Petras Log-Buch Teil 5/ 6

von Akureyri nach Reykjavik (Island) in 341 nm

Sonntag, 09.07.2017, Reykjavik

Gestern Abend gegen 17:00 Uhr hieß es Leinen los in Akureyri. Nordisland macht uns den Abschied nicht leicht, es versucht uns noch mit einem letzten Highlight fest zu halten:

Beim Abendessen, es ist kurz nach dem Auslaufen, kommt ein lang ersehntes Kommando von der Brücke. “Wal in Sicht“, auf Steuerboard. Mist! Wir sind eben gerade wieder mal auf der Backbordseite. Alle Wale dieser Reise schwimmen immer auf steuerbord. Blitzartig verlassen wir unseren Tisch im Restaurant und rennen mit zig anderen auf das Pooldeck, spähen angestrengt über die Reeling. Und?! Nix, den drei Schweinswalen, die andere Passagiere gemeint gesehen zu haben, können wir leider, leider wieder nur hinterher winken. Na gut, wir trösten uns mit einem zusätzlichen Dessert …

Godan daginn! Guten Morgen, Island! Ein sanfter, trockener Westwind, von Grönland her kommend, hat die Nebelbank der gestrigen Nacht vertrieben. Mehrfach haben wir das Nebelhorn unseres Schiffes nach 22:00h in der Nacht noch gehört. Nebel, unheimlich für uns Landratten, gefährlich für kleinere Schiffe die unser Fahrwasser. Vorschriftsmäßig geben unsere Offiziere daher in kurzen Abständen diese durchdringende Geräusch ab. Gänsehaut!

So könnte jeder Morgen an Bord beginnen. Sonnenschein, stahlblaues Meer, ein schneebedeckter Vulkan vor dem Kabinenfenster. Unser Schiff schaukelt uns sanft vorbei an den Westfjorden Islands in die “rauchende Bucht”. Weithin sichtbar muss hier, zu Zeiten der Wikinger, aufsteigender Dampf zu sehen gewesen sein. Schnell war damals, 874 n. Chr. der Name Reykjavik (Rauchbucht) für die Siedlung gefunden.

Uns begrüßt die größte Stadt Islands und die nördlichste Hauptstadt der Welt, heute nicht mit Dampf, sondern klar, sommerlich strahlend. Ich traue es mich kaum zu sagen, kann es im Grunde selbst nicht fassen. Auch auf die Gefahr hin, dass es nervt – mit dem Wetter haben wir einfach ein Riesenglück! Darauf trinken wir jetzt erst mal ein Glas Sekt, genießen das Einlaufen in den wunderschönen Hafen und freuen uns auf eine Stadtentdeckung am Nachmittag.

In Reykjavik leben rund ein Drittel der Isländer, das sind etwa 120.000 Menschen. Kunst und Kultur, gibt es hier reichlich, ebenso die Universtäten des Landes. Nachdem das Land sich von der Finanzkrise wieder erholt hat, rüstet man auch baulich auf. Im alten Hafen wurde eine riesige Baustelle aufgerissen, an der Hafenmole entlang sind bereits zahlreiche Neubauten entstanden, sehr modern, eher zweckmäßig wirken sie auf mich. Architektur ist halt immer auch Geschmacksache …

Von hier aus werden wir auch den Eyjafjallajökull sehen können. Er ist einer von 30 aktiven Vulkanen in Island und bekam weltweite Beachtung, als er im April 2010 eine riesige Aschewolke spuckte, die über Europa waberte und den internationalen Flugverkehr wochenlang lahm legte. Reporter aus aller Welt versuchten sich an der korrekten Aussprache des unaussprechlichen Namens. Die Amerikaner fanden dann eine ihnen eigene, kreative Lösung. Sie nannten ihn nur noch “E-fifteen”. Großes E mit weiteren 15 Buchstaben 😉

Die Stadt selbst ist eine bunte Mischung aus alt und neu. Weithin sichtbar sind die beiden Wahrzeichen, die Halgrims-Kirche und die Harpa, das glitzernde Konzerthaus direkt am alten Hafen gelegen. Mit ihrer Harpa hatten die Isländer ähnlich gelagerte Probleme wie die Hamburger mit dem Bau der Elbphilharmonie. Viel länger hat man gebaut, viel teurer ist es am Ende geworden. Die Außenfassade besteht komplett aus Glasmodulen in denen sich das Fjordwasser spiegelt. So hat das Konzerthaus je nach Wetterlage eine andere Färbung, sehr schick! Heute hat die Harpa ein flaschengrünes Gewand übergestreift und die Sonne funkelt in den Glaswaben wie in einem Edelstein. Der Architekt hat es geschafft, dass sich so auf wunderbare Weise die Natur und das für die Gegend so bedeutsame Wasser, in dem ansonsten schlichten Bau spiegelt, der aus zwei ineinander verschachtelten Kuben besteht. Im Inneren ist das Farbenspiel völlig anders. Die Glasromben an den Decken fangen die Grautöne der Betonwände, das orange der Leuchtmittel, die Farben der Fußböden ein und schimmern silbern wie Fisch-Schuppen. Große, bodentiefe Fenster geben im hinteren Teil des Foyers den Blick auf den alten Hafen frei. Wie Scherenschnitte zeichnen sich die Besucher bei ihrem Blick nach draußen vor ihnen ab. Sogar ein U-Boot liegt vor Anker – das hat man auch nicht alle Tage als Aussicht aus einem Konzertsaal.

Ganz in der Nähe des Konzerthauses beginnt an der Promenade des alten Hafens ein Skulpturenweg, den man bis hinüber zum neuen Hafen, wo unser Liegeplatz ist, entlang laufen kann. Wir laufen von der Harpa aus los bis hinauf zur Halgrims-Kirche, die auf einer Anhöhe über der Altstadt steht.

Heute ist Sonntag, einige der kleinen Geschäfte haben trotzdem geöffnet, für den Fall das jemand entweder Flip Flops oder eine Fellmütze braucht. Ausgemusterte, bunt lackierte Fahrräder markieren wie an einem beschrankten Bahnübergang den Zugang zur Fußgängerzone. Die üblichen Verdächtigen haben hier vielfach noch nicht Einzug gehalten, das Straßenbild ist bunt geblieben, die Vielfalt der Geschäftchen groß. In ganz Island gibt es noch kein Starbucks und das Lieblingsgericht der Isländer der Hot Dog wird ganz unprätenziös auch schon mal aus einem Bauwagen heraus verkauft. Sehr sympatisch!

Wir bestaunen komplett bemalte Haus-Giebel, kleine Kaffeehäuser in deren Innerem man sich fühlt wie in einem privaten Wohnzimmer. Man merkt, dass es den Isländern wichtig ist, an diesen vielen kalten Tagen, die sie im Jahresverlauf erleben, zusammen zu rücken, es sich gemütlich zu machen. Ein frischer Wind pfeift durch die Straßenschatten. Ich bin froh doch eine Jacke mitgenommen zu haben, da fällt mein Blick auf eine junge Frau im Trägerkleid, barfuss in Sandalen. Trägertop, Mini-Rock, Pudel-Mütze und Gummistiefel – das geht hier auch. Isländischer Sommer halt! Es macht riesig Spaß, sich hier unter diesem bunten Völkchen umzuschauen.

Das Island “en voque” ist, sieht man auch den unterschiedlichen Nationen die sich hier an Touristen in der Stadt tummeln. Man hört japanisch, chinesisch, französich, sehr viel deutsch, schließlich hat unser Schiff allein 2.500 Passagiere und 1.000 Mann Besatzung mitgebracht. Wir haben eine Übernacht-Anlandug, bleiben bis morgen Abend hier, auch viele Mitglieder der Crew nutzen deshalb ihre freie Zeit für einen Landgang.

Unser Weg führt uns an einem “Troll-Ehepaar”, das überlebensgroß zum Eintreten in einen Souvenir-Shop einlädt, an farbigen Holzhäuschen mit kleinen gepflegten Gärtchen ebenso vorbei, wie an uniformen Wohnanlagen. Je näher wir der Halgrims-Kirche kommen desto belebter werden die Straßen, indem sonst so beschaulichen Reykjavik. Sie ist ein echter Hot Spot. Auch sie war, wie die Harpa, ein umstrittenes Projekt, selbst hier in Island wo man offenbar ein Faible für rohe, kantige Betonbauten hat. Der Architekt hat hier versucht Basaltstehlen abstrahiert nachzuempfinden. Diese Stehlen umfassen einen Kirchturm, dessen Spitze wie ein Wikinger-Speer in den Himmel zeigt, wie die Orgelpfeifen. Der Turm scheint sich irgendwie nach hinten zu neigen, sich an dem Kirchenschiff abzustützen. Vielleicht ist es Absicht, wegen der Windlast so gewollt. Vielleicht täuscht aber auch die Perspektive, ich jedenfall finde es ulkig, es paßt zu den entspannten Isländern. Selbst wenn es nicht gewollt ist, einen Kopf machen ist nicht nötig! Es muß nicht alles gerade sein … Vor der Kirche ein riesiges Standbild von Leif Ericsen, der wie ein Surfer auf seinem Sockel steht. Ericsen ist der Sohn des Wikinger Fürsten “Eric der Rote” und gilt als der offizielle Entdecker Amerikas.

Als wir eingetreten sind, bin ich erstmal baff. Es geht hier zu wie in einem Taubenschlag. Huch! Ein Drittel der Kirchenbänke in dem riesigen Raum zeigen mit ihrer Sitzfläche, nicht mit der Rückenlehne zu uns hin? Einen Altar kann ich erst gar nicht ausmachen, das Geschnatter der vielen “Kirchgänger” finde ich zunächst befremdlich, so ungewohnt ist es. Diese Kirche ist bei näherer Betrachtung viel mehr eine Begegnungsstätte als ein sakraler Raum, hier wird ganz zwanglos geplaudert. Die Nacktheit der blanken Betonwände, die hohen Fenster die ganz ohne Buntglas auskommen. Ich muss mich setzen, das nicht nur weil mir die Füße weh tun, sondern um das mal auf mich wirken zu lassen. Als ich den Blick hebe, verstehe ich auch, warum die Sitzbänke nicht dem Altar zu gewandt sind. Vor mir steht die Orgel auf dem Boden und ich schaue so geradewegs auf ihre Pfeifen. Schade, dass wir nicht hören können wie sie klingt. Meine Ohren haben das Stimmengewirr längst ausgeblendet, ich stelle mir vor wie sich dieser taghelle Saal beim Klang der Orgel weiten muss. Übrigens, die Sitzlehnen der Kirchenbänke lassen sich verstellen, bieten so entweder den Blick auf Orgel oder auf den Altar an – je nach Raumnutzungswunsch. Das nenne ich mal clever gelöst!

Unser Rückweg führt uns an einem Straßenmusiker vorbei hin zum Stadt-See mit seinem neu gebauten Rathaus. Das nenne ich mal einen Sonntag  – gerne mehr davon!

Montag, 10.07.2017, Reykjavik, Golden Circle

Heute geht es raus aus der Stadt und über Land. Der Tag beginnt schon wieder mit bestem Wetter. Am Abend wird der Kapitän erzählen, dass unser Sicherheitsoffizier mit einem Isländer ins Gespräch gekommen ist, der ihn zu diesem Wetter beglückwünscht hat. Tage wie diese, mit einer solch geringen Windlast und unfassbaren 19 Grad, werden höchstens an 26 Tagen im Jahr hier in Reykjavik gemessen. Herz was willst du mehr? Da sagt es doch ganz unverblümt “Geysire”! Sollst du haben!

Auf geht’s zum “Golden Circle”, zu einer 250km langen Rundfahrt die hier von nahezu allen isländischen Reiseveranstaltern angeboten wird. Sie deckt bei einem Ganztagesauflug die wichtigsten Naturphänomene der Reykjaviker Umgebung ab. War die Gegend um Akureyri mehr von brodelnder Erde geprägt, so haben wir es hier eher mit geothermischen Aktiviäten aus dem Heißwasser- und Dampfbereich zu tun.

Der erste Haltepunkt ist dann auch ein riesiger Heißwasser-Speicher, der über der Stadt auf einem Hügel liegt, Perlan – die Perle. Diesem Speicher kann man auf’s Dach steigen und man hat einen wunderbaren Rundum-Blick über Hafen, Stadt und Fjord. Heute ist die Sicht klar, wir sehen bis zu den großen Vulkanen im Landesinneren. Es hat hier ein Dreh-Restaurant, was sich in zwei Stunden einmal komplett dreht. Die Kuppel des Speichers ruht auf vier großen Tanks und versorgt die 120.000 Einwohner damit zum Duschen, Baden, Heizen, Kochen.

In den Kraftwerken rund um die “Rauchbucht” ist das Wasser welches aus der Erde kommt über 300 Grad heiß, damit also Dampf. Es muss erst mit Kaltwasser, dass aus über Land geführten Pipelines kommt, herunter gekühlt werden, damit es an die Haushalte abgegeben werden kann. Mit dem in den Kraftwerken entstehenden Dampf wird Strom erzeugt, “überflüssiges Wasser” wird in Seen abgeleitet – fertig ist ein beheiztes Freibad mit hautgesundem, mineralhaltigem Wasser. Das berühmteste dieser Freibäder aus dem “Abwasser” eines Kraftwerkes dürfte wohl die “Blaue Lagune” sein. Verlegt und erweitert, der Eintritt deftig, der Trubel allenthalben heftig, wird seinem schwefelhaltigen Wasser heilende Wirkung zugeschrieben, ähnlich dem toten Meer. Irre! Insgesamt also ein Träumchen für jeden Energieberater, nicht aber für die zahlreicher werdenden Umweltschützer. Es gibt hier soviel Energie, soviel überschüssiges warmes Wasser, dass es sogar in die Fjorde abgeleitet werden muss. Dies führt zu einer Überwärmung, die Fjorde frieren so selbst in den Wintermonaten nicht mehr zu, das empfindliche Ökosystem hat zu kämpfen …

Wir verlassen Perlan in Richtung des Geysirgebietes Haukadlur. Wie um die Spannung zu steigern hält unser Bus kurz hinter Reykjavik auf dem Parkplatz eines kleinen Supermarktes. Was wollen wir denn hier? Das ist doch hoffentlich keine Kaffeefahrt! Kein Mux verrät sie, Marie, unsere isländische Führerin und wir trotteln brav hinter ihr her in den Laden. Kurz hinter dem Eingang bleibt sie stehen und deutet auf den Fußboden. Ich stutze. Mitten durch die Fliesen, quer durch den Laden verläuft ein metertiefer, etwa fünfzig Zentimeter breiter Riß, der jetzt mit einer Glasplatte abgedeckt und von unten leicht beleuchtet ist. Hier hat es vor ein paar Jahren, nachmittags gegen 15:00 Uhr ein Erdbeben gegeben. Die Videoüberwachung war mitgelaufen und wir können uns die Bilder noch einmal anschauen. Ein argloser Angestellter, der ein Weinregal auffüllte ist zu sehen als die Erde zu beben beginnt. Mit einem beherzten Satz zu Seite kann er sich gerade so vor den herausfallenden Flaschen und dem kippenden Regal retten. Wir stehen jetzt genau da, wo es passiert ist – ich habe eine Ganzkörper-Gänsehaut! Täglich gibt es in Island Erdbeben, nicht alle sind zu spüren. Wieviel Druck hier auf dem Kessel, oder besser gesagt unter der Erdkruste herrscht, können wir bei unserem nächsten Stopp dann live erleben …

Über ganz Island verteilt gibt es zahlreiche heiße Quellen, aber nur zwei Geysire. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts pilgerten die Geysir-Fans zum “Großen Geysir”, der dann aber immer seltener noch eruptierte. Mit Seifen-Gaben (unfassbar!) versuchte man ihn Anfangs neu zu motivieren, gab dann aber auch das auf. Im Jahr 2000 führte ein Erdbeben dazu, dass er kurzfristig wieder zum Leben erwachte, mittlerweile schweigt er aber wieder. Zum Glück für alle wie mich hierher gepilgerten, gibt es noch den “Strokkur”, den “Zuverlässigen”. Alle fünf bis fünfzehn Minuten schießt eine bis zu 35 Meter hohe Wassersäule in den Himmel, manchmal auch bis zu dreimal hintereinander.

Für etwas mehr als eine Stunde inklusive Mittagspause werden wir auf dem Gelände ausgesetzt. Beim Aussteigen aus dem Bus ist bereits der erste Ausbruch des Strokkurs vom Parkplatz aus zu bestaunen. Jetzt aber schnell, es kann schließlich in fünf Minuten schon wieder soweit sein. Ob ich wohl die berühmte Wasserglocke zu sehen bekomme, die sich bildet bevor der Geysir ausbricht? Angespannt, die unterschiedlichsten Objektive im Anschlag stehen zig Menschen mit angehaltenem Atem um den Rand des Geysir-Topfes. Das Wasser kringelt sich um den tiefsten Punkt des gewaltigen Lochs, es bilden sich Blasen und Kreise im klaren, kochend heißen Wasser. Dann geht plötzlich alles ganz schnell, das Geräusch des austretenden Wasser übertönt das Raunen Menge und ich sehe nur noch Wasserdampf. Ein gigantisches Loch klafft unmittelbar nach dem Ausbruch auf wie eine offene Wunde, es schließt sich strudelnd und rasend schnell weider mit nachfließendem Naß. WOW! Um mich herum lichtet sich die Menschenmenge und ich rücke nach vorne auf, noch zweimal warte ich das zuverlässige Speien ab. Einmal davon schafft der “Strokkur” es wirklich zweimal direkt hintereinander. Tatsächlich erleben wir auch eine Wasserglocke. Dieses Tosen, dieses Grollen das von ganz weit unten aus der Tiefe kommt. Puh! Explosiv!

So schwer es fällt sich los zureißen, um den Strokkur herum sind noch zahlreiche andere heiße Pots und auch Schlammlöcher zu bestaunen. Eine der Quellen, die Blesiquelle, kocht bei nahezu 100 Grad, eine andere ist nur 50 Grad warm, dafür aber Dank ihres hohen Gehaltes an Kieselsäure intensiv blau, beinahe wie ein mandelförmiges Auge und so klar, das man tief in den Abrund hinunter schauen kann. Es riecht auch hier überall schweflig, die Erde abseits der Wege ist von den zahlreichen Mineralien bunt eingefärbt. Am Ende des Weges, der “Litli-Geysir”, er ist wirklich “little”, klein aber fein. Sehr cool!

Weiter geht die Fahrt. Im Reiseführer steht, wir besuchen einen der schönsten Wasserfälle Islands. Den Gullfoss, das meint “Goldener Wasserfall”. Die Hvita, “der weiße Fluss” fällt an dieser Stelle in zwei nahezu rechtwinklig zu einander stehenden Fallstufen in eine Kilometer lange Schlucht. Einer tapferen Frau, Sigridur Tomasdottir, verdanken wir, dass der Gullfoss, seit 1979 Naturschutzgebiet, nicht der Energiegewinnung geopfert wurde und wir ihn heute noch, Sommer wie Winter in seiner ganzen Pracht sehen können. Der obere der beiden Fälle ist 14 Meter hoch, der unter 18 Meter. Ach ja, heute hat es hier 19 Grad, das ist 1 Grad mehr als bei uns zu Hause – soweit Wetterbericht und Reiseführer …

Im echten Erleben steigt man auf einem Parkplatz aus, auf dem sich in der Saison die Besucher aus aller Herren Länder drängen. Man läuft los und findet sich als bald auf einer Ebene wieder, die am Horizont von großen Gletschern eingefaßt wird. Als Tolkien-Fan verharre ich augenblicklich und lausche. Läßt sich da nicht Hufgetrappel vernehmen, das sich mit dem Kampfgeschrei einer Rotte Orks vermischt? Da, ganz da hinten – das muß Frodo sein, der da angerannt kommt … Eine Kulisse wie aus einem Hollywood Film, ich haste weiter, habe Andreas schon fast aus den Augen verloren. Wo soll denn hier ein Wasserfall sein? Nichts als weites Land, doch dann, lange bevor ich ihn sehe, kann ich ihn schon hören und spüren. Das Donnern kommt nicht von der herannahenden Ork-Schar – es ist das Wasser. Treppen überbrücken den ersten Abschnitt der Schlucht, ich traue meinen Augen nicht. Grün wie in den Tiroler Alpen fassen Feuchtwiesen satt und Blumen bewachsen diese Schlucht ein. Ich reibe mir die Augen! Ein feiner Nebel hängt in der Luft, es ist die aufstiebende Gischt die hier Farben am Leben hält wie von Technicolor. Ich renne los, halte mein sonnenwarmes Gesicht in den weichen Dunst, verlache die, die sich hier ihre Kapuze aufsetzen. Das, das sind sie die Momente reinen Glücks – hier halten sie sich also versteckt! Wenn ich jodeln könnte, ich schwöre ich hätte es getan. Tief in mir drin sitzt dieser Jauchzer und will raus. Andreas lacht – ich bin völlig aus dem Häuschen und restlos hinüber vor Begeisterung! Stolpere voran, klettere waghalsig über glitschige Stufen bis ganz an den Rand. Ganz nah will ich hier dran sein, am Brausen, Tosen, Donnern, von mir aus auch nass werden!

Beseelt lächelnd, völlig von der Rolle sitze ich am Ende im Bus. Heute kriege ich das Grinsen nicht mehr vom Gesicht, morgen sehr wahrscheinlich auch nicht. Auf meiner Schulter streiten sich noch Engelchen und Teufelchen was mir besser gefallen hat. Das Solfataren-Feld bei Akureyrij oder der Gullfoss eben, da biegt der Bus ab in den Pingvellir Nationalpark. Was soll jetzt noch groß kommen? Besser geht’s nicht, denke ich eben so bei mir, da öffnet sich die Felsenlandschaft und gibt den Blick frei auf einen gigantisch großen See, ach was, auf zig Seen! Kobaltblau, glatt wie ein Spiegel, glitzernd, an den Ufern stehen Angler. Kein Boot, kein Segel, kein gar nix deuten auf menschliche Nutzung. Mir klappt die Kinnlade. Nein, oh bitte! Mehr vertrage ich heute wirklich nicht mehr!

Es geht schon längst nicht mehr um das “wo gefällt es mir besser”. Hier ist es einfach nur schön, Punkt! Durch die Almannagja, die Allmännerschlucht in Pingvellir verläuft die Grenze der eurasischen und der nordamerikanischen Kontinentalplatte. Hier lässt sich die Trifft der beiden Erdplatten, die im Jahr rund zwei Zentimeter ausmacht nicht nur anschauen, man kann durch den entstandenen Spalt sogar hindurch laufen. Tauchen zwischen den Kontinenten in der Spalte kann man hier auch. Für die Isländer ist dieser Ort geschichtlich mehr als bedeutsam. In dieser Schlucht versammelten sich im Jahr 930 erstmals die Häuptlinge und Priester um eine Versammlung abzuhalten. Dieses Treffen, auch “Alpingi” genannt, gilt als das älteste Parlament der Welt. In Pingvellir wurden seitdem viele bedeutsame Ereignisse gefeiert, so u.a. am 17. Juli 1944 die Ausrufung der Republik Island oder im Jahr 2000 die tausendjährige Christianisierung.

Wir genießen den Spaziergang vom Aussichtspunkt hinunter zum Pingvellir Feld, vorbei an einem Bach mit glasklarem Wasser, Wiesen mit sattgelben Butterblumen. Jeder Basaltkrümel atmet hier Geschichte. Ich bin schwerst beeindruckt!

Verloren gegangen zwischen den Kontinenten? Auf dem Parkplatz sammeln wir ein paar Leutchen ein, die vor lauter Staunen wohl ihren Bus versäumt haben. Wir gewähren Asyl und nehmen sie mit.

Unser Schiff kommt ins Sicht und mir wird das Herz schwer! Als unsere isländische Reiseleiterin sich für den Tag bedankt und uns mit den Worten verabschiedet: Maybewe will meet again, one of these days! Da muss ich schwer schlucken …

Ruhelos, aufgeputscht von den Eindrücken des heutigen Tages wandern wir am Abend von Deck zu Deck und saugen die letzten Ausblicke auf die isländische Küste in uns auf. Lange fahren wir noch an ihr entlang, winken dem Leuchtturmwärter an der Hafenausfahrt zu. Es ist weit nach 23Uhr, da stehen wir schon wieder an der Reeling und genießen den wohl schönsten Sonnenuntergang dieser Reise.

WIE gerne, Island, würde ich wiederkommen, so vieles haben wir noch nicht entdeckt! Ganz oben auf meiner Wunsch-Liste steht jetzt der große Gletscher Vatnajökull mit seinem Gletscher-See. Jetzt brauche ich doch ein Taschentuch, one of these days …

Fare well! Wir sehen uns auf meiner letzten Etappe, auf den Faröer Inseln wieder!

Verfasst von:

2 Kommentare

  1. Petra
    13. Dezember 2020

    Liebe Heidi, schön das Dir Kalmann auch so gefällt. Vielen Dank für den Hinweis auf die fehlenden Bilder im Beitrag. Diese hat mir ein “heimliches” update wohl zerschlagen. Da diese Logbücher von 2017 sind war mir das leider nicht aufgefallen. Ich bessere nach. LG von Petra

  2. Heidi G
    12. Dezember 2020

    Hallo Petra!
    Mein Traum Island mal mit eigenen Augen zu sehen kann leider nicht erfüllt werden.
    Mit diesem Bericht und mit
    einigen Empfehlungen aus Deiner Apotheke nimmst Du mich doch irgendwie mit auf Reisen und das ist auch schön!
    Die Bilder sind leider nicht mehr sichtbar, aber da lass ich meine Vorstellungskraft einfach mal sprechen. Das mache ich auch mit dem liebenswerten Kalmann 😉

    Liebe Grüße

    Heidi

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