Ach ja, ich vergrabe mich schon gerne in anspruchsvollen Texten, grübele und sinniere. Bewundere geschickt aufgebaute Plots, kuriose Ideen und sprachliches Feuerwerk. Viele wagen sich in ihren Ferien an dicke Bücher, weil sie dann mehr freie Lesezeit haben. Für mich bedeuten Leseferien abzutauchen in einen Stoff der mich entspannt, ins Reich der Fantasy oder des Humors. Wie schön, wenn man beides haben kann. Bei ihr bin ich da in den besten Händen, dieser Autorin vertraue ich mich mittlerweile blind an, wenn es um eine Gedankenauszeit geht. Denn sie hat ein Händchen für “tierische” Helden. Ihren Durchbruch erschrieb sie sich mit einer Herde Schafe (Glennkill) und mit ihrem Graupapagei Gray hat sie mein Herz erobert. Ich sag nur: “Nimm ‘ne Nuss“.
In Leonie Swanns aktuellem Roman Mord in Sunset Hall beginnt alles mit einem stummen Helfer. Alles beginnt mit Hettie. Hettie ist eine Schildkröte. Mit ihr krieche ich im Prolog gemächlich durch den Schatten und stoße dabei prompt und sofort, wie es sich für einen ordentlichen Krimi gehört, auf eine Leiche:
“Wie jeder verantwortungsvolle Kaltblüter musste sie sich daran machen wieder eine Balance herzustellen und der richtige Ort dafür war traditionell die schattige Schlucht alter Blumentöpfe, hinter dem himmelhohen Holz, wo Farne unbeaufsichtigt aus Ritzen ragten und Schnecken sich über feuchte Erde tasteten.”
Textztiat Leonie Schwann Mord in Sunset Hall
Mord in Sunset Hall von Leonie Swann
Es musste ein Großfuß sein, der da lag. Hettie war sich sicher, sie kannte diese Füße auch, die da gen Himmel zeigten, alle beide. Wo aber waren die Hände, die zu diesem Großfuß gehörten, die die sonst immer den Salat hielten? Hettie trottete voran. Und was war das bloß für eine metallisch riechende Pfütze die sich um den liegenden Großfuß ausgebreitet hatte? Also, normal war das nicht …
Winston, Bernadette, der Marschall, Edwina, Lilith und Agnes leben in einer WG. Einer Alten-WG. Sunset Hall ist ihnen ein zu Hause geworden und Agnes Sharp die Eigentümerin dieses Rentner-Paradieses, führte die kleine Hausgemeinschaft zwar mit einem strengen Regelwerk, aber das ist aushaltbar. Gut, wer gegen ihre Regeln verstieß, der bekam schon mal keinen Nachtisch, was wenig angenehm war, genauso wie dieser Tag. Der, der damit begonnen hatte, das Lilith tot war.
Sie lag im Garten, bei ihren Hortensien und hatte eine Kugel im Kopf. Kaum war sie da, schon war sie weg. Die Tatwaffe. Der Marschall hatte sie gesehen, und offenbar auch mitgenommen und, aber jetzt war sie weg. Eine wilde Suchaktion später, verfluchen alle seine Gedächtnislücken und wühlen sich durch das Haus. Es klingelt … und als wäre das alles nicht schon genug Aufregung für einen Tag, taucht eine neue Mitbewohnerin auf. Exaltiert und mit einem aufdringlichen Federhut begränzt steht sie in der Tür. Charlie, der Name, dem Gin ist sie zugeneigt und mit Vorliebe wird dieser Paradiesvogel künftig und auch heute im roten Kimono zum vier Uhr Tee aufkreuzen …
Leonie Swann, geboren 1975 in der Nähe von München, studierte Philosophie, Psychologie und Englische Literaturwissenschaft. Nur bei ihr (Zitat) ist das Parkett eines Kaffeetreffs intrigenschwanger. Sie hat einen Humor, der ganz der meine ist. Bei ihr tragen Ladys Fuchsstolen mit Fuchskopf, werden Schildkröten beim Gang ins Dorf wie eine Handtasche unter den Arm geklemmt, nur hier haben Rollstuhldecken psychedelische Muster, leben Rottöne miteinander im Konflikt. Mir hat während dieser ganzen Geschichte niemand mehr das Grinsen vom Gesicht gewischt. Das alles sprudelt nur so aus ihr heraus und wer weiß vielleicht wohnt sie in einem Haus in England das Sunset Hall ähnlich ist. Nach Verlagsangaben ist sie dort umzingelt von Efeu und Blauregen.
Das ein Autor oder eine Autorin Senioren ermitteln lässt ist als Idee nicht neu, diese Gemeinschaft hier ist aber wirklich allerliebst. Hier möchte man am liebsten selbst einziehen. Hier darf die Hüfte quietschen, das Knie schmerzen und man darf machen, was und wie man will. Im Garten werkeln, oder backen, auch wenn man das eigentlich nicht kann.
Unwillkommenen Besucher weist man hier den Weg mit dem Lauf einer Schrotflinte dorthin wo der Pfeffer wächst. Einbrecher werden mit Schöpfkellen gestellt. Gut aussehende Enkel, spannende Wohnprojekte und Erinnerungen, Kindheitserinnerungen an Apfelernten und Kokosmakronenduft, an die Mutter, die nachdenklich am Fenster des Sonnenzimmers stand, hier in Sunset Hall. Alte Cottages und Gemäuer, Geheimzimmer inklusive erinnern an eine Zeit als die feine Herrschaft noch nach Dienstboten klingelte und laden mich ein. Ich bin gekommen um zu bleiben. Weil, das kann sie einfach auch: So hübsche Szenen schreiben, die Leonie Swann.
Eine goldene Flüssigkeit in kleinen Gläschen löst so manches Problem, oder hilft zumindest da weiter, wo der Schürhaken versagt, unter anderem und nachdem das Klofenster im Erdgeschoß zum Tor für einen Eindringling geworden ist. Gute-Nacht-Geschichten gehören hier dazu und auch kautzige Nachbarn, die durch den Briefschlitz fotografieren. Die Scones mit Cream und Marmelade nicht zu vergessen, die hier Grundnahrungsmittel sind.
Keine Ahnung wie Swann das macht, aber ich bin immer sofort drin in ihren Geschichten, mitten im Set sozusagen, wie im Film. In diesem Fall, im Kopf einer Schildkröte, erhalte quasi von unten nach oben einen neuen Blick auf die Dinge. Kann eine Perspektive einnehmen, die mir bislang so noch nicht möglich gewesen ist.
Ich werfe einen genauen Blick auf die Sache mit Lilith, und auf die mit Mildred, die ist nämlich auch tot und diese Sache aus der Kindheit von Agnes, was war eigentlich mit der und wo war jetzt schon wieder Hettie?
Die Auflösung, die sich hier auf humorigen Sohlen nähert hat mich dann auch noch überrascht. Diesen Oldies hier hatte ich im Lauf der Geschichte zwar so einiges zugetraut und auch zugeschrieben, aber das Frau Swann noch einen Twist auspacken würde …. Verblüffend, urkomisch, liebenswert, zum Eintauchen, zum Abtauchen, perfekt für die Ferien oder für eine lange Autofahrt, denn für die Hörbuchfassungen ihrer Geschichten sind immer auch noch Stars am Start und diesmal habe ich mich besonders auf sie gefreut:
Anna Thalbach, geboren 1973 in Ost-Berlin, zweimal mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet, als Künstlerin international bekannt – sie dreht hier voll auf. Sie ist eine echte “one-woman-show” und macht das herrlich. Wer sie als Schauspielerin kennt, hat so wie ich auch nichts anderes erwartet. Darstellen kann sie Drama ebenso wie Komik und beides ist wohl jedes auf seine Art schwierig, will man es glaubwürdig schaffen. In der gekürzten Hörbuch-Fassung trifft sie ca. 9 Stunden und 31 Minuten lang perfekt den Ton. In diesem Text darf man schauspielern, er verträgt auch keine vornehme Zurückhaltung. Wenn Thalbach hier als Agnes ihre dritten Zähne sucht und diese wenig später auf dem Rücken einer Schildkröte vorbei schaukeln, ist das einfach nur köstlich!
Den alten Leutchen, die sich hier mit all ihren Macken und Schrullen als Hobby-Detektive versuchen, einer jeden Figur vermag sie eine stimmliche Eigenheit, eine Persönlichkeit mitzugeben. Applaus, Applaus, Applaus für eine großartige Hörbuch-Akrobatin.
Die es auch versteht, das zu betonen, was Swann zwischen ihre Zeilen stellt, der ein oder andere nachdenkliche Ton hat sich da, beinahe unbemerkt, eingeschlichen und das Alt werden nichts für Feiglinge ist, das Situationen gemeistert werden wollen, die sich von denen anderer Lebensabschnitte grundlegend unterscheiden betont sie so auf äußerst charmante Weise, das zum Beispiel im …
Epilog: Es wird ruhig, es wird Winter und Hettie beschert mir beinahe einen Herzstillstand. Man bettet sie in eine ihrer schönsten Kisten! Der Kreis schließt sich und ja, schöne letzte Sätze kann Leonie Swann natürlich auch …
“Im Grunde ging es darum, es mit sich selbst auszuhalten. Auf kleinstem Raum, selbst dann wenn sich alle anderen Dinge davon gemacht hatten. Familie und Freunde, Gesundheit, Mobilität, Gedächtnis und Verstand.”
Textzitat Leonie Swann Mord in Sunset Hall
Mein Dank geht an Der Hörverlag für dieses Rezensionsexemplar und wer Lust hat, Leonie Swanns coolen Graupapagei Gray kennen zu lernen, dann immer hier entlang:
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