Petras Log-Buch Teil 4/ 6

von Longyearbyen (Spitzbergen) nach Akureyri (Island) in 1.040nm

Donnerstag, 06.07.2017, vierter Seetag

Die längste See-Etappe unserer Reise. Wieder werden wir zwei Tage ohne Hafen unterwegs sein. Die ältere Dame, die wir beim Frühstück getroffen haben, kriegt hoffentlich keinen Koller. Meinte sie doch vorhin, wenn sie nicht bald mal wieder einen Baum zu sehen kriege, werde sie verrückt …

Heute zeigt uns das Meer, dass es nicht nur ein “grau” gibt. Hellgrau, dunkelgrau, graublau, anthrazitfarben liegt die Barentsee vor uns, nach dem wir Spitzbergen wieder verlassen haben. Die Sonne zaubert Spots wie flüssiges Silber auf das Wasser, die Meeresoberfläche liegt glatt wie ein See vor uns. Wie Inseln liegen diese Spots im Dunst. Ist das da Land, oder eine Wolkenspiegelung am Horizont? Wir diskutieren wieder. Ich würde da immer mehr sehen meint mein Mann. Ja, das stimmt wahrscheinlich, denn so hoch oben auf Deck 12 sehe ich nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen.

Moment mal, das da war aber jetzt wirklich eine Wal-Fontäne! Nein, zwei, gleich nebeneinander! Also doch, es gibt sie hier tatsächlich im Polarmeer zu dieser Zeit. Werden sie sich noch mehr zeigen? Einen Kopf, eine Rücken- oder gar eine Schwanzflosse? Gespannt fixieren wir den Horizont. Nein, leider nicht! Für heute tauchen sie ab und nehmen die Bilder von glänzenden Walleibern, die in unseren Köpfen entstehen, wieder mit sich in die Tiefe …

Um 20:00 Uhr wartet unser Stammplatz im Klanghaus auf uns. Das mich eine Geige so anfassen kann, das mir bei den ersten Tönen die Tränen in die Augen schießen ist nicht neu. Das eine Geige aber Töne hervorbringen kann, die sich wie ein hohes Pfeifen anhören schon. Ein Cello beschwört die Dünen einer Wüste herauf, eine Karawane zieht durch den heißen Sand, dann schwedische Mädchen mit Blumenkränzen im Haar, eine Folklore-Tanzgruppe in der Pußzta. Töne erschaffen nicht nur Klangbilder!

Was für ein Kontrast! Travestie im Theater mit einem Gastkünstler, Chris Kolonko, der auch schon in good old Las Vegas aufgetreten ist. Steppen kann er und die Männer im Allgemeinen, sowie die in der ersten Reihe im Besonderen, in Verlegenheit bringen. Sehr cool! So jetzt muss ich aber ab in die Heia – morgen will ich wieder früh raus.

Freitag, 07.07.2017, fünfter Seetag

Ein Staubsauger weckt mich, verdammt, ich habe verschlafen. Zweimal die Uhr umgestellt und ich bin komplett daneben. Meine Augen fühlen sich noch ganz sandig an. Andreas schläft noch, als ich die Wäscheklammern vom Vorhang nehme, die Nachts die Helligkeit aussperren sollen. Erst mal sehen, ob man überhaupt was sehen kann. Mein WOOOW! weckt Andreas. Ich stolpere auf der Suche dem Fotoapparat über meine Hausschlappen, ach ja, Jacke anziehen wäre besser. In Schlafanzug und Fleecepulli stehe ich auf dem Balkon. Vor mir ragt bei strahlend blauem Himmel ein Vulkankegel auf, der rund 2.000m hoch ist, schneebedeckt wie der Fujiama. Ruck, Zuck ist auch Andreas bei mir, er kocht uns einen Kaffee, bringt mir eine Kuscheldecke – mich bringt hier erstmal nichts weg! Häufigst vernebelt, zeigt sich die kolossale Insel heute von ihrer Schokoladenseite und wir haben schon wieder ein Mords-Glück, unsere Kabine liegt auf der richtigen Seite für diese Passage – gut gepokert! Danke auch an unseren lieben Kabinen-Stewart, der uns ganz umsichtig und noch rechtzeitig mit seinem Staubsauger geweckt hat. Ein Goldstück!

Jan Mayen – die einzige Insel im Polarmeer zwischen Spitzbergen und Island gehört zu Norwegen, ist unverkennbar vulkanischen Ursprungs und Naturschutzgebiet. Nach einer Stunde Sonnenbad auf unserem windgeschützten Balkon wird Jan Mayen immer kleiner am Horizont und wir verabschieden uns zum Frühstück. Ich habe doch tatsächlich schon wieder Hunger …

Samstag, 08.07.2017, Akureyri (Island)

Wir sind zeitig auf den Beinen, heute geht es für einen ganzen Tag über Land. Noch bevor unser Schiff fest macht und das Lotsenboot uns längsseitig wieder verlässt (witzig die fotografieren uns!) genießen wir bei strahlendem Sonnenschein den Blick auf die Bucht am Ende des Fjords. Diese Gewässer sollen besonders reich an Walen sein, also heut ist wieder aufpassen angesagt.

Das erste Etappenziel unseres Ausflugs ist der Godafoss, der Wasserfall der Götter. Welches Ereignis hier namensgebend war, da streiten sich die Gelehrten. Häufig wird angenommen zur Zeit der Christianisierung Islands hätten hier die Wikinger ihre Götzenstatuen ins Wasser geworfen um ihrem Glauben abzuschwören. Wir haben schon wieder das herrlichste Wetter. In Pastelltönen liegt dieser Morgen über Nordisland. Die Luft ist klar und das Wasser im Fall schimmert hellgrün.

Eine Schlucht, durch die das klare Wasser stürzt, verbindet zwei Fälle miteinander. Hufeisenförmig, wie aus dem Bilderbuch, der Hauptfall mit einer Breite von 30 Metern und einer Höhe von rund zwölf Metern. Besucher aus aller Welt drängen sich am Rand um die besten Plätze, um einen Blick auf die schönste Stelle zu erhaschen. Auf die Stelle, über die sich heute früh ein Regenbogen spannt. Ich stehe da und staune schon wieder mit offenem Mund. Was für eine Kulisse! Andreas klettert derweil wagemutig über in den Felsen gehauene Stufen abwärts, bis zum Ufer unterhalb des Hauptfalls. Wie sagt er immer so schön – für ein gutes Foto muß man alles machen. Ich beobachte ihn etwas ängstlich, bis er unbeschadet wieder an den oberen Rand des Falls heraufgekraxelt ist.

Nach diesem beeindruckenden Auftakt geht es weiter zum Myvatn See. Als die Reiseleiterin uns noch im Bus übersetzt was Myvatn See heißt, nämlich Mücken See, fällt es mir auch wieder ein. Na toll! Gestern am Abend hatte ich es noch im Reiseführer gelesen und die armen Touristen verlacht, die hier alljährlich arglos ankommen und gegen die Mückenschwärme kämpfen. Unser eigens mitgebrachtes, tropenerprobtes Insektenschutzmittel steht sicher in unserer Kabine auf dem Schiff. Es geht halt nix über eine gute Reise-Vorbereitung …

Zum Glück stechen diese Mücken nicht, sie fallen uns Menschen nur lästig. Den nur hier vorkommenden Enten und anderen Vogelarten sind sie dagegen Nahrungsgrundlage und Delikatesse. Das tröstet doch! Also dann, unser Busfahrer erinnert uns beim Aussteigen noch, bevor er die Türen aufmacht, dass wir in den Bus eindringende Mücken bitte nicht innen an den Scheiben erschlagen sollen. Es würde ihm immer so viel Mühe machen, die Leichen wieder abzukratzen. Super – dann auf in den Kampf! Mit eingezogenem Kopf steige ich aus und warte darauf, dass mich die Mückenschwärme umzingeln. Mich haben die Mücken auf der ganzen Welt ja ach so lieb. Und? Vereinzelt brummt es, aber es ist nicht weiter schlimm. Schon wieder Glück gehabt. Ob es jetzt am frühen Morgen, dem Wetter oder meinem stets mitgebrachten “Mückenmagnet” Andreas liegt – egal – ich kann unseren Spaziergang ungestört genießen, und auch Andi bleibt unbeschadet.

Eingebettet in eine riesige Seenlandschaft liegen hier zahlreiche Pseudokrater. Diese Krater von Skutustadir haben selbst nie gespuckt, sie sind aus quasi aufgeplatzten Blasen der zähflüssigen Lava entstanden. Viele sind mittlerweile komplett bewachsen, das satte Grün läßt die Hügel ganz sanft wirken. Am Bewuchs läßt sich erkennen, dass es sich um ein altes Lavafeld handelt, lernen wir.

Mit ausgestrecktem Arm deutet unser Guide in die Ferne, bei bester Sicht ist heute sogar der große Vulkan Islands mit seinem riesigen Gletscher erkennbar, der Vatnajökull. So grün hatte ich mir Island gar nicht ausgemalt.

Das Lavafelder auch ganz anders aussehen können, erleben wir bei unserem nächsten Stopp. Wie ein Gebirge türmen sich hier die erkalteten Gesteinsmassen von Dimmuborgir (“Dunkle Burgen”) auf einem Areal von mehr als einem Quadratkilometer auf. Die erkaltete Hinterlassenschaft eines riesigen Lavasees, rund 2.000 Jahre alt. Schafft man es hier mit dem Blick und dem Herzen eines Kindes durchzuwandern kann man zwischen in den groben Basalttürmen Trolle, Hexen und andere märchenhafte Wesen erkennen. Für viele Isländer gehören Trolle zu ihrem Leben dazu, es gibt hier sogar Touren wo man geführt auf ihren Spuren wandern kann. Ich lasse die Gruppe erst mal vorgehen, tatsächlich verstummt nach einigen Minuten das Stimmengewirr um mich her. Andreas hat sich ebenfalls allein abgesetzt. Man kann den Wind durch die Spalten der bizarren Gebilde pfeifen hören wenn man acht gibt. Die Sonne steht so hinter den Lavabergen, dass sie wie Schattenrisse wirken. Sich vorzustellen, dass all dies einmal flüssig war und rot glühend krieg ich gar nicht hin. Ein Irrgarten der besonderen Art!

Eine Pause um die Eindrücke der ersten Tageshälfte zu verdauen tut jetzt gut. Wie auf Bestellung, Island-Pferde – wie wäre es vor dem Mittagessen mit einem Selfie mit Pferd? Einige der Mitreisenden versuchen es zumindest, die hübschen Pferdchen, die ich mir kleiner vorgestellt hatte, nehmen die Glimmzüge der Touris am Zaun sportlich. Isländische Gelassenheit halt – Wir fallen mit der Gruppe zu einem traditionellen isländischen Essen in ein Hotel ein. Als erstes werden jetzt mal die Toiletten erobert 😉

Zu Mittag gibt es in dem kleinen charmanten Hotel Lachsforelle, Pellkartoffeln und Salat. So gut, unverstellt und bodenständig, dass ich mir gar nicht vorkomme wie auf einem touristischen Ausflug, sondern so als hätten Freunde zum Essen eingeladen. Ob wir zu Hause allerdings eine so gute Lachforelle hätten organisieren können bezweifle ich. Das es in Island den besten Fisch gibt, ist also keine Mär!Nachdem Mittagessen brechen wir erneut auf und ganz plötzlich, wie abgeschnitten ändert sich die Landschaft. Auf unserem Weg ein weiterer Hot Pot, ein isländisches Freibad und dann stecken wir auch schon inmitten dieser bunten Berge. Die Klimaanlage schaufelt schon die ersten schwefeligen Schwaden in den Bus noch bevor wir sehen können wo sie herkommen. Der Bus schraubt sich weiter die Bergkehren hinauf in die Höhe. Fassungslos starre ich aus dem Fenster, wenn es ein Bild von Island gegeben hatte, was ich in meinem Kopf verankert hatte, dann war es das hier.Für eine Mondlandschaft ist die Erde viel zu farbig, nur auf dem Mars ist sie vielleicht noch so heiß. Es dampft aus allen Spalten, Löchern und Ritzen. Das sehe ich schon von meinem Bussitz aus. Gerade so kriege ich noch mit, wann wir wieder zurück sein sollen, ich muß unbedingt sofort da raus. Andreas kann mir eben noch meine wasserdichte Hose verpassen, er meint es ziehe ein Wetter auf, dafür habe ich längst keinen Blick mehr. Im Ohr behalte ich aber den Hinweis nicht zu nahe an die Löcher heranzutreten und unbedingt auf den abgesteckten, markierten Wegen zu bleiben. Unvorsichtig staunenden haben Spritzer der flüssigen Erde schon das Fleisch von den Knochen gesengt!

Ich hüpfe gerade in meine Schmutzhose, als die ersten Tropfen fallen. Setze meine Kapuze auf und spurte los, mitten rein in dieses Solfataren – Feld. So nennt man auf Island diese blubbernden, schwefeligen Löcher. Es regnet nur leicht und fasziniert sehe ich zu wie die Tropfen beim Auftreffen auf die heiße Erde zischend verdampfen. Das ist mein Island, genau hier wollte ich her, ich habe einen Kloß im Hals! Hier wo die Erde noch im Werden, geologisch gesehen noch ein Baby ist, so muss es in Dantes Hölle riechen. Kommt man dem Dampf näher stinkt es so dermaßen, es ist unglaublich und es gefällt mir empfindlichen Primel trotzdem. Schon nach wenigen Minuten brennen mir die Augen, ich habe Mühe sie noch offen zu halten um zu fotografieren. Die Tränen die mir über das Gesicht laufen ignoriere ich ebenso wie den mittlerweile stärker werdenden Regen. So was habe ich noch nicht erlebt! Die Erde ist durch die Sohle meiner dicken Wanderschuhe hindurch spürbar warm und in den Löchern vor mir brodelt der Schlamm. Wie riesige Pötte mit Schokoladenpudding, den man nach dem Einrühren noch einmal aufkocht. Rund um die Erdlöcher kann man mineralische Ablagerungen in den unterschiedlichsten Farbtönen sehen. Überall umher zischt der Dampf. Unversehens gerate ich auf meinem weiteren Weg in einen Schwefel-Dampf-Nebel, der Wind hatte gedreht. Der heißte Dampf umgibt mich in Windeseile und meine Brille beschlägt. Ich weiß plötzlich nicht mehr wo vorne und wo hinten ist. Das das so warm ist, obwohl ich nicht dicht an der Austrittsstelle stehe  – ein Wahnsinn! Man müsste Schriftsteller sein um diese Eindrücke so in Worte fassen zu können, dass sie auch nur annähernd wiedergeben was das hier mit mir macht. Das hier fasst mich wirklich an!Als uns unsere isländische Führerin auf dem Weg hierher erzählt hat, das der Vulkan Hekla schon seit einigen Jahren für einen Ausbruch überfällig ist und deshalb engmaschig von Seismologen überwacht wird, war das vor dem Aussteigen aus dem Bus noch ganz weit weg. Was für ein unglaublicher Druck hier unter der Erdkruste herrscht und das die Isländer wahrlich so leben, als würden sie täglich auf einem Vulkan tanzen, könnte sie uns nicht anschaulicher gezeigt haben. Die große Gelassenheit, die Besonnenheit mit der die Isländer ihre Natur annehmen, ist mehr als beeindruckend.

Auf dem Rückweg zum Schiff plaudert unsere Reiseleiterin auf uns ein. Sie erzählt jetzt von sich. Viele Isländer haben einen kreativen Nebenjob, malen, zeichnen, machen Musik. sie im Hauptberuf Polizistin, führt in ihrer freien Zeit Besucher über die Insel. Schon als Kind von neun Jahren hatte sie Deutsch lernen wollen. Für die Isländer ist bereits in der Grundschule eine Fremdsprache Pflicht, schließlich verstehe man die sie ja im Rest der Welt nicht mit ihrer eigentümlichen Sprache – und Sie, sie hat sich für Deutsch entschieden. Daran und an ihrer Berufswahl ist eine deutsche Krimiserie schuld. Ausgerechnet Derrick mit Horst Tappert und Harry haben ihr Leben geprägt. Putzig, wie sie bei ihrer Erzählung die Worte verdreht und man ihren isländischen Akzent charmant durchhört. Marie, fare well, dich werde ich wie diesen unglaublichen Ausflug noch sehr lange in Erinnerung behalten!Auf Wiedersehen Akureyri, schweren Herzens nehmen wir am Abend schon Abschied von der viertgrößten Stadt Islands mit rund 18.000 Einwohnern am Fjord Eyjafjördur. Auf der größten Vulkaninsel der Welt werden wir zum Glück noch einen weiteren Hafen anlaufen.

Schiff ahoi – ein Wiedersehen gibt es in Reykjavik!

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