge, dieses Traditionelle.

Diese Geschichte war für mich eine Herausforderung, in der Beziehung, das ich nach einem roten Faden suchte und hätte es nicht Mrs. Bisland gegeben, die Truong als Klammer und als aus der Biografie von Hearn erzählendes Bindeglied einsetzt, ich hätte mich im Nebel verirrt. Sie klärt auf, über die zeitliche Abfolge der Ereignisse und über Hearn selbst. Am Ball geblieben bin ich der Sprache nicht des “Thrills” wegen, den darf man hier nicht erwarten und weil mich der Geschichtsaufbau beeindruckt hat, mindestens ebenso wie die feinfühlige Übersetzung von Claudia Wenner.

Die ungekürzte Hörbuch-Fassung verwöhnt 610 Minuten lang mit gleich vier großartigen Stimmen, die sich gegenseitig förmlich überbieten. Deshalb empfehle ich das Hören. Eine jede Vorleserin trifft den Ton ihrer Figur ganz wunderbar, es ist ein reines Vergnügen sich auf sie und diese Vielstimmigkeit einzulassen. Dieses Hörbuch ist eine Wohltat für die Ohren, weil auch die Stimmen der Damen echte Ohrenschmeichler und weil sie so unterschiedlich sind wie diese Figuren. So entsteht ein schimmerndes Hörkaleidoskop für Fans anspruchsvoller historischer Stoffe.

Erlebt Patrycia Ziolkowska als Rosa Antonia Cassimati, Barbara Philipp als Alethea Foley, Rebecca Madita Hundt als Elisabeth Bisland Wiltmore und Henni Jörissen als Koizumi Setsu.

Wählt Euren Liebling unter ihnen, oder mögt sie alle gleich gern. Ich für meinen Teil habe meine Wahl getroffen. Liebe Barbara Philipp, hoffentlich auf ein baldiges Wiederhören. Für mich hat sie, im Überschwang der Gefühle mit dem ganzen Körper gesprochen. Gleich ob vor Empörung oder Begeisterung, da ging mir das Herz auf und über! Vielleicht auch weil ich die Figur der Alethea so gerne mochte, für mich hat sie den größten Schritt gemacht, in ihrem Bestreben nach einem Leben auf Augenhöhe und Selbstbestimmung.

Es gibt so viele Geschichten da draußen, nicht alle von ihnen wurden schon erzählt. So manche, die spannend ist oder unglaublich ist in Vergessenheit geraten. Wie schön eine solche wieder zu entdecken zu können.

Mein Dank geht an den Bonne Voice Hörverlag für dieses Rezensionsexemplar.

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