Palast der Miserablen (Abbas Khider)

*Rezensionsexemplar* 

Sonntag, 15.03.2020

Bagdad. Als Kind assoziierte ich den Namen dieser Stadt mit den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, mit fliegenden Teppichen, Geschmeide und mit wunderschönen Prinzessinnen. Heute denke ich an Hitze, Staub und Trümmer. Mehr als ein Krieg hat sich mittlerweile zwischen die Märchen und die Wirklichkeit geschoben. Schiiten gegen Schiiten, Suniten gegen Schiiten, Amerikaner gegen Iraker, Iraker gegen Amerikaner …

An der Stadtgrenze von Bagdad, eine holprige Piste hat längst als Zuwegung die asphaltierte Straße abgelöst die hierher führt, leben heute etwa 45.000 Menschen, im Viertel Hai Tarik, zwischen stinkenden Wasserpfützen und Hütten aus allerlei Zusammengezimmertem. Hierher nimmt uns der Autor Abbas Khider mit in seinem aktuellen Roman und er stellt uns Shams Hussein vor, der durchaus Gemeinsamkeiten mit ihm selbst aufweisen könnte …

“Alle hatten Angst, in diesem Land der unterirdischen Kerker.”

Textzitat Abbas Khider Palast der Miserablen

Palast der Miserablen von Abbas Khider

2003. Zwei Jahre Kerker, nur Donnerstags die Sonne sehen. Seine rechte Hand steckte in einer Handschelle, verbunden war sie mit der linken Hand eines Wärters. Ein gestreifter Gefängnis-Pyjama, ein ausgemergelter Körper darin. Gedanken an Flucht im Kopf und die Frage nachdem Wohin. Er hatte sie alle verraten. Wer sollte ihn jetzt noch verstecken? Wenn er es denn überhaupt schaffen würde sich aus seiner Fessel zu lösen, die Waffe des Wärters an sich zu bringen und fliehen. Die Antwort, die er sich gab, die er sich geben muss, lautete Niemand …

In den 1980zier Jahren. Das Lied einer lerchengleichen Sängerin im staatlichen Radio, zwischen Koransuren und Präsidentenansprachen erklingt ihr Gesang. Sie unterbricht die Stille, die zwischen dem Vater und dem Großvater herrschen, die jetzt schon seit Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt haben. Wir befinden uns im Irak, in einem Ort, den sie übersetzt “Herzliche Hölle” nennen,  weil er auf einem alten osmanischen Fort gründet, in dessen Kellern einst Folter und Gefangenschaft geherrscht haben. Hier lebt jetzt hier der kleine Shams mit seiner Familie.

Der acht Jahre dauernde Irak-Iran Krieg liegt hinter ihnen. Eine Million Menschenleben hatte er gefordert und unser kleiner Romanheld war ein Jahr alt gewesen, als er begonnen hatte. Ein kleines Wirtschaftswunder brach sich danach Bahn, Bananen waren plötzlich für jedermann bezahlbar, alle atmeten auf und dann sprach man plötzlich von der Mutter aller Schlachten und ein Herr Busch aus Amerika war omnipräsent in den Medien …

Abbas Khider, geboren 1973 in Bagdad. Der deutsch-irakische Schriftsteller wurde mit 19 Jahren aufgrund seiner politischen Aktivitäten verhaftet und floh 1996 aus dem Irak. Als Flüchtling lebte er in verschiedenen Ländern, seit 2000 in Deutschland, wo er Literatur und Philosphie studierte. Sein Debütroman Der falsche Inder erschien 2008, im Jahr 2017 war er Mainzer Stadtschreiber. Khider lebt heute in Berlin und wurde für sein Schreiben bis heute mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.

Er erklärt uns die politischen Zusammenhänge dieser Zeit durch die Augen eines Kindes. Sein Held erlebt den ersten amerikanischen Luftschlag in der Nacht. Wüstenstaub und Detonationen. Luftschutzkeller gab es nicht, sie versteckten sich stattdessen im Kleiderschrank und überlebten, nicht nur diesen Angriff. Der Krieg wird zum Alltag, ebenso wie die Unterdrückung, man kennt kein anderes Leben als dieses. Es spielt am Ende auch keine Rolle mehr, wer die Bomben wirft, das Ergebnis ist das was zählt. Die Angst, die Trümmer, der Hunger.

Massenohrfeigungen, nicht nur dieses Wort ist eine einzige Unglaublichkeit. Die Männer seines Heimatortes, sein Vater inklusive, werden auf den Dorfplatz geführt und öffentlich gedemütigt, allesamt geohrfeigt. Solch ein Geschehen zu erzählen, ohne zu werten, das ist schon eine Hausnummer. Khider schafft das. Mit Sätzen denen es nicht an Deutlichkeit fehlt, und immer wenn man denkt, jetzt geht es aufwärts, erleben seine Figuren einen Rückschlag. Werden verleumdet, geraten in Intrigen.

Die kleine Familie um Shams flüchtet vom Land in die Hauptstadt Bagdad, quasi in das Herz des Sturms. Wie eine neue, eine andere Welt fühlt sich die Stadt mit ihrem Chaos aus Händlern und den unterschiedlichsten Gefährten an, wie ein einziger großer Basar. Laut, lebendig und turbulent. 

Zwischen Wellblech und Rolläden. Strom gab es zwar keinen in ihrem neuen Wohnviertel, dem Blechviertel wie sie hier sagten, direkt am Müllplatz, hinter dem Damm. Blechviertel, was für eine wohlwollende Beschreibung für einen Slum. Niemand kümmerte sich darum wer hier baute, was er baute, woraus er baute und wie viele Menschen in seiner Behausung Unterschlupf fanden. Bei Licht betrachtet war dieses Viertel nichts weiter als ein Schrottplatz mit angegliedertem Müllberg. Den Müll der Stadt lud man hier ab und wenn die Müllwagen kamen, kam auch Leben unter die Bewohner. Sie gruben nach Schätzen um das zu Geld oder Baumaterial zu machen, was für andere längst wertlos geworden war. Alle Arten von Armut hatte es hier und im Sommer zwischen dem Blech locker fünfzig Grad,  Sand- und Staubstürme inklusive.

Plastiktüten verkaufen und Sonnenblumenkerne, aufgemotztes aus dem Müllberg. Ich staune über die Schlitzohrigkeit und Geschäftstüchtigkeit die hier herrscht. Handlesen und Kaffeesatzlesen, Shams Mutter macht eine ganz eigene Karriere und das blecherne Wohnzimmer wird zum Sprechzimmer. Seine Schwester wächst zu einer Schönheit heran, die wehrhaft ist und kein Blatt vor den Mund nimmt, während der Vater mit seinem kaputten Rücken seine Zeit im Teehaus verbringt. So vergehen die Tage, Shams geht zur Schule und entdeckt eines Tages auf dem Heimweg ein Paralleluniversum, einen Bücherbasar und er verliert sich begeistert in seinen Gassen …

… als trete man durch ein magisches Portal aus der chaotischen, lauten und harten Stadt hinaus in einen zauberhaften Garten voller Harmonie, wo Buchstaben wie Insekten durch die Luft schwebten und literarische Wesen wie Einhörner zum Leben erweckt wurden.

Abbas Khider Palast der Miserablen

Seine Liebe zur Literatur war geweckt, die Begegnung mit seinem Großcousin, der hier Bücherverkäufer ist, und der ihm den Zugang zu einem Kreis ermöglicht, lässt ihn geistig wachsen. Er entführt ihn in die Büchercafés von Bagdad. Hier sitzt er, das Kind des Müllberges, mitten unter Autoren und Schauspielern, wie ein Wunder war das.

Khider erzählt in Rückblenden, seinen mittlerweile erwachsenen und inhaftierten Protagnonisten führt er in Gedanken zurück in seine Kindheit und dieser nimmt uns mit. Dazwischen immer wieder die Not und das Elend des Gefängnisalltages, die dazugehörige körperliche und seelische Pein. Seine Sprache wechselt von blumig, im Geiste arabischer Geschichtenerzähler, wenn er beinahe verschwenderisch Schönheit und Anmut beschreibt, zu verzweifelt und hart in den Kerkerszenen. Sie kontrastiert stark, ist aber stets der Situation angemessen. Das macht diesen Roman besonders und besonders intensiv. 

Er erzählt von Autoren, die nur innerhalb der Zensur kreativ sein können. Von Autoren im Exil. Von Autoren, die aus dem Fenster fallen, kurz nach der Veröffentlichung ihres Werkes und das nicht überleben.

Willkommen im Palast der Miserablen. Die Wohnung eines blinden vierzigjährigen Studenten wird im Stadtzentrum von Bagdad zum Treffpunkt von Literaten und Shams wird eingeladen. Die kleine Runde hier im Palast der Miserablen öffnet seinen, Shams Horizont. Die Macht des Wortes, die Ohnmacht der Wortlosen, keine zehn Jahre im Frieden leben, das war es, was Shams bislang kennengelernt hatte, hier aber gab es mehr. Mit jeder Geschichte betrat man ein anderes Leben, ein besseres, konnte debattieren, hier konnte man lachen auch wenn einem zum Weinen war …

Foltern, isolieren, hungern lassen. Bedrückend und beklemmend spitzt Khider seinen gut konstruierten Plot zu. Nicht nur den Aufbau seiner Geschichte, sondern auch seine Erzählstimme finde ich bemerkenswert. Er schafft es mich nachdenklich und betroffen zu machen und mich in beinahe dem gleichen Augenblick wieder lächeln zu lassen. Was für eine Balance! Er macht mich ruhelos und lässt mich nach dem letzten Satz schockstarr zurück …

Torsten Flassig, Schauspieler, geboren 1987 in Rüdersdorf bei Berlin, studierte an der Hochschule für Musik und Film in Rostock. “Ich liebe es, auch mal der Arsch zu sein” – mit diesem Ausspruch wird er zitiert. Hier ist er es auf jeden Fall schon mal nicht, soviel sei verraten. Flassig habe ich in der Hörbuch-Produktion von Arno Geigers Unter der Drachenwand zum ersten Mal gehört, da hat er sich noch mit drei Kollegen den Vortrag geteilt, hier hat er die Bühne für sich allein – und er nutzt sie grandios!

Er klingt jung, ja schelmisch. Augenzwinkernd, lebensfroh liest er uns die Geschichte des kleinen Shams vor. Wie auf einem Drahtseil balanciert er zwischen Khiders zwei Geschichtsebenen. Wirkt dann verletzt, verzweifelt und entkräftet wenn wir dem Erwachsenen, dem Verschleppten, dem Shams im Gefängnis begegnen. Ein aufrichtiger, ein sehr empathischer und bewegender Vortrag ist ihm so gelungen!

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