Wenn ich an SIE denke, leuchtet ein Gesicht auf, das gar nicht das Ihre ist. Die Schauspielerin Romy Schneider verkörperte in drei Filmen 1955, 1956 und 1957 die österreichische Kaiserin Elisabeth und sollte zeitlebens die Festlegung auf diese Rolle nicht mehr los werden. Beide Frauen eint ein tragisches Lebensende und ein bewegter Lebensweg. Letzterem, dem von Elisabeth von Österreich-Ungarn nähert sich mit ihrem aktuellen Roman eine Autorin an, die für ihre akribischen Recherchen und für einen sehr eigenen Ton bekannt ist. Sie verzichtet auf das zweite “s” im Vornamen der Regentin, die so als Kind von ihren Geschwistern gerufen worden ist, denn der zweite Konsonant schlich sich erst mit den Verfilmungen ein. Elisabeth, Sisi, die an einem Heiligabend im Jahr 1837 geboren und im September 1898 von einem Attentäter erstochen worden ist, war eine der berühmtesten und waghalsigsten Jagdreiterinnen ihrer Zeit. Insbesondere dieser Leidenschaft widmet sich Duve, die bereits Anette von Droste-Hülshoff ein grandioses Denkmal gesetzt hat. Mit so manchem Klischee räumt sie dabei auf und präsentiert mir eine ganz eine andere Monarchin:
Sisi von Karen Duve
Die schönste Frau Europas würde man schon gerne einmal im Schlamm landen sehen, aus dem Sattel rutschen, bei der Fuchsjagd, die der Earl of Spencer veranstalten will. So gut es eben ging hatte der geheimzuhalten versucht, das die Kaiserin von Österreich mitreiten würde. Elisabeth reiste sozusagen undercover und zum Vergnügen, aber mit so großer Entourage, dass es mehr als schwer fiel, sie nicht als die, die sie war zu bemerken. Seine besten Pferde und den verwegensten Reiter seine Gefolges, seinen Stallmeister Middleton, hatte der Earl zu ihrer Pilotierung abgestellt. Middleton hatte allerdings nur zähneknirschend angenommen, die englischen Fuchsjagden waren schließlich Rennen, die berüchtigt waren. Nicht selten hatte es Unfälle und Versehrte und er wollte gewinnen nicht aufgehalten werden, auch nicht von einer schönen Frau. Auch dann nicht, wenn sie eine kaiserliche Regentin war. Schon gar nicht von ihr und auch noch verantwortlich dafür sein, dass ihr nichts passierte …
Karen Duve, geboren am 16. November 1961 in Hamburg, absolvierte eine Ausbildung zur Steuerinspektorin, fuhr u.a. 13 Jahre lang Taxi in ihrer Geburtsstadt, veröffentlichte ihr Debüt Regenroman 1995 – habe ich mir organisiert, er liegt bereit wie eine Verheißung. Verheißungsvoll fand ich auch die Idee, dass Duve auch Sisi in der Hörbuch-Fassung selbst einliest. Mit Autor:innen, die das selbst tun, hadere ich bisweilen ein wenig, nicht so mit Karen Duve. Ihr Fräulein Nettes kurzer Sommer hatte ich mir bereits von ihr vorlesen lassen und auch Sisi ist aus ihrem Mund eine wahre Wonne. Die sanfte Lakonie die ihre Texte begleitet und der respektvolle Umgang mit dem sie die historischen Frauengestalten zeichnet die sie sich aussucht, wirken von ihr vorgetragen noch stärker und der Detailreichtum ihrer Geschichten noch einmal so opulent. Dabei zeigt sie nicht nur die Schokoladenseiten der Charaktere. Besonders wenn es um Sisi geht bleibt sie auf eine Art bildhaft, das wenn sie etwa Elisabeth von Österreichs legendäre Schönheit beschreibt, nichts daran kitschig klingt, man ist vielmehr so fasziniert, als habe die Monarchin gerade den Raum betreten.
Von einer Schönheit ist da die Rede, die nicht nur in den Bann schlug, sondern offenbar auch ein Kontrapunt zu ihrem Wesen war, denn die Kaiserin hat ihre Untergebenen wohl nicht ganz so liebreizend behandelt. Was solche Schilderungen anbelangt, kann man Karen Duve vertrauen, denn sie ist eine Meisterin der Recherche und schürft stets tief und ausdauernd, bis sie alles beisammen hat. Sie gräbt auch einen Badewaschl aus, und ich kann mich kaum halten, angesichts dieser Berufsbezeichnung für den ersten kaiserlichen Bademeister, der seinen Chef allmorgendlich in eine Gummibadewanne setzte und wusch. Nicht selten selbst noch unter Fuseldampf stehend, weil er die Nächte in Wiens Brandweinstuben durchmachte, denn er war halt einfach nicht so ein Frühaufsteher wie sein Kaiser.
Dieses höfische Treiben, Tatsachen wie die, das sich die Kaiserin stundenlang in ihre Kleider einnähen ließ, auch vor einer Jagd, das ihre Schneiderin sie dabei am Körper aber nicht berühren durfte, wetteifern mit Dekadenz, Macken, Schrullen und Marotten, von denen es im Roman geradezu wimmelt. Was habe ich mich köstlich amüsiert! Mich staunend umgeschaut. Wenn von bemerkenswerten Treppenhäusern die Rede ist, von einer Coiffeuse die wie eine Hexenmeisterin die beeindruckende Mähne der Kaiserin bändigt. Locker zwei Stunden am Tag dauerte diese Prozedur um das “heilige Haar” ihrer Majestät. Für ein Tizianrot hatte sie sich entschieden. Darunter war sie blond und man beachte das Detail, dass ein jedes von ihrer Coiffeuse ausgebürstete Haar in einer Silberschale gesammelt und der Kaiserin vorgelegt werden musste – und wehe, wenn es zu viele waren, dann setzte es Ohrfeigen! Denn neben den Pferden und ihrer jüngsten Tochter waren ihre meterlangen Haare ihre dritte große Leidenschaft, meint Frau Duve.
Spieglein, Spieglein – Angst vorm Altern. Im Interview mit Karen Duve auf der Frankfurter Buchmesse erfahre ich wie intensiv sie sich mit Elisabeth beschäftigt, welche Bücherberge sie durchgearbeitet hat, wie sie vorgegangen ist. Jetzt bin ich noch tiefer beeindruckt. Sie verrät im Gespräch auch, welche Erkenntnis über Sisi sie am meisten erschrocken hat: Die meint Duve, dass die Kaiserin und Königin im Grunde eine Rabenmutter gewesen sei, ihre beide älteren Kinder haben ihr nie genügt.
Die Kaiserin umgab sich laut Frau Duve auch bevorzugt mit schönen Frauen, denn aus einer Gruppe Mauerblümchen herausstechen war ja keine Kunst. Nur Fleischbrühe zum Frühstück, Bauchtraining an der Sprossenwand im eigens für sie eingerichteten Gymnastikraum. Von nichts, kommt nichts. Ist nicht nur ein Grundsatz in der Physik. Da war Elisabeth eisern und immer wieder ihre Reiterei. Dieser Sport, die Herausforderung, bescherten ihr ein Gefühl der Freiheit, war sie in Wien, eingesperrt in der Hofburg oft beschwert vom Zeremoniell und endlosen Empfängen. Weswegen Karen Duve auf die Pferde einen Schwerpunkt in ihrer Geschichte legt und sie so auch besonders lesenswert für Pferdenarren und Närrinnen macht.
Loyalität wird nicht belohnt. Eine Hofdame steckt zurück in der Hoffnung von ihrer Kaiserin gesehen zu werden. Es wird gewetteifert um die schönste Frisur, längst nicht jedes Pferd ist gut genug und ein Flirt liegt in der Luft. Um den zu genießen brüskiert Frau kurzerhand die britische Königin Victoria, verweilt lieber bei einer Jagdgesellschaft der Rothschilds und beschwört den Zorn des Kaisers herauf. Eine solche Unbesonnenheit bedeutete Spannungen zwischen den Herscherhäusern, die Presse garniert mit Fake News et voilá, fertig ist der Skandal.
Ein eigenes Bad mit Wasserklossett, hatte der Franz seiner Sisi bauen lassen, ihre Reisezeit genutzt und hatte doch jetzt keine Zeit für sie. Wohl aber für die Ein oder Andere, es techtelmechtelt und hat verstohlene Küsse im Gebüsch. Dieser Kaiser, wer hätte das gedacht und als hätte er nichts besseres zu tun!
Wir schreiben das Jahr 1876, eben war in Bulgarien die Radetzky ein Raddampfer der Ersten Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft von zweihundert Männern gekapert und entführt worden um Aufständische in Stellung gegen das Osmanische Reich zu bringen. Der russische Zar ersuchte um eine Audienz bei Kaiser Franz und seinem Außenminister dem Grafen Andrássy: In Batak/ Bulgarien hatte es fünftausend, manche sagten siebentausend Tote gegeben, ein Aufstand war blutig niedergeschlagen worden. Krieg lag in der Luft. Serbien und Montenegro hatten ihn erklärt.
Duves Sisi gefällt mir ausnehmend gut, denn hier ist nichts weichgespült, werden keine Hallodris wegretuschiert. Unverblümt, herzerfrischend, über die Maßen kurzweilig und zum Schmunzeln schön, ist ihr diese Geschichte gelungen. Man kann sich sicher sein, das um die nächste Satzecke eine neue Anekdote kommt, ich weiß gar nicht wo zuerst hinhören. Mein Kopfkino läuft hochtourig, Tüll und Taft rascheln um die Wette, während die Champagnergläser klirren und Intrigen gesponnen werden. In Kutschen wird über das Pflaster geholpert nach einem nächtlichen Ball. Eingemummelt in ein Fell und mit einem angewärmten Ziegelstein zu Füßen wird geträumt. Von einem Leben jenseits von Hofzeremoniell und von Verpflichtungen. Von einer Ehe, die nicht gestiftet ist.
Pferde, Hunde, dann wieder Pferde. Die Jagd und immer wieder die Jagd. Was sich schickt gilt es zu beachten. Aus Kaiserkindern werden Leute. Nicht ganz unkomplizierte wie mir scheint. Eine Märchenhochzeit steht an.
Eine Geschichte wie ein ewiger Kreis, eine Kaiserin hoch zu Ross im Karen-Duve-Style eingefangen in grandiosen Szenenbildern. Jeder Silberknopf, jeder Spitzenkragen sitzt, es war mir ein Fest. Nein, es war mir eine Ehre, Eure Majestät!
Liebe Dorothee, ich hätte da eine Idee: Bald ist Weihnachten, vielleicht landet ja von Deiner Liste etwas unter dem Baum? Lass sie doch mal unauffällig rumliegen … Es freut mich, wenn ich anstecken kann mit meiner Lesefreude und wünsche ganz viel Vergnügen! Nicht nur hoch zu Roß mit dieser Sisi. Auch Dir einen schönen ersten Advent. Herzlich Petra
Liebe Petra!
So geht es nicht weiter: jede Woche ein neues Highlight, das Du vorstellst…und ich “soll”, “muss” das Alles lesen und kaufen…
Ich muss allerdings sagen, dass dieser Roman von Karen Duve sowieso auf meiner Liste steht, nachdem ich “Fräulein Nette” so toll fand…
Ich wünsche Dir einen gemütlichen 1. Advent!
Liebe Grüße aus Kiel von Dorothee