Wie ist das schön, einmal wieder in sein Schreiben einzutauchen. Sein Kalmann ist mir bereits in zwei Bänden ans Herz gewachsen. Er nährt meine Island-Sehnsucht und lehrt mich, wie man mit einem weit offenen Herzen bereichernde Begegnungen erleben kann. Und Abenteuer. Das natürlich auch. Er als Sheriff von Raufarhöfn. Ich als Leserin dieser Geschichten. Zuletzt habe ich Joachim B. Schmidts Tell Adaption gelesen, eine, die sich gewaschen und das Kronjuwel der Schweizer Geschichte gehörig entstaubt hat. Am Ende dieses Textes findet ihr meinen Beitrag dazu nochmal verlinkt. Klickt um zu folgen wie gewohnt auf das abgelegte Buchcover. Alle von Schmidts Geschichten lohnen sich, seine Figuren sind es, die es mir besonders angetan haben. Diesmal habe ich eine weitere kennengelernt: Ósmann.
Der diplomierte Hochbauzeichner Joachim B. Schmidt wurde 1981 in Thusis/Schweiz geboren, ist final 2007 nach Island ausgewandert, lebt und arbeitet als Journalist und Autor, in Reykjavik und hat jetzt einen neuen Job: Hörbuchsprecher. Für den Diogenes Verlag, hat er die Hörbuch-Fassung Ósmanns selbst eingelesen und das ist ganz und gar wunderbar. Schließt man die Augen und lehnt man sich im Sessel zurück, ist es so, als säße er auf der Bühne und man selbst im Saal bei einer Lesung. Sein charmanter Akzent, sein Augenzwinkern hinter so manchem Satzende, sind eine Bereicherung. 8 Stunden und 42 Minuten darf man in der ungekürzten Fassung zuhörend verbleiben und da kriegt man fürwahr so einges zu hören.
Schmidt lässt Bilder in mir wachsen, alles habe ich deutlich vor mir. Die von den neuartigen Stiefeln aus Gummi etwa oder von der Hebamme, die hier Lichtmutter heißt, zänkisch ist und eigenen Kummer im Gepäck hat. In Sturmnächten liest man in einer engen Fährmannshütte. Aus dem Kaffeesatz und rückt zusammen. Bis das Meer wütend den Kampf aufgibt und sich donnernd zurückzieht. Was mag ich das gerne wie Joachim B. schreibt!
Dies sei eine Geschichte nach einer wahren Begebenheit, ausgestaltet mit der Hilfe dichterischer Freiheit. Gleich zu Beginn und noch vor dem Prolog, klärt uns Joachim B. Schmidt auf, dass er sich das herausgenommen habe. Diese Freiheit, Ósmann und seine Geschichte so zu erzählen, wie es ihm gefällt.
Das er sich das erlaubt im Umgang mit historischen Stoffen hat schon seine Version des Tell besonders gemacht. Sehr gerne bin ich diesem Wilhelm Tell gefolgt. Integer war der und tough, durch und durch.
Schmidt nimmt vorweg, dass es auch diesmal, wie beim Tell, ein nach unseren Maßstäben gemessen kurzes Leben sein wird, dieses gelebte Leben einer historisch verbrieften Figur, von dem er uns erzählt und als wir seinen Helden in der Geschichte kennenlernen, steht er gerade nackt vor seiner Haustür um kurze Zeit später eine Entdeckung zu machen, die in zeitlebens nicht mehr in Ruhe lassen wird.
Zweiundvierzig Jahre ist er da alt und der Fährmann hier am Fjord. Seine Nachbarn, nur Eiderenten und die nahen Berge, da konnte man schon mal, wie der liebe Gott Einen geschaffen hatte, im Freien die ersten Atemzüge des Tages tun. Kaum hatte er durchgeatmet, fand er sie. An diesem Morgen. Am Fabelstrand. Eine Frau. Unterkühlt und dem Tod näher als dem Leben. Ein Rettungsversuch scheitert und der Erzähler dieser Geschichte reißt uns los, wir hupfen mit ihm zurück nach 1889. Ósmann ist siebenundzwanzig, als er auf ihn trifft. Oder der Erzähler auf ihn. Wie auch immer.
Robert Seethaler hat mit seinem Roman <Ein ganzes Leben> und mit der Geschichte von Andreas Egger ein Lebensbuch für mich geschrieben. Bei einer lieben Blogger-Kollegin las ich kürzlich, dass sie sich bei der Lektüre von Ósmann an eben diesen Roman von Seethaler erinnert gefühlt habe. Ein schlagendes Argument für mich Schmidts Text mit offenen Armen zu empfangen und genossen habe ich ihn. Dieser Ósmann ist echt ‘ne Marke. Gottesfürchtig und ein sanfter, gütiger, melancholischer Riese.
Jón Magnússon sein Name, Fischer, Robbenjäger, Fährmann, Menschenfreund, Trinker, ein Dichter im Gespräch mit Elfen und Trollen und mit den Toten. Die das Meer sich geholt hat. Als er die Frau findet, die am Fjordufer angeschwemmt wie Treibholz da lag und sie dann wieder verliert, frage ich mich, war sie überhaupt da gelegen?
Gleiches gilt für den Erzähler dieser Geschichte, der wie über dem Geschehen schwebt und doch mitten drin ist und der seine erste Begegnung mit dem Fährmann so erinnert, sie so mit uns teilt:
Zu Fuß hatte er durch die Fjordfurt an der Flussmündung, dem Ós, wie man hier sagt, gewollt. Das eiskalte Wasser, hatte rasch sein Leben bedroht, völlig unterschätzt hatte er sowohl dessen Temperatur als auch die Situation. Erschöpft, nass und durchgefroren musste er mit letzter Kraft auf sich aufmerksam machen und den hilfsbereiten Fährmann, der ihn aufgabelte, den habe er sofort und spontan gemocht.
Die Fähre zwischen Ost- und Westbank war damals noch ein einfaches Ruderboot gewesen, als Jón dem Vater im Beruf nachfolgte und bevor man ihn den Mann am Ós, den Ósmann nannte. Bei den Norwegern hingen Fähren an einem Stahlseil und diese Idee pflanzen Vater und Jón, bei den Zuständigen und sie trägt Früchte. Sie bekommen eine Seilfähre, mit der sich jetzt auch Pferde und größere Lasten sicher transportieren lassen und der Sohn übernimmt den Job.
Mit Gedichten hilft Jón Magnússon Passagieren die Angst haben hinüber, konnte Poesie doch nahezu jede Sorge heilen, da war er sich sicher. Für die mit größerem Kummer oder kalten Füßen gab’s in seiner Hütte < Emanuel> Eintopf, Robbenfleisch oder Selbstgebrannten, Brennivín. Aus einem Fass, dass nie leer wurde. Ehrlich. Elfenzauberei, sehr wahrscheinlich.
Der Winter wird das große Schlottern genannt.
Textzitat Joachim B. Schmidt – Ósmann
In jener Zeit hier aufzuwachsen war kein Spaß. Der harte Frost, Treibeis, die lange Dunkelheit, wenig Brot und als Krankheiten drohten Influenza, Typhus und Tuberkulose und Ósman lernte, dass man nicht nur daran, sondern auch an Heimweh sterben konnte.
Die Erwachsenen sahen früh älter aus als sie waren. Einer ging mit dem Grabstein auf dem Rücken ins Wasser. So geht die Sage, diese und ähnliche Geschichten erzählte man sich hier am Fjord, wo es mehr davon gab als Muscheln. Ein ganzes Meer solcher Geschichten.
Freunde träumen hier Träume von Amerika, von Kanada, da gab es Bäume. Träume vom Auswandern, das konnte man und manche taten es auch. Ósman verlor so seinen besten Freund, der ging nach Selkirk wurde Holzfäller, tauschte ein wildes, kaltes Land gegen ein anderes.
Sich wundern über das Glück, über die Leichtigkeit eines Sommers, die den Osman, der noch jung ist, mit einer Witwe zusammenkommen lässt. Eine Frau, die den Versen die er jetzt im Geheimen dichtet eine ganz neue Richtung gibt. Eine, die ihm ein Kind schenkt. Das nicht bei ihnen bleiben darf. Der Husten und das Fieber sind dagegen. Gewesen.
Es wogt hin und her in diesem Leben, das es mit diesem Mann nicht nur gut meint und trotzdem kam ihm nie die Güte abhanden. Selbst sein letztes Hemd hätte er noch verschenkt. Nie jammerte er.
Ganz in der Nähe seines Fähranlegers haben die Isländer zu Ehren dieses Jón Magnússon, dem Ósmann, ein Denkmal aufgestellt. Um die Jahrhundertwende kannte ihn in Island jedes Kind und Schmidt erzählt von ihm, über ihn, als säße man in geselliger Runde am Lagerfeuer. Jeder steuert eine Anekdote bei und alle sind sie wohlwollend, manche humorvoll, andere traurig. Besonders eingedenk seines Endes, für das sich der Fährmann aus freien Stücken entschieden hat.
So ist dieser Roman, den ich sehr gerne gemocht habe, auch eine Hommage an Schmidts Wahlheimat geworden, für mich fühlte es sich so an und auch mein Herz schlägt für die sympathischen Isländer, ihre Lebensart, ihre großartige Natur, die Spiritualität die an vielen Orten zu spüren ist. Auf einer Reise vor einigen Jahren durfte ich das erstmals spüren. Unsere Erde ist noch ganz jung hier und wenn ihr Inneres nach außen dringt, beängstigend schön.
Was für ein Leben, was für eine Geschichte und was für ein genialer Kunstgriff, den Erzähler dieser Geschichte körperlos zu halten, geisterhaft, damit wir im Zweifel bleiben, darüber was der Ósman vermochte und gewiss sein können, dass es hier mehr Geschichten gibt als Muscheln am Strand …
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