Woran erkennt man modernen Terror? Was hält Gruppen wie Al-Qaida, IS & Co. zusammen? Wenn man versteht, kann man dann auch verhindern? Drohnen über dem Hindukusch. Wir sehen nur was wir sehen sollen. Der 11. September 2001 hat alles verändert. Eine Zeitenwende eingeläutet. Unser Urvertrauen erschüttert. Was macht Gewalt mit denen, die sie erleben?
Journalisten wie diese Autorin erleben in den Krisenherden dieser Welt, wie Geist und Seelen beschädigt werden, nicht nur Fleisch und Knochen und sie erzählt uns davon in ihrem Debütroman aus dem Februar 2021, der im Verlag Antje Kunstmann erschienen ist und der mir aktueller scheint denn je. Leider.
Oder sind es Sterne von Eva Munz
Im Sommer 2001, drei Männer eine Frau. Es beginnt. Hasir Zaman, wohlhabender Exil-Afghane, lebt in Paris. Ne_ en Sameer, wächst in einem Waisenhaus in Kabul auf, er ist sein Neffe. Leutnant Ryder, Ex-US-Marine, beginnt eine Ausbildung in einer Special Force für einen internationalen Spezialeinsatz. Auf einer Ranch in der Wüste, nur ein Windrad sorgt hier für Strom. Nichts ist hier und alles. Anders sehen lernen, tote Winkel aus dem Kopf verbannen. Sollen sie. Hellsehen müsste man können um Attentate zu stoppen. Ryder und die Kollegen seiner Einheit sind deshalb hier. Sie sollen ihr drittes Auge wecken. Mantras werden gemurmelt. Kräuter aus den Händen eines Schamanen wirken anders, es ist nicht mehr lang bis zum 11. September …
Verschwunden wie ein Spuk, nur ihr Duft bleibt im Raum. Fotos auf deren Oberfläche Erinnerungen treiben. Der Ring seines Vater. Er ist weg. Sie auch.
Afghanistan deine Erde ist blutgetränkt, sogar die Äpfel schmecken hier nach Fleisch, höre ich einen von Eva Munz’ Protagonisten sagen.
Die Sünden seiner Mutter stehen ihm ins Gesicht geschrieben sagen sie auch. Prügeln ihn dafür, stecken ihm im Schlaf die Haare an.
Zwei Erzählebenen, dann eine dritte. Zwei Welten und Lebensentwürfe die unterschiedlicher nicht sein könnten. Wie passt das alles zusammen? Wo berühren sich diese Enden? Nach und nach erkenne ich, diese losen Fäden ergeben ein Muster. Ein ganz bestimmtes. Eines das mitten ins Verderben führt …
Eva Munz studierte an der HFF München Film, arbeitete dann als Regisseurin und Journalistin. Sie lebt in New York, ist Co-Autorin von Die totale Erinnerung – Kim Jong Ils Nordkorea (2006). Mit Oder sind es Sterne legte sie im vergangenen Jahr ihren ersten eigenen Roman vor und brennt gleich ein inhaltliches und stilistisches Feuerwerk ab. Eloquent, mal mit Gesten andeutend, mal poetisch ist sie unterwegs, ihren drei Perspektivwechseln verpasst sie auch gleich drei unterschiedliche Erzählformen. Über den Marine Ryder schreibt sie in der Er-Form, Sameer der jugendliche Neffe agiert als Ich-Erzähler und über Hasir schreibt sie, was man nicht oft hat, in der Du-Form. Zu den Dreien gleich mehr.
Facettenreich ist ihre Geschichte von Zerrbildern und Helden, davon wie ein Held zu sein hat. Von quälenden Fragen und von trügerischen Erinnerungen. Worauf ist Verlass? Wer darf man sein? Munz lässt gekonnt wie in einem Aquarell die Konturen verschwimmen. Wem kann man vertrauen?
Spannend verwoben sind bei ihr Weltgeschehen und Einzelschicksale. Galgenhumor unter Soldaten trifft auf eine halbseiden anmutende, geerbte Welt aus Luxus. Zum Bindeglied wird ein Song: I’m a Survivor von Destiniy’s Child.
Verbindungen, Netzwerke sichtbar gemacht auf einer Weltkarte. Selbstmordkommandos. Gott ist groß.
Eine Warnung. An die USA. Vor Anschlägen. Vor einem Mann. Sein Name: Osama bin Laden.
Die Vergangenheit hat einen langen Arm und einen langen Atem. Sie holt uns immer wieder ein, Schuldgefühle bleiben nie für immer stumm.
Episodenhaft breitet Munz ihre Geschichte vor mir aus, so als lägen 1000 Puzzleteile auf dem Tisch. Ich beginne sie zu ordnen, betrachte sie genau, überlege wie sie sich zusammenfügen lassen bis sich ein Bild ergibt. Ihre Hauptfiguren lerne ich dabei reihum kennen. Als da wären, Hasir, seine Eltern stammen aus Afghanistan, der jetzt in einem Penthouse in Paris lebt, studiert hat, Grace Jones hört und teuren Cognac trinkt.
Mohnblüten begründeten das Imperium seines Vaters. Das Geld, das ihre schwarzen Samen einbrachten, sein Erbe, es beschämt Hasir. Die Annehmlichkeiten, die es ihm schenkt genießt aber dennoch. Er denkt an die Bauern, die der Vater dafür ausgebeutet hat, die trotzdem zu dessen Beerdigung gekommen waren, ihn zu ehren. Zeit wieder gutzumachen, Schuld abzutragen. Dafür guckt er sich seinen Neffen aus. Holt ihn aus dem Waisenhaus in Kabul in die USA. Willkommen in der Traumfabrik …
In den USA zieht Ryder, Ex-Marine in ein Ausbildungscamp, seine Frau, die mit ihrem unerfüllten Kinderwunsch kämpft und Rauschmitteln aller Couleur zugetan ist lässt er zurück. Der General hat ihn verführt. Mit Ideologie. Ich hoffe es ist die richtige …
Sameer erfährt im Waisenhaus in Afghanistan das er einen Onkel hat und am Ende kein Waise ist. Er soll Englisch lernen und nach Paris aufbrechen, dann in die USA. Als die Türme brennen ist er dort, nur mit seinen Papieren stimmt was nicht …
Gotteskrieger, Volksnähe, wo bitte liegt im Dschihad Poesie? Armut und Chaos sind der ideale Nährboden für Verführung und Fanatismus. Eva Munz versucht die Hintergründe der fortwährenden Afghanistan-Konflikte zu beleuchten. Durch ihre blickwechselnde Erzählweise gelingt es ihr nachdenklich zu machen ohne selbst zu werten. Die Musik von Destiny’s Child kontrastiert dabei so stark mit dem Leben in Afghanistan, das es auf den ersten Blick unmöglich scheint sie als Bindeglied einzusetzen. Vielleicht funktioniert es aber genau deshalb so gut. Wahrscheinlich auch genau dieses Titels wegen: I’m a Survivor. Ums Überleben geht es hier auch.
Ein Fallschirmsprung, eine Abschiedsreise, Schluss machen mit einem Land zu dem Mann keine Verbindung mehr spürt. Alles klar. Nichts ist geklärt. Ein Sturz in die Dunkelheit wirbelt Erinnerungen auf. Den Staatsfeind Nummer 1 stellen lautet der Plan. Die Mission illegal.
Ein Himmel aus Beton, allein mit dem Schmerz, schwarze Tinte in den Adern. Nach den Bomben ist vor der Heimkehr. Eine Drohne. Friendly fire. Das sind keine Sterne …
Showdown. Solche Bilder kennen wir aus dem Fernsehen. Sie verfolgen Veteranen. Traumatisieren. Eva Munz beschönigt nicht und sie liefert mit diesem Roman weit mehr als einen Thriller ab, dieses Etikett habe ich irgendwo an ihrer Geschichte kleben sehen und verstehe es absolut nicht. Sie ist empathisch und versteht es einen Spannungsbogen zu halten, der sich wie von selbst ergibt.
Mir hat gefallen was sie da erzählt, wie sie vernetzt, webt und wie sie erzählt. Ausgesprochen gut. Die Gedankenwelt ihrer Protagonisten ist ihr wichtig und mit Zwischentönen zu erzählen. Die kann man auch hören. Perfekt sogar und für die Fraktion der Hörbuch-Fans gibt es eine gute Nachricht. Die GehörGäng versammelt gleich drei Sprecher:innen, die die Geschichte einlesen und die mir beim abwechselnd lesen und hören Gänsehaut-Momente beschert haben. Allen voran Oliver Nitsche mit seinem Part, der mich stimmlich umgehauen hat und der perfekt ergänzt wird von Patricia Schäfer und Pierre Sanoussi-Bliss. Alle geben satte zehn Stunden lang alles. Bis zum bitteren Ende …
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