Türen öffnen und schließen sich für diejenigen, die unterwegs sind, sie eröffnen Möglichkeiten oder schließen uns von ihnen aus. Das gilt und galt zu allen Zeiten. Nicht selten wurden selbst denen, die wir dieser Tage als berühmt verehren, Türen vor der Nase zugeschlagen. Der Dramatiker William Somerset Maugham war davon nicht ausgenommen. Heute zählt er zu den meistgelesenen englischsprachigen Erzählern des 20. Jahrhunderts. Bis er sich diesen Ruf ans Rever heften konnte, hat er so einiges an Zurückweisung erfahren, nicht zuletzt deshalb, weil er unter einer Form des Stottern litt, die seine Rede verzögerte und sich eher zu Männern als zu Frauen hingezogen fühlte. Weil er offen mit seinem Sekretär und Geliebten verkehrte, trotzdem er verheiratet war und Vater.
Im Ersten Weltkrieg diente er dem britischen Geheimdienst MI6, war Informant für den amerikanischen. Er reiste viel und gerne, fand unterwegs zu seinen Geschichen, war in der Südsee und in Asien unterwegs.
In diesem Roman machen wir mit ihm in den 1921ern Station in Malaysia. Bei einem alten Studienfreund und Anwalt Robert Hamlyn, dessen um einiges jüngere Frau Lesley zunächst ablehnend, dann erfreut ist, über die Lebendigkeit, die mit Maugham einzieht und erstmals öffnet sie sich und sie hat einiges zu erzählen …
"Ich lebe jetzt an einem anderen Meer, einem aus stummem Stein und Sand." Textzitat Tan Twang Eng
Das Haus der Türen von Tan Twan Eng
Als der Postbote sein Fahrrad abstellte, saß sie auf ihrem stoep, wie man die Veranda eines Hauses hier nannte und schaute auf die Berge in der Ferne. Er händigte ein Päckchen aus, das danach aussah, als enthalte es ein Buch und es war an sie adressiert. Etliche Poststempel dokumentierten die Reise, die es zurückgelegt hatte und ihre Dauer. Gut ein halbes Jahr war es hinter ihr her gereist von London über Malaysia bis hierher, nach Südafrika.
Wo sie widerwillig ein Leben nach ihrem Leben begonnen, wo sie ihren Mann inzwischen begraben hatte …
Tan Twang Eng, geboren 1972 in George Town auf der Insel Penang/Malaysia, studierte Jura in London und praktizierte lange als Anwalt, u.a. in Kuala Lumpur, bevor er begann Bücher zu schreiben. Eng, der in Südafrika und Malaysia lebt, wo er auch seinen Roman verortet hat, lässt sie erzählen. Sie und Maugham im Wechsel.
<The House of Doors>, wie Tan Twan Engs aktueller Roman im Original heißt, gründet seine Handlung auf wahre Begebenheiten, u.a. auf einen malaysischen Mordfall aus dem Jahr 1911, den er zeitlich etwas verlegt. Auch Maugham hat diese Story adapiert und verfilmt wurde sie, mit Bette Davies.
Für den Dumont Buchverlag, lieben Dank für das Besprechungsexemplar, hat Michaela Grabinger <Das Haus der Türen> ins Deutsche übersetzt, ein Roman, der laut Financial Times und Washington Post zu den bedeutendsten belletristischen Titeln des Jahres 2023 gehört. Die Jury des Man Booker Prizes setzte ihn im gleichen Jahr auf ihre Longlist, auch die beiden Vorgänger Tan Twan Engs waren long- bzw. shortlistnominiert.
Moment eben, ich muss mal kurz zu meinem Bücherregal. Tatsächlich, dort steht, Asche auf mein Haupt, noch ungelesen, Engs zweiter Roman <Garten der Abendnebel>, für den er 2012 mit dem Man Asian Literary Prize und 2013 mit dem Walter Scott Prize für historische Romane ausgezeichnet wurde. Wie habe ich den denn übersehen können? Und was bin ich nach dieser Lektüre froh, noch etwas Vorrat von diesem Autor in meinem Fundus zu haben.
Zeit, gefangen genommen an der Wand, die Welt reglos, einhundertfünfzig Meilen nördlich der großen Karoo. Herbstsonnenwende, Tag und Nacht im Gleichgewicht.
Was für eine schöne Sprache, die Michaela Grabinger mit ihrer Übersetzungsarbeit leicht blumig angehaucht hat. Sie unterstreicht Tan Twan Engs poetische Sätze doppelt. Gern hab ich das gelesen, man kann sich diesem Ton herrlich ergeben. Versinken in ihm und in der Zeit, in der seine Geschichte sich abspielt. Gefreut habe ich mich nach dem Zuschlagen, zumeist am Abend, wenn mein Tag zur Ruhe kommt, hierher zurückkehren zu können.
Far away, in weiter Ferne, stapeln sich unerfüllte Wünsche und Hoffnungen, schreiben Raubvögel Kreise in den Himmel. Krieg ist aufgezogen. Eine Rückkehr nach Hause unmöglich. In Gedanken und auf den Flügeln der eigenen Erinnerung folgen wir Lesley Hamlyn und landen sanft im Jahr 1921, in einem hellen, luftigen Haus, mit Aquarellen an den Wänden, sie sind von ihr …
Waren es wirklich nur zwei Wochen gewesen? Zwei Wochen mit intensiven Gesprächen und ja, es hatte sich in dieser Zeit erstmals wieder so angefühlt als sei sie am Leben. Sie würden ihr Haus verkaufen müssen. Kurz vor dem Abendessen, ihr Besuch, Willie Maugham, war gerade erst angekommen, da hatte ihr Mann ihr das eröffnet. Sein Arzt empfehle seiner Lunge wegen, einen Aufenthalt in der Wüste. Sollte sie, wollte sie ihm folgen, ans andere Ende der Welt? Lesley wollte das nicht und musste doch. Wie betäubt war sie nach dieser Ankündigung.
Alte Narben, die jetzt wieder schmerzten und eine Vergangenheit, so gegenwärtig. So wie er.
Der Schriftsteller, der stammelte. Der das nächste Wort förmlich aus sich herauspressen musste. Einer der, das hatte sie, als er bei ihnen auftauchte noch nicht gewusst, gerade sein Vermögen verspekuliert hatte. Einer dem man nachsagte er sei ein Spion? Und der offenkundig homosexuell war, der seine Ehe nur zur Tarnung aufrecht hielt. Er reiste offiziell mit seinem Sekretär und wollte gleich zwei Wochen bleiben? Das konnte ja heiter werden.
Sehr clever wechselt Eng immer wieder die erzählerische Perspektive, wählt die Ich-Form, dann wieder setzt er eine erzählende Stimme helikopterartig ein. Damit rückt er näher an seine Figuren heran, um anschließend wieder auf Abstand zu ihnenezu gehen. Ein Kniff, der mir sehr gefallen hat und mich sehr gut mit den Handelnden in Kontakt hat kommen lassen.
Sprachlich fließt seine Geschichte ganz wunderbar. Angereichert mit poetischen Einwürfen wirken Engs Sätze unangestrengt und leicht, wie aus dem Ärmel geschüttelt. Dann etwa, wenn “die Tinte der Nacht zu Morgengrauen verwässert”. Ein Effekt, den wir auch der Übersetzungskunst von Michaela Grabinger zu verdanken haben, die diese federleichte Art des Formulierung so behutsam aufgenommen hat.
Rikschazieher, Opiumraucher, chinesisches Schach und Tempel am Straßenrand auf denen sich Drachen drängeln, houseboys und Gehsteige voller Passantinnen mit Sonnenschirmen. Dann Afrika. Weite und eine nahegelegene Wüste, die Nachts Kühle schickt und Sterne. So viele.
Dieses Setting mochte ich mindestens genauso gern, den Tee und die Drinks auf der Terrasse, wenn am Abend der Garten im Zwielicht verschwindet, nur der exotische Duft von Jasmin und Frangipani zurückbleiben und die alten Geschichten, die von Mund zu Ohr gehen. Die Gäste, die hier ein und ausgehen. Hermann Hesse unter ihnen und ein bedeutender chinesischer Revolutionär.
Gerüchte besagten Lesley Hamlyn sei diesem Dr. Sung, Chinesen und Rebell, bei seinem Besuch in Penang “sehr nahe” gekommen. Der Erzähler in Somerset Maugham merkt auf. Wie könnte er auch nicht?
Mit einem blauen Auge davon kommen. Das wird sie. Sicherlich. Lesleys beste Freundin Ethel. Vielleicht nicht. Der zuständige Richter hatte ihr soeben einen Mord angelastet und auch wenn Lesley es nicht wahrhaben wollte, sie selbst wusste mehr als sie sollte. Und schwieg.
Der Roman und sein Autor eröffnen einen zweiten Teil und ein Gerichtsdrama nimmt seinen Lauf. Eine Handlung in der Handlung, Lesley erzählt Somerset davon und auch wie es vor rund zehn Jahren begann in ihrer Ehe zu kriseln. Von ihrer Wut, ihrem Aufwachen. Ich höre zu, wie mit einem Bann belegt.
Spannend kombinieren sich Fakten und Fiktion. Wo endet die Dichtung wo beginnt die Wahrheit? Die Grenzen verschwimmen. Die Geschichte Chinas, Siege und Niederlagen, die Lebensart privilegierter weißer Kolonialherren. Ihr Blick auf die Welt. Die Rolle der Frau in dieser Gesellschaft. Dieser Mix, gut ausbalanciert die Themenvielfalt, ich bin fasziniert und gespannt, was in diesem meinem Lesejahr noch an Geschichten auf mich wartet, das hier könnte allerdings das Buch meines Sommers sein. Die ersten warmen Tage dieses Jahres liegen bereits hinter mir. Der April. Diese Lektüre begleitete mich wie ein Tanz in den Mai. Passte mit ihrer Opulenz ganz wunderbar zum Erwachen der Natur. Lasst Euch auffordern. Von diesem Roman und seiner Heldin. Die so manches Mal am Abgrund balanciert und durch das Haus der Türen wandert. Eine Hand auf dem Licht, das durch die Fenster fällt. Durch ein Haus, das eine Türensammlung, dunkle Dielen und jetzt auch eine verbotene Affäre beherbergt. Das ein Zufluchtsort und kühl im Inneren ist, auch an heißen Tagen.
Ein Flüsterbaum verrät die Zukunft und die Sehnsucht danach Heimat zu finden, schließt die Kapitel dieses Roman. Was für ein schöner. Durch und durch.
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