“Darum geht es in der Lyrik. Sie erinnert uns genau an diese Tatsache. Durch Dichtung vermittelt uns die Menschheit, dass wir nicht völlig allein auf der Welt sind. Dichtung ist eine tröstliche Stimme, die durch die Zeiten halt, wie der schwermütige Klang eines Nebelhorns in der nautischen Nacht. Dichtung ist eine Trittleiter zwischen den Jahrhunderten. Vom antiken Griechenland zu morgen Nachmittag.”
Textzitat Offene See Benjamin Myers
Ein Leben und Lesen ohne Lyrik ist möglich, aber sinnlos. So formuliert es Denis Scheck frei nach Loriot. Recht hat er. Was wäre ich ohne meine regelmäßige Dosis Hesse. Unser Sammelband seiner Gedichte fällt schon auseinander, an unseren Lieblingsstellen lösen sich die Seiten aus der Bindung, so oft, haben wir das Büchlein hier aufgeschlagen. Poetisch, lyrisch, naturverbunden und mit nach innem gerichteten Blick ist diese Geschichte hier unterwegs. Die wahrscheinlich gefühlt schon jeder gelesen hat, bis sie jetzt auch bei mir angekommen ist. Aber genau jetzt in den Spätsommer gehört sie für mich, jetzt will sie gelesen werden, oder gehört? Während ich meiner neu eingesäten Bienenweide beim Wachsen zuschaue, den Schmetterlingen am Lavendel beim Tanzen und endlich hat es auch wieder mehr als eine Hummeln in unserem Garten, die fleißig bis in den späten Abend hinein ihrem Tagwerk nachgehen …
Offene See von Benjamin Myers
Verschnürt mit einer rosaroten Kordel, mit der man eigentlich juristische Dokumente bindet, lag es da. Am Boden eines zugestaubten Koffers, den er beim Entrümpeln der maroden Hütte gefunden hatte. Ein Manuskript. Offene See – lautete der Titel. Gedicht reihte sich in seinem Inneren an Gedicht. Wehmütig, melancholisch zogen sie nach dieser Nacht, die er lesend durchwacht hatte an seinem Herzen. Er musste Dulcie fragen, wie es hierher gekommen war und ob sie die Autorin gekannt hatte. Was aus ihr geworden war. Unbedingt. Ganz unbedingt …
Müde, aber hellwach. Das Gefühl kenne ich, und ja, es gibt diese Nächte, die alles verändern. So wie der Wechsel der Jahreszeiten ist, unumkehrbar. Es könnte enden und was, wenn es das tut?
Mit einem alten Citroen und einem alten Hund durch die englische Landschaft brausen. Das geht hier und mit Bienen kriegt mich eh jede Geschichte, diese hier hat mich besonders an einen Nachmittag meiner Kindheit erinnert. Meinem Großvater, einem leidenschaftlichen Bienenzüchter, war ein Schwarm ausgebüxt. Auf einem Apfelbaum in Nachbarsgarten, einem weitläufigen Gelände am Waldsaum, hatte er sich niedergelassen. Mein Vater war noch nicht wieder von der Arbeit zu Hause und mein Opa beschloß, seine älteste Enkeln, also ich, könne ebensogut beim Einfangen helfen. Mensch, hatte ich Schiß und fasziniert war ich irgendwie auch. Als mein Opa mich in einen Schutzanzug steckte, der mir viel zu groß war und sich seine Pfeife ansteckte, klopfte mein Herz bis zum Hals …
In Offene See fängt Robert mit Dulcie einen Schwarm Bienen ein und allein dafür muss man diese Geschichte einfach mögen. Wenn man sich nicht schon zuvor in ihre Landschaftsbeschreibungen verliebt hat, oder in ihre Grundstimmung. Wie ein überlanger Sommer, in dem man barfuß laufen und die Zeit vergessen darf. Wie ein großer Eisbecher mit Sahne fühlt sie sich an. Weil sie die Idee transportiert das ein Ausstieg möglich ist. Jederzeit. Das man Menschen, die es gut mit einem meinen, die einem den Blick öffnen unverhofft begegnen kann. Jederzeit. Weil das eigentliche Glück in der Einfachheit liegt und weil wie modernen Menschen das vergessen haben. In unser Hast, in unserem Alltag.
Hohlwege. Das Wasser als Wegweiser. Wiesengrundstücke gerade so im Zaum gehalten von niedrigen Zäunen. Ein Ausstieg auf Zeit. Sich Fragen stellen von denen man gar nicht wusste, das man sie hatte …
Mit Robert wandere ich durch die nordenglische Landschaft. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, 1946, hat England sich noch nicht wieder von den Entbehrungen und dem Schrecken erholt. In den Menschen hat es noch Spuren, Narben die wohl auch bleiben werden. Auf der Flucht ist der Held dieser Geschichte, Robert. Auf der Flucht vor den zwei KKs, den Kriegsfolgen und der Kohle. Seinem Vater wollte er nicht in den Schacht folgen, nicht im Bergbau als Tagelöhner landen wie alle in seiner Familie zuvor. Wo er doch Bewegung und frische Luft so liebte …
Zwischen Brennesseltee und Zitrone abtauchen, ein englisches Cottage besuchen. Bei Dulcie Piper habe ich mich gleich zu Hause gefühlt und willkommen. So wie Robert. Mit ihm hingegen konnte ich bis zum Schluß wenig bis nichts anfangen. Er trödelt sich mit seinen süßen sechzehn so durch sein jugendliches Leben, naiv und unbedarft, das liegt mir irgendwie nicht.
Dulcie hingegen gibt sich pragmatisch und weltgewandt. Was die Deutschen und die Engländer trennt, sagt sie, ist nur eine andere Methode Brot zu backen. Das und das Wasser, meinen tut sie die Nordsee und die war noch nicht einmal von Anfang an da gewesen.
Gespräche über Gott und die Welt führt sie mit Robert, über den Krieg, Tod und Verderben, Hummer und Bärlauch. Gekommen um zu bleiben. Also erst einmal eigentlich zum Abendessen und dann irgendwie für länger.
Also ich für meinen Teil, Gartenfan bin ich ja eh, mochte glaube ich dann doch die Küche im Cottage am liebsten. Sie und den Eisenherd, das Kochgeschirr, das überall von Haken baumelt. Wie das Häuschen sich im Garten duckt … zauberhaft. Und was Dulcie hier kredenzt ist auch nicht von schlechten Eltern. Gegessen wird meist draußen und zur Lyrik, die für sie vorgelesen gehört, schmaucht sie genüßlich eine Zigarre. Die Frau ist großartig!
Was wird das mit mir und diesem Hörbuch? Ich glaube ich gebe auf, es liegt am Sprecher, nicht an der Geschichte. Leider. So erging es mir schon nach einer Stunde. Weswegen ich dieses Hörbuch nicht empfehlen kann. Beinahe hätte er, der Sprecher, mir den Roman gar verleidet. Dran geblieben bin ich dann, weil ich wissen wollte was das mit diesen beiden Fremden wird, die hier zu Freunden werden. Was ein jeder am Ende für sich mitgenommen haben wird und weil dieser Sommer sich so herrlich unbeschwert angefühlt hat, wie der ein oder andere meiner Kindheit.
Zuviel Bedeutung und Betonung legt er in die Sätze, für mich fühlte sich das an wie eine einzige Übertreibung. Der Text ist allein für sich schon prosaisch genug, da hätte sich für mich der Sprecher mehr zurücknehmen müssen, damit er Wirkung entfalten kann. So deklamierend, mit weit ausgebreiteten Armen am Bühnenrand stehend, so habe ich ihn ständig vor Augen gehabt. Wie ein Shakespeare-Darsteller und auch mit der Stimmfarbe von Herrn Zapatka habe ich schwer gekämpft. Nein, das war leider gar nicht mein Hörbuch. Dabei wurde …
Manfred Zapatka, geboren 1942 in Bremen, deutscher Schauspieler, in der Kategorie Bester Interpret 2009 für seine Lesung des Ilias mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.
Vielleicht hatte ich mit Zapatkas Vortrag aber auch so meine Probleme, weil er in einer meiner Lieblingsserien von Dieter Wedel, Wilder Westen inklusive, einen Charakter gemimt hat, den ich so gar nicht verknusen konnte. Da hätte ich bei der Entschiedung diesen Roman zu hören einfach besser aufpassen müssen wer da liest …
Das Meer und ich, wir hatten ein Zerwürfnis und das ist es, was mich dann doch am Hören hält. Ich will wissen, wie es diese Frau fertig bringt, sich eine Versorgung mit Hummer und Weißwein in Zeiten von Hunger und Rationierung zu sichern. Was es ist, das sie nicht mehr an den Strand gehen und auf das Meer schauen lässt?
Benjamin Myers, geboren 1976, lebt mit seiner Frau in Nordengland, er veröffentlichte bereits mehrere Romane, Sachbücher und auch Lyrik. DAs merkt man diesem seinem Roman an, ganz ohne jeden Zweifel und in nahezu jedem Satz …
Eine wahrlich blumige Sprache mussten Ulrike Wasel und Klaus Timmermann finden um Myers Landschafts- und Florabeschreibungen ins Deutsche zu transportieren. Das schaffen die beiden wie immer meisterlich. Sie finden Entsprechungen für alles was hier wächst, gleich ob am Wegesrand oder in Dulcies Gärtchen.
“Durch Lachen bestärkt. Durch Liebe beschwingt bin ich für immer in Deinen Atomen.”
Textzitat Offene See Benjamin Myers
Könnt Ihr sie sehen? Diese Wildwiese, die Hütte, die sich zwischen den Halmen windschief druckt, die Seeluft, die frisch über sie hinweg streicht und dort jenseits der Bucht die offene See …
Immer gerne!
danke für die schöne rezension. leider geht es mir mit dem sprecher genauso.