“Wissen wir denn, um welchen Preis der Mensch seine Größe erkauft?”
Franz Liszt, Paris 1840, in seinem Nachruf auf Paganini
Sie nannten ihn “Den Teufelsgeiger”. Die Rede ist von Niccolò Paganini, geboren am 27.10.1782 in Genua und verstorben am 27.05.1840 in Nizza. Er musste mit dem Teufel im Bunde sein, da war war man sich sicher. Denn er beherrschte Griffe wie kein anderer. Man hatte keine Erklärung dafür, warum er seine Finger so weit überdehnen konnte, seine Fingergelenke, man war bereit horrende Eintrittspreise zu zahlen um ihn/das live sehen und hören zu können. Äußerlich schon früh von Krankheit gezeichnet, hager, und seine Vorliebe für schwarze Konzertkleidung festigten alsbald seinen “dämonischen” Ruf. Immer spielte er mit einem besonders langen Bogen, seine Violine war stets mit dünneren Saiten bespannt als sonst üblich. Ein geheimnisvoller Mann, eine Legende zu Lebzeiten. In Deutschland, in Frankfurt habe er sich auf seinen Konzertreisen am wohlsten gefühlt. In dieser Erzählung steigt in Köln ein alter, hagerer Mann in ein Taxi und dieser wohl erste “Superstar” der Musikgeschichte scheint sein Thema zu sein …
Federico Temperini von Theres Essmann
Er war Taxifahrer und kein Chauffeur. Im Grunde und eigentlich. Über Stunden wartend vor der Philharmonie verbringen bis sein Fahrgast wieder nach Hause wollte erschien ihm nicht richtig. Andererseits warum sollte er verzichten? Das Geld war leicht verdient. War es das?
Sein Fahrgast, der ihn gebucht hatte, und der sich mit rollendem “R” als Federico Temperini vorstellte, so als müsse ihm dieser Name etwas sagen, war ein komischer Kauz und er kannte nur ein Gesprächsthema. Gleich welchen Satz man begann, die seinen endeten stets bei Niccolò Paganini.
Ja, wie kommt er eigentlich auf mich? Warum hat er mich als seinen Fahrer ausgesucht? Die Frage von Klaus spukte im Kopf unseres Taxifahrers wie ein heimatloser Geist, seit der Freund sie ausgesprochen hatte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er unaufhörlich in etwas hinein gezogen wurde und konnte sich doch nicht entziehen. Mir ergeht es alsbald wie unserem Krause, ich eile im Text weiter. Entwickle eine Idee, wo da eine Verbindung sein könnte …
Theres Essmann, geboren 1967 in Nordwalde, studierte Literaturwissenschaften und Philosophie, sie veröffentlichte bislang Lyrik und Prosa. Diese Novelle ist ihr Erzähldebüt.
Sie erzählt mit leichter Hand, von einer sich leise aufbauenden Bindung. Ihr Erzählton hat mir sehr gefallen, er hat einen Hauch Melancholie, da wo er Not tut und ein Augenzwinkern da wo es gut tut.
Hier wünscht sich ein Vater mehr für seinen Sohn, selbst war nur Chauffeur von Beruf gewesen, wenn auch für Prominente in einem Limousinenservice. Am Ende landete der Sohn mit seiner ausgeprägten Prüfungsangst aber doch nur in einem Taxi und auch seine Ehe scheiterte an dieser Angst zu versagen.
Auf einer Bank, an einem Weiher, in einem Hitzesommer in Köln, sammeln sich die Gedanken zweier Männer. Gehen auf wie Saatgut im jeweils anderen. An einem anderen Ufer prallen die Sichten von Vater und Sohn aufeinander.
“In meiner Brust brannte es, ich wusste nicht, was ich sagen sollte, denn was er mir vorwarf, stimmte ja und war falsch zugleich, auf diese vertrackte Art, bei der du dich mit Worten meistens verhedderst.”
Textzitat Theres Essmann aus Federico Temperini S. 130
Hier münden Friedhofspaziergänge in Träume, die einer Stummfilmkulisse entsprungen sein könnten. Was ist das mit diesem Temperini und was ist mir seiner Hand geschehen, die er stets so geschickt hinter seinem Körper verbirgt?
Das Geld für die Fahrten wird in geschlossenen Briefumschlägen übergeben. Alsbald findet unser Taxifahrer in ihnen auch Fotokopien, oder Textschnippsel, die ihm ein Rätsel aufgeben und immer geht es um Paganini. Unser Krause beißt an und googelt sich durch das Leben des berühmten Geigers, sogar eine Biografie schafft er sich an.
Nach der letzten Fahrt des Tages treffen wir auf Krause und seine Freunde in der griechischen Taverne von Maria. Man hat das Gefühl, hier ist die Welt noch in Ordnung, an diesem Tresen werden ihre Geschichten geschrieben, hier geben sie sich Halt und Maria weiß immer was richtig ist. Dieses Eckkneipen-Feeling mochte ich, von ihm wird unser Krause aufgefangen wenn es zwischen ihm und seiner Geschiedenen mal wieder am Telefon Funken geschlagen hat. Wenn er nicht weiß, wie er mit seinem Sohn umgehen soll, mit dem er seit der Scheidung in einer Art Teilzeit-Beziehung lebt.
Wir begegnen Menschen. Ziemlich vielen sogar im Laufe unseres Lebens. Wir berühren Menschen, streifen sie bei einer Begegnung. Wir werden verletzt, getröstet, gehalten, und auch begeistert. Wir müssen lernen los zu lassen, diejenigen die wir nicht festhalten können. Wir halten fest an Erinnerungen. Weil sie unsere Seelen nähren. Wenn wir Glück haben, bereichert uns eine Begegnung und auch wenn wir uns trennen, bleibt das Gefühl zurück, das Gefühl einen kostbaren Moment haben erleben zu dürfen …
Auf der Rückbank dieses Taxis, nein, auf dem Beifahrersitz, der zum Symbol wird für die Annäherung zweier Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, darf ich Mäuschen sein, darf Gesprächen folgen, die erst tastend und vorsichtig sind, dann mutiger werden um in Vertrauen zu münden.
Man ist in diesem Taxi nie allein mit den beiden, Paganini hat dort immer einen Platz zwischen ihnen, gleich worüber sich Fahrer und Fahrgast unterhalten, der kürzeste Gedankenweg führt immer zurück zu ihm. Zurück zu einem Leben, das bizarr war, turbulent, aber auch geprägt von Krankheit. Zurück zu einem Mann, der Genie und trotz des Ruhms einsam war. Trotz seines Sohnes der ihn Zeit seines Lebens begleitete, der seine Stimme war, als er die seine durch Krankheit verlor. Der seinen Leichnam fünfunddreißig Jahre lang hütete.
Ich mochte diesen Text. Sehr. Weil er alles hat was eine gute Geschichte braucht. Haltet Euer Herz beim Lesen gut fest, es wird flattern in Eurer Brust und vielleicht werden Euch auch die Tränen in die Augen steigen, so wie mir. Dann weint, oder seid tapfer, aber denkt an ihn, an den großen Paganini, oder auch an Menschen wie ihn, Federico Temperini, dessen Geigenspiel sich für mich aus den Seiten dieses Buches erhoben hat. Der er es geschafft hat mit seinem Spiel seine Zuhörer für einen Moment ihrem Alltag zu entreißen.
Armut und Einsamkeit im Alter. Wer Zeit seines Lebens im Rampenlicht stand, für den ist die Fallhöhe nochmal eine andere. Wir alle leben um Spuren zu hinterlassen. Hoffen, das es solche sein mögen, die in anderen positiv wirken. Man wünscht sich, das jemand da sein wird, da sein kann, wenn man dereinst abgerufen wird. Man wünscht sich, das da jemand sein wird, dem es etwas bedeutet, das man fehlt.
Es hat hier wunderbar verknappte Wortwechsel, die alles sagen. Schöne Sätze. Solche, die man sich anstreichen will. Wie man auf nur so wenigen Seiten soviel unterbringen kann, hat mich nachhaltig beeindruckt. Wie passgenau Theres Essmann dabei formuliert. Mit wie viel Anspruch sie schreibt, ohne jemals sperrig zu sein. Das hat für mich bisher nur eine Autorin geschafft, Delphine de Vigan.
Das nenne ich mal ein Debüt. Ich bin aufgewühlt, immer noch, was für einen Nachhall sie da in mir ausgelöst hat. Seit Wochen schon kriege ich diesen alten Herrn nicht mehr aus dem Kopf.
Was für ein Abgang, mir schnürt es gegen Ende dieser Novelle die Kehle zu und ich schlucke schwer. Plötzlich atme ich auf, wünsche mir, das es uns allen gegeben sein möge, nur einmal im Leben eine solche Begegnung zu machen. Eine die verbindet, die berührt auch über das Leben hinaus …
Erschienen im Frühjahr 2020 konnte dieser Geschichte in den Buchläden nicht die Aufmerksamkeit zuteil werden, wie das ohne Corona möglich gewesen wäre. Gerne halte ich sie hier einmal hoch #zweiterfrühling, denn sie ist ein weiterer Schatz aus dem Schatzkästchen der Unabhängigen Verlage und verdient es, das man das Buch, so knallbonbonbunt wie es ist in die Hand nimmt, hinein liest und ich bin mir sicher, das Ihr es dann nicht wieder aus derselben geben wollt.
Mein Dank geht an den Verlag Klöpfer Narr für dieses Rezensionsexemplar und an @sätze&schätze für diese wunderbare Empfehlung. Es war mir eine Freude.
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