Die griechische Mythologie und ich, wir fremdeln noch ein wenig. Wie zwei nicht mehr ganz Unbekannte stehen wir uns gegenüber. Mit Madeline Millers <Ich bin Circe>, habe ich erfreut Bekanntschaft geschlossen und wenn Margaret Atwood einen schreibenden Blick auf “die alten Griechen” wirft, dann wirkt das auf mich wie der Lockruf der Sirenen.
Bei ihr soll es um Penelope gehen, spartanische Prinzessin, geduldig auf die Heimkehr ihres Mannes Odysseus wartende Ehefrau und Mutter von Telemachos. Sie hielt ihrem Ehemann, so kann man bei Homer nachlesen, 20 Jahre lang die Treue trotz dessen Abwesenheit.
Penelope und die zwölf Mägde von Margaret Atwood
Schweigen ist Gold, Erzählen ist Silber und genau das tut Penelope jetzt, uns ihre Geschichte erzählen. Zu Lebzeiten hätte man ihr als Frau nicht zugehört. Aristokratenfrauen hatten sich still zu beschäftigen. Jetzt aber, hinabgestiegen in die Unterwelt, wo man mittlerweile Nachwuchsprobleme hatte, körperlos und ihrer eigenen Stimme beraubt, sich der anderer bemächtigend, hören wir ihr zu.
Sie erzählt von ihrer Ehe mit Odysseus, nicht alles war Gold was da glänzte, treu sei sie ihm gewesen diesem Lügner, der seinen Spaß daran gehabt hatte zu täuschen. Sie, die Tochter des Ikarius, des Königs von Sparta und einer Wassernymphe, geschickte Leichentuchweberin.
Ihre Cousine war die schöne Helena, Kind einer Vergewaltigung durch Göttervater Zeus persönlich.
Helena die Schönste war auch die Gemeinste, der Schwan verspottet und verlacht das Entchen, das in diesem Fall Penelope ist und verheiratet werden soll. Was das einzige war, was man mit Töchtern machen konnte. Sie gewinnbringend verheiraten.
Im Grunde konnte man doch froh sein, als Tochter das Licht der Welt erblickt zu haben. Meinten die Einen. Nicht selten besiegelten Herrschende schließlich mit ihnen Allianzen, wohingegen die Söhne von Feinden oft als Babys schon den Tod fanden.
Odysseus also. Mittels einer List und ich glaube Doping, gewann er das Brautrennen um Penelope, ein nicht ganz fairer Wettbewerb, wie mir scheint. Es galt hernach aber als ausgemacht, dass Penelope ihm, erst fünfzehnjährig, als seine Frau nach Itaka folgte. Eine Insel, die nicht gerade als Hotspot galt. Wider Erwarten fand Penelope in Odysseus einen schlitzohrigen aber verständnisvollen Gefährten, bis er denn auf Jahre verschwand, wir wissen wohin …
Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood, geboren am 18. November 1939 in Ottawa, ist mittlerweile genauso alt wie die diesjährige Gewinnerin des Literaturnobelpreises Annie Ernaux. Für ihre Werke mehrfach preisausgezeichnet, u.a. mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2019, war auch sie mindestens so oft für den Nobelpreis für Literatur im Gespräch wie ihre französische Kollegin. Atwood beschäftigt sich in ihrem Schreiben häufig mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft, und nutzt die Möglichkeiten, die ihr die phantastische Literatur bietet, um ihre Themen intensiv auszuforschen.
Es musste so kommen. Weil es immer kommt wie es kommen muss. In diesem Fall geht die schöne Cousine Helena dann doch fremd und entfacht einen Krieg. Den um Troja. Auch Odysseus zählt zu den Verbündeten, kann sich nicht verstecken vor dem Ruf der Solidarität, auch nicht mit einer List. Er muss ziehen.
Eine List, hilft ihm am Ende aber dann doch. Eine der das berühmte und kriegsentscheidende hölzerne Pferd entsprang, ihr erinnert Euch. Sie hielt Einzug in Lieder und Gesänge und nicht nur das. Troja fiel und Penelope hörte daheim gerüchtehalber von einer Zauberin die seine Männer in Schweine verwandelt haben soll, von Zyklopen, von Wachs in den Ohren gegen Sirenengesang, von amourösen Abenteuern auch, nicht nur mit Helena, während sie treu den Horizont nach seinem Schiff absuchte und wartete. Zehn Jahre lang. Immer wieder sollte man ihr in dieser Zeit die Frage stellen, wie sie sich entscheiden werde, wenn ihr Mann tot sei, was je länger dieser fort blieb, doch anzunehmen war: Das er nicht mehr unter den Lebenden weilte. Als die Hoffnung auf seine Heimkehr mehr und mehr schwand, traten sie auf den Plan, die Freier. Schließlich gab es Gold und Ländereien auf die Mann hoffen konnte, war auch die Witwe in spe nicht sonderlich attraktiv. Um auf Zeit zu spielen bediente sich jetzt Penelope eines Tricks, sie begann ein Leichentuch für ihren Ehemann zu weben, ein Projekt das nicht fertig werden sollte, denn es sollte Entscheidendes dazwischen kommen …
Wie herrlich ist bitte diese Übersetzung aus dem Englischen von Marcus Ingendaay und Sabine Hübner? Unverblümt, frech, manchmal flapsig, mit reichlich Seitenhieben ausgestattet und angereichert mit einer ganz sanften Lakonie, gibt Atwood Einblicke in die Welt der Götter und der Mythologie. Vielleicht habe ich nicht jeden Querverweis richtig eingeordnet, macht nichts. Der Freude an diesem Text tat das keinen Abbruch. Die Erzählung umfasst für diejenigen, die lesen mögen 192 Seiten, bei Der Hörverlag ist eine inszenierte Lesung von hr2 kultur erhältlich, die ich uneingeschränkt empfehlen kann. Besonders der Chor der Mägde, der Penelope begleitet, ist ungeheuer vielstimmig gelungen. Als Sprecherinnen sind u.a. mit dabei:
Nina Kunzendorf, die mal spöttisch mal gedämpft den Löwenanteil des Textes liest, dabei umkränzt wird von einem bunten Strauß weiterer Stimmen, der den Mägden Penelopes gehört. Die schicksalhafte Verbundenheit zwischen der Ehefrau des Helden und diesen Frauen irrlichtert durch Atwoods Text. Verbindungen die über ein bloßes Dienstverhältnis hinausgegangen sind, aber weniger als Freundschaften waren.
Ein Strafgericht unserer Zeit urteilt über die Taten des Odysseus, seine Ehefrau spricht zu uns aus der Unterwelt, Aufbruch zu den Wassern des Vergessens, was für eine Show. Ein toller Mix ist hier entstanden, ein moderner Ausflug in die Sagenwelt. Ein ausgesprochen lohnenswerter wie ich finde! Andere mögen das anders sehen. Verunglimpfend vielleicht, oder zu gewagt. Mir gefällt es, wenn antike Texte so aufgearbeitet werden, dass es leichter fällt die Essenz herauszulesen, die sie für unser modernes Leben intus haben. Atwood wirft Fragen auf, die Epochen überspannen, lässt Geister auf uns und unser Werkeln schauen und sie lässt einmal Odysseus nicht zu Wort zu kommen. Seine Sicht ist ja hinlänglich bekannt … Taucht also ein und habt Spaß mit Penelope und ihren Mägden!
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