Wie die einarmige Schwester das Haus fegt (Cherie Jones)

Mit seiner Hauptstadt Bridgetown ist, die geographisch Mittelamerika zuzurechnende Insel Barbados, eine noch ganz junge Republik. Am 30. November 2021 erst übernahm Dame Sandra Mason als erste gewählte Präsidentin die Regierungsgeschäfte von Königin Elisabeth II. von England. Mit den besten Wünschen für Glück, Frieden und Wohlstand entließ die britische Monarchin den Inselstaat in seine Unabhängigkeit.

Von Unabhängigkeit und gewaltloser Selbstbestimmung können die Figuren in dem Roman, den ich diesmal mitgebracht habe nur träumen und auch wenn ihre Hütte malerisch an einem Karibikstrand liegt, sucht man nach Insel-Romantik vergeblich …

“An dem Tag, an dem sie Adan angebettelt hatte, sie mitzunehmen, sie bei sich in seinem kleinen Haus am Meer wohnen zu lassen, hatte niemand Lala die Geschichte von Wilmas Ehe oder Esmes Brautwerbung erzählt; sie wusste nicht, dass eine Ehe für die Frauen ihrer Familie auf die eine oder andere Art einen Mord bedeutete.”

Textzitat Cherie Jones Wie die einarmige Schwester das Haus fegt

Wie die einarmige Schwester das Haus fegt von Cherie Jones

Ihr Kind wollte offenbar genau jetzt kommen und genau jetzt war Adan wieder einmal nicht da. Aufgebrochen vor Stunden zu einem “Job”. Wohin auch immer. Er war ein Gauner, ein Riese, ein sanfter, hatte sie angenommen. Bis er sie eines Tages eines Besseren belehrt hatte und doch kam sie nicht los von ihm. War jetzt schwanger. Von ihm. Mit Baby. Als hätte ihre Großmutter sie nicht gewarnt. Vor solchen Männern. Denen nur allzu leicht die Hand ausrutschte. Die sich nahmen was sie wollten und wann sie es wollten. Sie brauchte Hilfe, das wusste sie jetzt. Musste klingeln, an der nächstbesten Tür und das war an einer dieser Strandvillen. Sonst würde sie verbluten. Der Schuss fiel fast zeitgleich mit ihrem Klingeln. Ein Schrei vermischte sich mit ihm. Nicht ihrer. Dann öffnete sich die Tür und ER stand vor ihr. Adan. Eine Strumpfmaske in seiner blutigen Hand und eine Pistole …

Sie hatte es losgelassen. Ihr Baby. Hatte eingesehen, das er der Stärke von ihnen Beiden war und das es ihm Angst machte, wenn sie es gleichzeitig so bedrängten. Das auch Adan die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen, in diesem Moment, hatte sie nicht erwartet und Baby fiel. Zu Boden. Lag dort ohne einen Mucks. Machte auch keinen als sie es aufhoben …

Cherie Jones, geboren 1974, wurde 1997 auf Barbados als Anwältin zugelassen, wo die alleinerziehende Mutter von vier Kindern auch heute lebt und arbeitet. Mit ihrem Debütroman 《Wie die einarmige Schwester das Haus fegt》 schrieb sie sich 2021 auf die Shortlist des Women’s Prize for Fiction und seit September 2022 tumelt sie sich, in der deutschen Übersetzung von Karen Gerwig, die bei Culturbooks erschienen ist, (ich darf mich an dieser Stelle herzlich für das Besprechungsexemplar bedanken), auf den vorderen Plätzen der monatlichen Krimibestenliste von Deutschlandfunk Kultur. Seit kurzem dürfen wir erneut gratulieren und zwar zu Platz 3 beim Deutschen Krimipreis 2022, Kategorie International. So verdient!

Jones, über die man bei Wikipedia den Eintrag findet, sie sei selbst eine Überlebende häuslicher Gewalt, schafft in diesem ihrem Debüt eine beklemmend authentische Atmosphäre. 

Hinter den knallbunten Farben des Covers verbergen sich keine Cocktailorgien und Poolpartys sondern eine knallharte, gesellschaftskritische Story. Nix da mit karibischen Ferien. Ungeschminkt und unverstellt wird erzählt. Putz darf blättern. Türen fallen quietschend aus rostigen Angeln. In Tunneln am Rande der Ortschaft Paradise haust das Böse. Das in den Geschichten der Großmutter schonmal unartigen, zu neugierigen Mädchen einen Arm abreißt. Dann konnte, der Legende nach, die einarmige Schwester sehen, wie sie das Haus noch fegte. Was als Abschreckung gedacht war, wie hierzulande Grimms Märchen vom bösen Wolf, lockt hier Lala, eine junge Frau. Scheint sie förmlich aufzufordern, dem Teufel vor die sprichwörtliche Küchentür zu gehen. Was sie am Ende auch tun muss. Um nicht immer und immer wieder zu verlieren. Am Ende. Nicht nur ihr Kind …

Das mit Adan, ihrem Mann, etwas nicht stimmte, merkten viele früh, sie zu spät. Seine Tante als er zehn Jahre alt war. Da stahl Adan zum ersten Mal, ging bei John, dem Einbrecherfreund der Familie in die Lehre und als der nach einem Bruch im Knast landete, beging er seinen ersten alleine. Schlug zum ersten Mal eine wehrlose Frau, bis ihr mehrere Zähne fehlten. Und fühlte nichts.

Was ist das, das einen Menschen zu dem werden lässt der er ist? Was formt den Charakter? Was prägt? Die falschen Vorbilder? Lebensumstände, die bedeuten man selbst hat nichts und andere alles?

Cherie Jones wechselt zwischen Rückblenden, die sich durch das Erinnern während polizeilicher Ermittlungen ergeben, in die Kindheit ihrer Protagonisten und zurück. Obwohl man ahnt, dass deren Aufwachsen kein Ponyhof gewesen sein kann, stockt einem der Atem. Dieses Aufwachsen ist geprägt von Übergriffigkeit und Gewalt, besonders das der jungen Frauen, aber nicht nur ihres. Teils werden sie schon als Kinder missbraucht, was sie lebenslang Opfer oder Tätern bleiben lässt. Missbraucht von Ehemännern, Vätern, Fremden. Die Kälte mit der Mütter, Tanten und Großmütter darauf reagieren, denen selbst widerfahren ist, was ihre Töchter, ihre Nichten, ihre Enkel:innen erleiden, eine Kälte die von inneren Schutzwällen kommt, die errichtet werden mussten um selbst zu überleben, lässt mich hart schlucken. Junge Männer, die getriggert von Erlebtem um sich schlagen. Weil sie keine andere Sprache kennengelernt haben.

Durch eine Erzählstimme, die ein “Wir” anschlägt, tritt die Autorin dann einen Schritt zurück. Nimmt Distanz ein. Schaut von außen auf ihr Personal. Auf das was Geschehen ist. Ein Kniff, der mir sehr gefallen hat. Schaltet diese Stimme dazu, die sie mit der ihrer Held:innen abwechselt und potenziert so die Wucht und Authentizät ihrer Geschichte nochmals. Zieht die Spannungsschraube Umdrehung für Umdrehung an. Treibt uns mit der Handlung in die Eskalation. Die unvermeidlich ist.

Schattenseite. Sonnenseite. Reich und arm. Face to face.

Aber nicht nur auf Lala, Adan und Tone, die in baufälligen Hütten, Einbrüche begehend, Zöpfe flechtend oder ihre Körper verkaufend überleben, wirft Cherie Jones so einen Blick, sondern auch hinter die Mauern und Zäune, die die Villen in Paradise, ihrem Handlungsort, umgeben. Sie leuchtet mit der Spaltlampe in die Herzen derer, die von außen schön sind, hierher kommen um ein Paradies zu erleben, das es in Wahrheit nicht gibt. Die ihre eigenen Dämonen bekämpfen. Hinter glänzenden Fassaden ist eben auch nicht alles aus Gold. Was es kein Stück besser macht. Vielleicht sogar schlimmer.

Die Dynamik dieser Geschichte hat es in sich, Jones klarer Blick in die Spiegel auch, die drastisch die Kluft zeigt, die sich in der barbadischen Gesellschaft auftut, die künstlich aufpolierten Schokoladenseiten und eine Ausweglosigkeit die sich auf Armut und ein Erbe gründet, das diese noch junge Republik zu schultern hat, jetzt wo sie das Britische Empire entlassen hat.

Jones herbe Sprache dazu, die eine ganz eigene Magie und Brisanz entfaltet, die von der deutschen Übersetzung Gerwigs gekonnt betont wird, sitzt paßgenau. In ihrer Klarheit schürt sie die Dramatik dieses Romans, der zwar auf den Krimi-Bestenlisten ganz oben rangiert, den ich aber nicht als solchen gelesen habe. Zu viel mehr steckt in ihm drin und wieder einmal möchte ich allen sagen die dieses Genre für sich beiseite gelegt haben, greift zu, ihr verpasst sonst ein Stück Gegenwartsliteratur, das sich zu entdecken lohnt. Der Krimi hat sich neu erfunden, sprengt die gängigen Genregrenzen und das ist gut so. Man kann mit ihm und durch ihn die Welt entdecken. Eintauchen in das Licht und in die Schatten. 

Alles endet wie es muss, eine Autorin schlägt bei mir ein mit der Wucht eines Colson Whitehead, den ich so verehre! Held:innen finden ihren Mut, die Hoffnung ist die Triebfeder jedweder Veränderung. Bitte gerne mehr davon. Auch von Ihnen, Frau Jones! Ich halte die Augen danach offen und empfehle das Lesen Ihres Romans ganz und gar dringend!

“Sie redet, und der Staub tanzt in den Lichtsplittern, die durch die Kalksteindecke fallen, wie der Feenstaub, in dem Cinderella tanzt, bevor sie verschwindet.” 

Textzitat Cherie Jones Wie die einarmige Schwester das Haus fegt
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