Seebeben (Djaimilia Pereira de Almeida)

Auf die Kolonialzeit werfen und warfen zahlreiche Autor:innen einen Blick. Unter ihnen Literatur-Nobelpreisträger wie Abdulrazak Gurnah, der sich, in Tansania geboren, dem verschrieben hat, was in Sansibar geschah. Die Autorin, die ich heute mitgebracht habe, hat ihre Wurzeln in Angola, ist in Portugal aufgewachsen und schaut auf die Vergangenheit, die Afrika mit ihrer Wahlheimat verbindet. Dessen koloniale Vergangenheit gipfelte zuletzt in einem Krieg, der von 1961 bis 1974 andauerte. Im sogenannten Überseekrieg, kämpften Mosambik, Angola und Guinea-Bissau um ihre Unabhängigkeit von Portugal. Portugal stand dabei gegen den Widerstand der Großmächte USA und China einer schwierigen Situation gegenüber, hielt dennoch bis zur sog. Nelkenrevolution an seinen Kolonien fest.

Zahlreiche, auch grausige Details über das “Vietnam Portugals” lassen sich nachlesen. Tausende ziviler Flüchtlinge aus seinen Kolonien, sie nannten sie Retornados, nahm Portugal in der Folge dieser Auseinandersetzungen auf, Integrationsbemühungen dauerten Jahre an.

Schaut man genau hin, ist dieser Krieg Dreh- und Angelpunkt des neuen, von mir mit Sehnsucht erwarteten, Romans von Djaimilia Pereira de Almeida. Die 1982 in Luanda geborene, studierte Literaturtheoretikerin, erzählt darin mit der ihr eigenen Stimme von einem Mann, der auf Seiten der Portugiesen im Überseekrieg gekämpft, dem man seine Wurzeln gekappt hat und wie bei einem unterseeischen Beben, sind die Wellen, die in ihm ausgelöst werden, auch an Ufern zu spüren die weit entfernt sind …

Seebeben von Djaimilia Pereira de Almeida

“Die Zeit rinnt durch meinen Körper, sie durchquert mich, macht mich allmählich zu einem anderen.”

Textzitat Djaimilia Pereira de Almeida – Seebeben

Sein Name ist Boa Morte da Silva, geboren 1938 in Cunene, Südangola. Alt ist er geworden. Hier in den Straßen Lissabons. Als Parkplatzeinweiser hält er sich über Wasser. 1961 hatten sie ihn rekrutiert, um gegen seine Nachbarn zu kämpfen, in seinem Land, dann hierher geholt. An den Tejo. Die Scham brennt in ihm und die Schuld. Beteiligt gewesen zu sein. Getötet und einen Kameraden im Stich gelassen zu haben um die eigene Haut zu retten. Versagt zu haben. Dem letzten Wunsch eines Sterbenden nicht nachgekommen zu sein.

Sie heißt Fatinha, lebt an der Straßenbahnhaltestelle der Linie 28 in der Rua do Loreto, deckt sich nachts mit einem Pappkarton zu, sucht tagsüber vergnügt im Rinnstein nach Schätzen, tanzt barfuß im Regen. Sie ist eine Freundin. Wie sie beide gibt es viele hier. Viele die übersehen werden. Von denen die genug haben.

“Es gibt Momente, Minuten, in denen ich, wenn ich dir schreibe, das Jetzt mit meinen Fingern und und meinem Blut berühre.”

Textzitat Djaimilia Pereira de Almeida – Seebeben

Boa Morte schreibt. Einer Tochter, die er nicht kennt. Von der er nicht weiß wo sie ist, und wir lesen mit. Nehmen seine Gedanken auf, seine Geschichte. Erfahren so von seinem Versagen, das er zu verarbeiten sucht. Davon wie sehr er sich bemüht zu sühnen, indem er sich um andere kümmert. Mehr gibt als er hat. Hören von einem Leben in den Straßen von Lissabon, das geprägt ist von Armut und dem kleinen Glück. Dem Glück eines kleinen Gemüsegartens. Dem Glück dreier Hühner, die den Hungernden freigiebig zu der Wonne eines Spiegeleis verhelfen. Haben immer im Blick, wir sind längst in der Gegenwart angekommen. Im Herzen Europas.

Die Gestrandeten sind es, die es dieser Autorin angetan haben. Von ihnen erzählt sie und von Lissabon. Von einem Gegenwärtigen und Vergangenen. Von dem was sie in dieser Stadt sieht. Unnötig zu sagen wie sehr es mir gefällt, wenn jemand Wahrnehmungen so einfangen kann, dass sie in dem, der von ihnen liest ankommen, als seien es eigene. De Almeida schafft das mühelos. Erneut. Widersprüchliches verbindet sie, Surreales mit rauer Wirklichkeit, wie eine Hexerin die einen Zauberspruch webt. Was sie uns sagen will, kleidet sie kunstvoll und lyrisch in so schöne Sätze! Im Deutschen wurden diese erneut von Barbara Mesquita geschmiedet, vor deren Arbeit ich mich nur verneigen kann. Beide finden diesmal einen Ton, der Kanten hat. Manchmal hart ist. Der die Einsamkeit der Hauptfigur diesmal nicht an Blüten, sondern am Asphalt abprallen lässt.

Angereichert mit Methaphern und Melancholie leuchtet Djaimilia Pereira de Almeida ihre Geschichte einmal aus der Erzähler:innenperspektive aus, dann setzt sie im Wechsel die Stimme ihrer Hauptfigur ein. Sie verwischt meisterlich die Grenzen zwischen Fantasie und Realität, nutzt dafür die ihr gegebene, poetische Sprache um uns aufzuwühlen. Um die Unsichtbaren sichtbar zu machen. Wer sich in Lissabons Straßen auskennt wird zudem in seinem inneren Kino eine Reise durch die Stadt am Tejo unternehmen. Sie wird wie ein Protagonist eingebunden. Ist schön und unbarmherzig zugleich.

In den kältesten Nächten eines Winters lassen sie die Türen der Metrostationen und Bahnhöfe geöffnet, so finden die, die auf der Straße leben, einen wärmeren Platz zum Schlafen.

Traumwelten. Albtraumwelten. Städte unter dem Fluss. Verlorene Geldbörsen, Gedankenausflüge in fremde Leben, Feuerwerksraketen die alte Geister verscheuchen, alte Freunde aus zwei Welten die aufeinander treffen. Abschiebung, Hoffnung – ausgelöst durch eine kleine Geste. Die, die wenig haben geben alles. Alles Ersparte und zahlen auf in einer Währung, die keine Inflation kennt, mit Freundschaft.

Dieser Blick ist es, den ich besonders mochte. Der kleinteilig ist und Zufriedenheit in den kleinen Dingen des Alltags sucht und findet. Verdichtet auf 159 Seiten entsteht so ein Mikrokosmos der betroffen macht. Der Autorin ist erneut literarisch ein Kleinod gelungen. So wie sie Gedanken und Themen einfängt ist outstandig. Die Messlatte lag bei mir, nachdem ich ihr Im Auge der Pflanzen so gefeiert habe, sehr hoch auf. Wenn ein Roman alle Neune bei mir abgeräumt hat, zu einem All-Time-Favorite geworden ist, ist es schwer da nochmal ran zu kommen. De Almeida neuer Text ist auch diesmal nicht leicht zu konsumieren, herausfordernd lockt er aus Komfortzonen. Die Auseinandersetzung aufzunehmen lohnt sich aber so sehr, das ich, auch wenn Seebeben es bei mir nicht geschafft hat, meinen Eindruck von Im Auge der Pflanzen nochmals einzustellen, es fehlte mir das letzte Quäntchen Magie, weiterhin nach neuen Geschichten und Sätzen aus Gold und Silber von Djaimilia Ausschau halten werde.

Dem Unionsverlag danke ich für das zur Verfügung gestellte Besprechungsexemplar und dafür uns mit dieser Autorin und mit der Beauftragung einer solchen Übersetzerin zu beschenken!

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