Donnerstag, 05.03.2020
“Schriftsteller haben das Vorrecht einzutreten, wo sie es gelüstet, durch Schlüssellöcher zu kommen und zu gehen, auf dem Winde zu reiten, alle Hindernisse, welche Entfernung, Zeit und Schauplatz bieten könnten, in ihrem Fluge auf und ab zu überwinden”.
Zitat Oscar Wilde, Quelle: Barnaby Rudge
Nachts sind alle Katzen grau und jede Stimme ist unheimlich, besonders dieses Wispern, dieses Flüstern, oder war es doch nur der Wind? Mein Herz klopfte ängstlich, ich versteckte mich hinter dem Sofa. Was musste ich mir auch diesen Film anschauen? Ich war mit meiner kleinen Schwester allein zu Hause, die Eltern waren ausgegangen, und erinnere mich noch wie heute, wie der Geist von Canterville seinen Kopf unter den Arm nahm und mich aus leeren Augen ansah …
Dann wurde ausgerechnet diese, eigentlich komödiantisch angelegte Erzählung von Oscar Wilde, die erstmals 1887 erschien, auch noch Schullektüre im Englischunterricht und ich, komplett durch gegruselt bei dem Gedanken sie jetzt auch noch lesen zu müssen, fühlte mich angezogen und abgestoßen zugleich. Was soll ich sagen, ich wurde zum Fan von Oscar Wilde und als ich jetzt bei Alexander Pechmann über ihn gestolpert bin, konnte ich wieder nicht anders, ich musste mir diese Geschichte erobern, zumal er uns hier selbst als Geist erscheinen soll, der gute Oscar …
Die Nebelkrähe von Alexander Pechmann
April 1917, Erster Weltkrieg, irgendwo im Schützengraben. Vor ein paar Tagen noch hatten sie überlegt, wie es gelingen könnte, mit einer leichten Verletzung der Front und den Schützengräben zu entkommen. “Ein Ticket nach Blitley”, wie man hier sagte, wollten sie nur allzu gerne für sich lösen, Peter und Finley. Zwei Brüder im Geiste, zwei Kameraden im Dreck. Selbst eben noch hatte Finley, die unerschütterliche Frohnatur gescherzt, bevor er zu Boden gegangen war, stark blutend. Es musste ein Scharfschütze gewesen sein. Eilig halfen sie ihm auf, schafften ihn fort, luden ihn in einen Krankenwagen. Peter sollte seinen Freund danach nicht mehr wiedersehen und das Foto eines kleinen Mädchens, das dieser ihm zur Aufbewahrung gegeben hatte, drückte ihn in den folgenden Jahren wie eine schwere Last. Er hatte einen Knacks weg seither, hörte Stimmen, sah Dinge und Personen wieder vor sich, die zu einer längst vergangenen Zeit gehörten, wurde von Flashbacks und Visionen geplagt …
“Geh fort, ich bin einer von denen, die fallen. Wie! Kein Eiswind hat durchweht dein Herz in allen Stunden, die ich traurig stand bei dir? Noch vor dem Ende, Freund, geh fort von mir!”
Textzitat Alexander Pechmann Die Nebelkrähe
Peter Vane war Mathematik Doktorand und beschäftigte sich mit der Riemanschen Formel und diesem Seancen Hokuspokus der gerade in Mode gekommen war, konnte er wahrlich nichts abgewinnen. Er konnte es kaum glauben, das sein Kommilitone Frank, ein ernsthafter und aufstrebender Physiker auch nur ansatzweise daran glauben konnte.
“Das Gegenteil von gut ist gut gemeint”. Frank mochte es ja gut gemeint haben, als er ihn hierher geschleppt hatte zur SPR. Er wollte ihm helfen seine traumatischen Erlebnisse und den Verlust von Finley hinter sich zu lassen. Warum nicht mal versuchen mit Finleys Geist Kontakt aufzunehmen? Widerstrebend hatte er sich eingelassen, nachgegeben, Platz genommen gegenüber von Hester Dowden, einem selbst ernannten Medium. Was diese spiritistische Sitzung daber aber an Ergebnis bringen sollte, überraschte und verschreckte am Ende nicht nur ihn. War es ihnen tatsächlich gelungen, den Geist von Oscar Wilde zu beschwören?
Ausgerechnet ihm, Peter Vane, hatte dieser sein “Anliegen aus dem Jenseits” diktiert? Das konnte doch, nein, das musste doch ein geschicktes Betrugsmanöver sein, oder etwa nicht …. ?
Alexander Pechmann, geboren 1968 in Wien, ich habe mich auf ein “Wiederlesen” mit ihm gefreut. Er gehörte zu meinen Entdeckungen im vergangenen Jahr, da habe ich den kleinen, feinen Roman “Sieben Lichter” aus seiner Feder gelesen. Einen Original-Kriminalfall aus dem Jahr 1850 hatte er da in Romanform und anhand von Augenzeugenberichten aufgerollt. Wer mag kann hier zu meiner Besprechung abspringen:
Pechmann, der sich als Schatzgräber und Goldsucher der Literatur versteht, der auch als Übersetzer für englischsprachige Literatur arbeitet, der mit einer großen Vorliebe für verlorene Texte und vergessene Geschichten ausgestattet ist, nimmt uns mit in diesem seinem Roman, der fundiert recherchiert, mit zahlreichen Quellenangaben versehen ist, wieder mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Er ermöglicht uns Einblicke in das Wirken eines der bedeutendsten britischen Literaten. Unglaublich, was man nicht alles entdecken kann, wenn man intensiv danach sucht. Unaufgeregt und gut erzählt kommt die Geschichte daher. Er widmet seinen charmanten Roman über Diesseitiges und Jenseitiges <Die Nebelkrähe> Dorothy Wilde, der Nichte von Oscar Wilde, die von 1985 -1941 lebte.
Er erzählt uns von Handschrifteexperten, Zweiflern, fremden Mächten und persönlichem Ehrgeiz. Spitzfindigkeiten, wohltuenden yogischen Atemtechniken, Gangsterbossen, Spuk, zitiert erst Arthur Conan Doyle als Spezialisten, dann Algernon Blackwood. Verstrickt uns in Nachlass-Streitigkeiten, wir erleben große Dichter und alte Papageien, burmesische Prinzessinnen, Räuber und Rebellen, Kriegstraumata und mutige Krankenwagen-Fahrerinnen.
Pechmann lässt uns Detektiv spielen, Antiquare helfen uns dabei auf die Sprünge, er gewährt uns Einblicke in das damalige Londoner Verlagswesen und wir begegnen u.a. der Spiritistin Hester Dowden, einer realen Person, die von ihren Erfahrungen als Medium berichtet und die mit dem Geist von Oscar Wilde, dies unter der Mitwirkung eines Kriegsveteranen, in Kontakt getreten sein will.
Wir lernen immer der richtigen Seite zu dienen, nämlich unserer Neugier. Ein bisschen unheimlich, wenn auch faszinierend ist sie schon die Stimmung, die hier in abgedunkelten Räumen heraufzieht, während Schreibwerkzeuge krakelige Muster und leserliche Botschaften aus dem Jenseits hinterlassen.
Wie schon in <Sieben Lichter> gründet Pechmann auch hier seine Story auf historisch verbrieften Tatsachen. Alle im Roman kursiv gedruckten Botschaften von Wilde hat Pechmann nicht erfunden, sondern er hat sie gefunden. In der Kürze liegt bei Pechmann die Würze, auch diesmal bleibt sein Roman unter zweihundert Seiten und es fehlt ihm an nichts.
Spannend, kurzweilig und originell mischt der Autor Fakten und Fantasie, zeichnet so ein atmosphärisch sehr stimmiges Bild vom Leben in London in den 1920ziger Jahren, inklusive der damaligen Bestrebungen Okkultismus und Spiritismus mit Daten und Fakten beizukommen. Eigens dafür gründete sich seinerzeit eine Gesellschaft, die SPR. Woran war man bereit zu glauben? Wie konnte man die Zweifler aus dem Feld schlagen, oder den Beweis antreten, das hier tatsächlich jenseitige Mächte am Werk waren. Dies in einer Zeit in der Edison am Protoype eines Empfängers für Radiowellen aus dem Jenseits arbeitete und Tesla eine Art Geistertelefon konstruierte.
Poetische Passagen, die “wildewürdig” sind streut Pechmann ein und ich genieße! Nebelkrähe war im Übrigen der Spitzname von Oscar Wilde, den ihm Schulkameraden gaben, und um die Suche nach einer einzigen weißen Krähe geht es hier auch. Denn man ging davon aus, das alle Spiritisten Betrüger und wie alle Krähen schwarz sind. Wenn man nur eine einzige weiße Krähe finden könnte, wäre der Beweis erbracht, das am Ende doch der Kontakt ins Jenseits möglich ist …
Eine Geschichte, wie gemacht für die Zeit des schwindenden Lichts. Also, nichts wie lesen, bevor der Frühling des Schleier des Winters endgültig hebt, denn:
“Vielleicht sind Geister nur die Schatten der Dinge, die wir am meisten lieben oder am meisten fürchten.”
Textzitat Alexander Pechmann Die Nebelkrähe
Wie schön, das freut mich sehr! LG von Petra nach Kiel
Und NOCH eine Entdeckung…
Schönes Wochenende!
L. G. Dorothee