Gastbeitrag von Andreas
Immanuel Kant sagt: “Viele Gewohnheiten, wenig Freiheit”. Neben den Gewohnheiten wird unser tägliches Leben durch Regeln, Gebote und Verpflichtungen bestimmt. “Sapere aude!” Kant rief 1784 ebenfalls dazu auf: “Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“. Dem folgen viele heute, indem sie einen aufgeklärten Individualismus praktizieren. Vieles zu hinterfragen, sich auf seinen Verstand zu stützen, um mehr Freiheit zu erreichen, macht unsere Gesellschaft aus.
Stellt man sich eine Gesellschaft vor, die sehr traditionell, voll von Zwängen und Regeln obrigkeitshörig ist, starre Strukturen hat und trakonische Strafen bei Missachtung verhängt. In einem solchen Umfeld, brauchte es nicht Geld und Gut, um einen Menschen zu fremdbestimmten riskanten, ja lebensbedrohlichen Unternehmungen zu motivieren, fern der Heimat und seiner Lieben.
Nicht zwangsläufig, aber zum Zwecke der Überleitung zu der Buchbesprechung, landen wir jetzt im Japan zu Beginn des 17. Jahrhunderts:
Samurai von Shūsaku Endō
In den kahlen, bräunlichen Bergen plagten sich die Bauern von morgens bis abends um ihre Abgaben entrichten zu können. Rokuemon der Samurai half seinen Bauern bei ihrer Arbeit. Es war ein Leben voller Entbehrungen, manchmal gab es nur das zu Pulver zerstampfte frische Stroh zu essen.
“Beerdigt wurde ein Toter nur in den Jahren, da keine Hungersnot herrschte” (Textzitat).
Es kommt der Tag, da erreicht Rokuemon der Befehl zum Ableisten eines Arbeitsdienstes. Roku wird beauftragt mit einer Gruppe von Kaufleuten nach Nueva Espana, dem heutigen Mexiko, zu reisen um dort den Handel mit den Südbarbaren aufzunehmen. Er kann sich dem Befehl nicht widersetzen, wird vier Männer aus seiner Lehe mitnehmen. Obwohl auch diese Männer mit dem Tal, ihrer Heimat, eng verbunden sind, “würden sie diesen Befehl mit dem selben Gleichmut hinnehmen, mit dem sie gesenkten Hauptes dem Schneesturm trotzten?” (Textzitat)
Ein Franziskanerpater, Velasco, wird ihre Reise begleiten. Velasco, hochgewachsen, rotes Gesicht und große Nase, ist ein dem Glauben streng ergebener Ehrgeizling. Er hofft, wenn er seine Aufgabe gut erfüllt und dem katholischen Spanien das verschlossene Japan für den Handel öffnet, wird ihm das mit der Bischofswürde vergoldet. Und als Bischof von Japan könnte er der Christianisierung wieder neues Gewicht verleihen. Desweiteren wäre damit der Einfluss des Jesuitenordens in Japan gebrochen. Die Jesuiten sieht er als die Schuldigen für das zwischenzeitlich in weiten Teilen Japans verhängte Verbot des Christentums. Velasco selbst darf in der jetzigen Situation in Japan nicht missionieren, sondern nur als Übersetzer dienen.
Eine Seereise von Japan nach Mexico, zu Fuß weiter an die Westküste, dort wieder mit dem Schiff nach Spanien und danach nach Rom. Der Pater und die Samurai treten die beschwerliche Reise aus dem gleichen Grund an – Treue. Treue zu Gott und Treue zum Lehnsherrn.
Für den Pater ist das Missionieren wie Diplomatie. Um ein Land zu erobern, sind für ihn auch List und Tücke erlaubt. Der Zweck heiligt seine Mittel. Für Rokuemon, unseren Samurai hingegen ist das Konvertieren Verrat an den Vorfahren, er ist fest in die japanischen Traditionen eingebunden. Ein Abweichen von diesen Pfaden für ihn undenkbar.
Jahre wird es dauern, bis sie Japan wieder sehen. Vieles wird sich verändert haben, Velasco und Rokuemon werden sich verändert haben.
In diesem Spannungsfeld bewegt sich der sprachlich und inhaltlich sehr gute Roman. Kann ein Mensch, der seine Religion nutzt um im Hier und Jetzt besser zu leben zu einem Glauben wechseln, der Verheissung im Ewigen predigt? Ein Buch voller Gedanken, die sich lohnen, weiter gesponnen zu werden. Wenn ich heute an das Gelesene denke, spüre ich die Landschaft Japans noch immer ganz deutlich. Das Tal, die Kargheit, die Stille in der Nacht, der kalte Winter, der süße Frühling, die Menschen mit ihrer Disziplin und Lehenstreue sind greifbar nahe.
Werden beide am Ende Ihre Ziele erreicht haben? Die Zwangsläufigkeit der Ereignisse fordert beide heraus und ja, es war der einzige Weg den Rokuemon gehen konnte …
Shūsaku Endō, geboren am 27.03.1923, in Toshima, Präfektur Tokio. Der 1955 mit dem Akutagawa-Preis, dem bedeutensten japanischen Literaturpreis, geehrte Schriftsteller, verstarb am 29.09.1996. Endō wurde katholisch erzogen, seine Mutter war eine Katholikin, damit gehörte, der mit zwölf Jahren auf den Namen Paul getaufte Endō, der christlichen Minderheit Japans an, die unter ein Prozent beträgt. Sein schriftstellerischen Schaffen ist stark geprägt vom römisch-katholischen Glauben.
Endōs Roman gründet sich auf einer historisch verbrieften Reise des Samurais Hasekura Tsunenaga, die sich ungefähr im 16./17. Jahrhundert, zur Zeit des Kolonialismus ereignete. Er enthält ein ausführliches Nachwort zu diesen Hintergründen.
Liebe Dorothee, ist vielleicht ein Tipp für Gottfried. LG von Andreas
Klingt sehr interessant!