Nacht über Tanger (Christine Mangan)

*Rezensionsexemplar*

Samstag, 24.11.2018

Jetzt mal ganz spontan, nein, nicht überlegen: Woran erinnert Euch dieses Cover? Na? Genau – ich habe auch sofort an die junge Ingrid Bergmann denken müssen und dann diesen Songtext dazu im Ohr gehabt …

You must remember this
A kiss is just a kiss
A sigh is just a sigh
The fundamental things apply
As time goes by” ….

… das und die legendäre Abschiedsszene mit Humphrey Bogart auf dem Rollfeld in Cassablanca vor Augen, den Satz “Spiel es noch einmal, Sam” im Kopf. Schwupp war die Entscheidung für dieses Hörbuch gefallen, die Notalgikerin in mir hatte gesiegt.

Ich war gespannt, kommt wir hören mal rein, es liest unter anderem Bibiana Beglau, Gewinnerin des Deutschen Hörbuchpreises als Beste Interpretin 2016:

Nacht über Tanger (Christine Mangan)

Eine Stadt wie ein Trugbild. Der spanische Sommerwind trug Wärme und Gewürzduft, der ihre Erinnerung an Tanger wachrief. Wie schnell doch die Zeit verging und einem das Gefühl gab, das das was man erlebt hatte, gar nicht real war, ein Traumbild. Flirrend wie eine Fata Morgana …

Tanger, 1956. Mit noch nicht einmal einundzwanzig Jahre war Alice ihrem Mann hierher gefolgt, widerwillig, in diese heiße, staubige Stadt am Ende der Welt. Die Folgen seiner sorglosen Erklärung, er könne nicht wirklich mit Geld umgehen sollten ihr erst dann in aller Konsequenz bewußt werden, als er auch ihr Vermögen durchgebracht hatte.

Alice Shipley war auch geflohen, geflohen vor einem Leben mit einer Erinnerung, auf das sich jetzt endlich der Schleier des Vergessens gelegt hatte. Warum nicht hier neu anfangen? Fern ab von allem. In Afrika. Leider gelang es nicht nur finanziell nicht so wie sie es sich vorgenommen hatten, denn ihn ihrem Gepäck war ihr etwas gefolgt, dass die Ärzte leise und hinter vorgehaltener Hand “Wahnvorstellungen” nannten. Wie unsichtbare Fesseln ketteten sie Alice an’s Haus und trieben gleichzeitig ihren Mann hinaus, so schien es …

Und noch etwas, vielmehr jemand war Alice gefolgt. Lucy war über New York aus Vermont nach Tanger aufgebrochen, um sie zu suchen, ihre gemeinsame Vergangenheit und Alice Shipley. Mit Worten in unterschiedlichen Sprachen hatte sie sich bewaffnet um der Fremdheit Marrokos Herr zu werden. Vorübergehend würde sie diese Stadt als ihr zu Hause akzeptieren, alles hatte eben seinen Preis …

Zimmergenossinnen waren sie am College gewesen, Alice finanziell gut versorgt, Lucy Mason hingegen wußte genau, was es bedeutete wenn man jeden Cent zweimal umdrehen musste und hatte nur mit einem Stipendium hier überhaupt Aufnahme finden können. Die beiden waren von Beginn an unzertrennlich gewesen obwohl, oder vielleicht auch weil beide so grundunterschiedlich waren, hatten sie sich gegenseitig angezogen.

Alice, die zarte, verletzliche, beinahe durchsichtige, ätherisch Schöne, schien aus Licht gemacht und Lucy, die burschikose, selbstbewußt Anpackende mit dem alles durchdringenden Blick, raffiniert, manipulativ, berechnend, schien aus den Schatten geboren zu sein …

Christine Mangan, geboren 1982 legt mit Nacht über Tanger ihren ersten Roman vor. Die Rechte dafür wurden nach Verlagsangaben schon in 20 Länder verkauft und die Filmrechte an die Firma von George Clooney.

Man stößt hier auf zwei vielschichtige Frauenfiguren eingebettet in einen soliden, gut konstruierten Plot. Er kommt zunächst ganz harmlos daher, mit seiner nostalgischen Verpackung, und hat es dabei faustdick hinter den Ohren. Verfilmt kann ich sie mir sehr gut vorstellen diese Story, die Atmosphäre in Tanger kann man sicher auch mit Bildern sehr gut einfangen und die Geschichte gut besetzt auch in Bilder sehr schön erzählen. Das würde ich mir in jedem Fall anschauen, was Herr Clooney daraus macht.

Hier kann man über Souks bummeln, sich von einem Menschenstrom mitreissen lassen, von Hühnerkadavern bis hin zum exotischen Gewand alles in Ruhe bestaunen. Von tollwütigen Hunden kann man in Bars gebissen werden, von namenlosen Schatten verfolgt und in Revolutionswirren verstrickt werden. Tapetenwechsel mit Autounfall in einem Blizard gibt es inklusive.

Besonders gut gefallen hat mir, das Unterschwellige, das latent Lauernde und wie die Story so unweigerlich in eine Eskalation läuft, langsam aber unaufhaltsam. Der Schlüssel liegt wie so häufig für die Motivation der Handelnden in der Vergangenheit, auch das wird geschickt in rückwärts gerichteten Einsprenklern erzählt. Immer präsent ist dabei das, was sich für Frauen seinerzeit “geschickt” hat und was nicht. Was ihrer zugedachten Rolle entsprach, an der auch ein Studium nichts änderte, außer das man dann ein schmückenderes Beiwerk für den eigenen Mann war, zu wirklicher Unabhängigkeit verhalf es nicht. Wir, die wir heute einen Emanzipationsgrad erreicht haben, über den man zwar immer noch streiten kann, können feststellen auf welchem Niveau wir da anklagen. Ich gehe dabei mal von der westlichen Welt aus, nicht das ich hier gleich Prügel beziehe.

In dieser Geschichte halten diese und andere Abhängigkeiten eine Figur in einem Kreis gefangen, der sich von ihr allein nicht durchbrechen läßt. Sie gerät an einen Ehemann, der bei ihr jegliche Kreativität im Keim erstickt, sie betrügt und hintergeht. Was würde passieren, wenn sie ihn damit konfrontiert? Wie kann er sie gehen lassen, würde mit ihr ja auch quasi seine Geldquelle versiegen.

Sie gerät an eine Freundin, bei der sie nicht sicher sein kann, ob sie sie als Sprungbrett in eine andere Welt begreift, ob sie ein ehrliches, freundschaftliches Interesse oder gar eine obsessive Verliebtheit für sie empfindet. Ist diese Freundin aus Studientagen wirklich der ersehnte Retter in der Not? Was ist das für eine Freundin, die aus einem das noch so kleinste Geheimnis herauskitzelt und über sich selbst stets geschickt zu schweigen versteht? Eine Freundin, die auch von den Schatten weiß, der man anvertraut, welcher Angst und Panik man sich ausgesetzt sieht …

Uns läßt die Autorin da gleich mit im Ungewissen bis beinahe zuletzt, in mir keimte derweil ein ungeheurer Verdacht. Dabei legt Mangan bereits im Prolog ganz schön vor und zieht eine Leiche aus dem Wasser. Damit läßt sie uns eigentlich schon erahnen, dass es in ihrer Geschichte nicht ganz so einvernehmlich zu gehen wird, weiß aber durchaus auch mit Wendungen zu bluffen.

Also ich, ich gebe mich jetzt auch mal besser geheimnisvoll und verrate nix mehr, für alle die diesen kurzweiligen Roman noch für sich entdecken wollen. Vielleicht dann aber lieber gelesen als gehört, denn –

Die Hörbuch-Fassung schlägt ungekürzt mit rund 10 Stunden zu Buche. Bibiana Beglau liest die die Figur der Lucy und Friedericke Kempter übernimmt den Part von Alice Shipley. Klingt nach einer Top Besetzung, die mich aber leider nur eingeschränkt überzeugen konnte. Viel erwartet hatte ich von Beglau, die aber hier so übertrieben deklamierend liest, dass sie mir komplett die Lust an diesen Stoff genommen hätte, wäre da nicht noch der charmante Vortrag von Kempter gewesen, der im Vergleich zu Beglau wohltuend anders daher kommt. Die junge Schauspielerin, die ich aus ihrer Rolle als Nadeshda Krusenstern aus dem Münteraner Tatort kenne, macht ihre Sache ausgezeichnet und verleiht der fast durchsichtigen, unsicheren Lucy eine mehr als glaubwürdige Stimme.

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