Südfall (Florian Knöppler)

Diana Henriette Adelaïde Charlotte Gräfin von Reventlow-Criminil, geboren am 29. Mai 1863, verstorben am 5. August 1953, auf der Hallig Südfall ist den Nordfriesen der Uthlande als “Hallig Gräfin” bekannt. So kann man es bei Wikipedia nachlesen. Überliefert ist auch, dass die Gräfin, die die Hallig Südfall 1910 erworben hat und bis ins hohe Alter dort lebte, eine Pferdenärrin gewesen ist und von den Nationalsozialisten nichts gehalten hat. Als “braune Baggage” habe sie sie tituliert und einen, über dem Wattenmeer abgeschossenen britischen Piloten, soll sie aus dem Schlick gerettet und zwei Wochen lang auf ihrem Hof versteckt haben.

Ich bin der Geschichte dieses Soldaten schon einmal begegnet, im Roman <Schneetage> von Jan Christophersen. Der englische Pilot soll auf seinem Weg durch das Wattenmeer im Nebel, unterkühlt und orientierungslos, mittels einer dort gefundenen Tonpfeife, einer Okarina, auf sich aufmerksam gemacht haben. Es geht die Sage diese Pfeife stamme aus Rungholt, einem Ort, den zwei Sturmfluten, final 1634, im Meer versenkt haben und dessen Schicksal und seine geographische Lage Forscher bis heute zu ergründen suchen. Zuletzt entdeckte man im Mai 2023, in der Nähe der Hallig Südfall, Überreste einer Kirche im Watt und schrieb sie Rungholt, dem “Atlantis der Nordsee” zu.

Eine Gegend also, um die sich viele Mythen ranken, die wie geschaffen ist, als Kulisse für eine noch unerzählte Geschichte. Das muss sich auch der Autor Florian Knöppler gedacht haben, der uns in seinem aktuellen Roman mitnimmt auf eben diese Hallig und der sich seine eigenen Gedanken gemacht hat, was dort im Sommer 1944 passiert sein könnte und wie es ist, sich wenn es drauf ankommt wie ein Mensch zu verhalten …

Südfall von Florian Knöppler

Alles tat weh. Aber, er war am Leben. Soweit unverletzt. Die Frage war jetzt nur, wie lange würde er es bleiben. Ihm war eiskalt, er hatte keinerlei Orientierung und der Schlick machte ihm das Fortkommen schwer. Dichter Nebel umgab ihn, Nebel von der Sorte “da sieht man die Hand vor Augen nicht”. In welche Richtung musste er um an Land zu kommen? Würde er die falsche Richtung einschlagen und auf das offene Meer zulaufen war sein Schicksal besiegelt. Wenn er auf sich aufmerksam  machte, um Hilfe rief, wenn ihn die Deutschen aufgriffen war er ebenfalls geliefert …

Florian Knöppler, geboren 1966, hat in Bonn und Bologna studiert. Romanistik, Germanistik und Philosophie. Knöppler lebt er mit seiner Familie auf einem Hof in Schleswig-Holstein. Dort, in der Nähe seines Wohnortes verortete er auch seinen Debütroman KRONSNEST. Knöppler schreibt mit ruhiger Hand, warmherzig, empathisch und sehr genau beobachtend, mit viel Nähe zu seinen Figuren. Was ich nicht nur mochte, sondern es passt auch ganz ausgezeichnet zu diesem Roman. Manche Geschichten kennen eben keine Eile und wir vermissen nichts, im Gegenteil, wir entschleunigen uns mit Ihnen, so lädt Knöppler uns ein, in Ruhe sein Personal kennenzulernen. Allen voran die Figur, die er als Bindeglied einsetzt, den britischen Piloten und Tierarzt Dave.

Von meinem schönen Gespräch auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse am Stand des Pendragon Verlages hatte ich schon berichtet, dort begegnete ich erstmals dem unglaublichen Roman von Wolfgang Wissler, Straffers Nacht (Rezi dazu findet ihr in den Beiträgen). Einige Wochen nach der Messe erreichte mich Südfall, in Form eines Überraschungspaketes. Herzlichen Dank an dieser Stelle und ich fürchte beinahe, Florian Knöppler hat für mich das Landei, das Potential zu einem neuen Lieblingsautor zu werden. Da kann man dann gar nix machen, das passiert. Einfach so und ist wunderbar!

Sind es nicht immer die Begegnungen, die im Laufe unseres Lebens den Unterschied machen? Wir treffen auf Menschen, die uns Mentor sind oder auch Gegner. Die uns unterstützen oder Steine in den Weg legen, die uns fördern oder hintertreiben. Im Beruf wie privat. Es gibt Begegnungen die lebensrettend sind, das sind nicht unbedingt immer die, mit einem Arzt oder Sanitäter, manchmal auch die mit einem Fremden und es gibt solche, die uns in tiefe Verzweiflung stürzen.

Paul, Teenager und Protagonist im Roman, kennt diese Verzweiflung. Die des Zurückgelassenwerdens. Seine Mutter hat sich umgebracht und er lebt jetzt bei seiner Tante Anna. Die eigenen, zusätzlichen Kummer hat, einen Hof hinter dem Deich, Tiere und immer Arbeit. Mit seinen fünfzehn Jahren führt Paul eine Gruppe der Hitlerjugend, würde am liebsten aber selbst an die Front, so wie sein bester Freund, etliche Schulkameraden, deren Geschwister und doch ist er noch hier. Es ist die Zeit kurz vor der Landung der Alliierten der Normandie. Der Wind hat gedreht. Der Atlantikwall zeigt Risse und bei Paul kommen erstmals Zweifel auf, ob für diese Ideale zu kämpfen das Richtige wäre. Um ihn herum wird immer öfter auch von einer möglichen Niederlage Deutschlands gesprochen und von der Hoffnung, dass dieser Krieg bald enden möge. Als er auf den englischen Piloten trifft, den Feind, so haben sie es ihm beigebracht, der allerdings ohne zu zögern hilfsbereit ist, als eines ihrer Schafe im Schlick zu versinken droht, da weiß er gar nicht mehr was er von all dem halten soll.

Seine Tante Anna, bangt indes um ihren Mann, Friedrich, den dieser Krieg an die Front geführt hat. Sie weiß nicht ob er noch am Leben ist. Briefe aus dem Osten brauchen eine Ewigkeit. Sie weiß, das so mancher hat seinen Empfänger erst erreicht, wenn der Absender schon tot ist und das dieser Pilot da in ihrem Stall nicht bleiben kann. Ihr Entschluß steht fest …

Knöppler nimmt eine Portion nordische Klarheit, streut eine Prise Coming-Off-Age-Gewürz über seinen Plott, verbindet jugendliche Unbeschwertheit mit den Fragen nach richtig und falsch. Schaut sich mit jeder seiner Figuren um und in sie hinein. Gewährt uns so Multiperpektiven, die seine Geschichte tragen.

Mit Südfall erzählt Florian Knöppler eine alte Geschichte neu. Eine Gesichte von Menschen, die sich die Hand reichen. Eine, die ich gerne gelesen habe. Er entwickelt darin eine Idee davon, was möglich ist, wenn Menschen bereit sind einander zu vertrauen, über ihren Schatten zu springen, wenn es gelingt Feindbilder die im Grunde andere gezeichnet haben zu überwinden.

Er lässt sie so ausgehen, seine Geschichte, die keine großen Höhen und Tiefen braucht um deutlich zu machen, dass der Mensch im Grunde ein soziales Wesen ist und wie wichtig es ist, sich besonders in herausfordernden Zeiten von seiner besten Seite zu zeigen, das man versöhnt ist. Erzählt die Geschichte einer Flucht. Eine Geschichte von Fluchthelfern. Von Menschen mit dem Herzen am rechten Fleck, die tun was getan werden muss, und weil sie genau das tun, tut das gut. Macht Sinn. Absolut.

Nicht nur, aber auch wegen seiner positiven Kernbotschaft ist dieser Roman deshalb der ideale Einstieg in ein neues Jahr. Das Cover ist hell, sein Motiv unverstellt, so öffnet es den Blick für und auf alles was da kommt. Weswegen ich es gerne einmal für Euch hoch und ans Licht halten mag. Kommt gut und gesund weiter in den nächsten Tagen des neuen 2024!

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