Und andere Formen menschlichen Versagens

Sag mir was du liest und ich sag dir wer du bist! Au weia … Was sagt das, was Ihr hier auf meiner Seite findet dann wohl über mich aus? Ach was, egal. Erwartet alles zwischen diesen beiden Buchdeckeln und Ihr werdet trotzdem überrascht sein. Oder erwartet nichts und Ihr werdet staunen. Staunen, was alles auf 155 Seiten Platz finden kann. Wie kurios auch immer die in dieser Geschichte geschilderten Lebensereignisse auch sein mögen, sie haben eines gemeinsam, das Versagen, obwohl ich da echt ins Grübeln gekommen bin. In der bunten Welt der Leseabenteuer sind sie so erfrischend anders zusammen gemixt, ihr Plot ist so genial gebaut. Ach was red ich da, lassen wir ihn da einfach mal ran …

Und andere Formen menschlichen Versagens von Lennardt Loß

Kein Wrackteil so weit das Auge reichte, außer diesem einen Passagiersessel. Wasser, nichts als Wasser, das sich mit einem uferlosen, endlos weit entfernten Horizont verband. An die Jäger, die unter seiner Oberfläche in der Tiefsee wohnten und, die sicherlich nach strampelnden Gliedmaßen Ausschau hielten, wollten die beiden nicht denken. Ein Mann und eine Frau treiben im Meer und ihr einziger Halt ist eben jener Sessel. Sie müssen ihn sich teilen, abwechselnd gurten sie sich daran fest. Erzählen einander wer sie sind, warum sie auf diesem Flug waren, versuchen zu verstehen was geschehen ist, versuchen sich wach zu halten, sich wenn der andere schläft gegenseitig festzuhalten. Was ihnen gelang, obwohl das Wasser nicht gerade warm war, ihnen Unterkühlung drohte und als wäre das nicht schon genug, auch noch ein Sturm aufzog …

Blut und zwar viel davon. Der Ruf nach der Polizei war nicht von den Nachbarn gekommen, obwohl es aus dieser Wohnung zum Himmel stank. Die herbei gerufene Polizistin unterdrückte ihren Würgereflex und hielt die Luft an, während sie versuchte in die besagte Wohnung vorzudringen. Nur um dann festzustellen, dass hier niemand tot war. Im Gegenteil. Die Bewohnerin war putzmunter und hatte offenbar gerade versucht eimerweise Blut in der Toilette zu entsorgen um dann bei Eintreffen der Polizei aus dem Fenster in den Vorgarten zu springen. Gestellt hatte sie am nahen Straßenrand ein Mann und da entspann sich gerade eine wütende Diskussion …

Lennardt Loß, geboren 1992 in Braunschweig lebt in Frankfurt am Main. Er studierte Geisteswissenschaften und mit seinen “anderen Formen menschlichen Versagens” hat er mich wirklich verblüfft. Sein Ton ist irgendwie frech, modern und frisch. Sein Stil gefällt mir, wie er kurze harte Sätze an seine Normalsätze anhängt, als würde er nochmal nachtreten, das hat was. Die, die hier scheitern, fallen, wieder aufstehen zeichnet er zunächst wie auf einem Reißbrett. Erst als Umrisse, dann füllt er sie mit Leben aus. Bisweilen mit einem schrägen, einem unerfüllten. Wie er sie verbindet, seine Figuren, fand ich schwerst bemerkenswert. Alle Fäden laufen bei einer von ihnen zusammen.

Gleich ob RAF Terrorist, Rohrbombenbauer, Boxer, Splatter-Film-Regisseurin oder Parkhaus-Millionär, sie alle haben in Loß’ Roman ein Zuhause gefunden. Dies ist keine Robinsonade. Vielmehr zeigt Loß, das alles immer mit allem zusammenhängt und das sich auch Abhängigkeiten ergeben können, wenn man einen Anderen nur kurz berührt, ihm nur kurz begegnet.

Zugeschlagen, aber lange noch nicht vergessen. Mit angehaltenem Atem bin ich seinen Protagonisten durch die Seiten gefolgt. Bin im April 1992 eingestiegen in den Lufthansa Flug LH 510. Mit diesem Flug sind Hannes Sohr und Marina Palm unterwegs nach Buenos Aires, wo sie nie ankommen werden. Die beiden und über 500 weitere Passagiere stürzen ab mit ihrem Airbus 340, irgendwo über dem Südpazifik. Als die Maschine vom Radar verschwindet servierten die Flugbegleiter gerade Butterkuchen. 

Hannes Sohr, gelernter Zahntechniker, gesuchter Terrorist, mit wandernder Kugel nach Schußverletzung in seinem Bauchraum, ist unterwegs zu seinem Spezialisten, der ihn von dieser Zeitbombe die in ihm tickte befreien sollte. 

Im April 2012 steige ich erneut ein in den Flug LH 510. Wieder fliegt die Lufthansa nach Buenos Aires. Diesmal begleite ich Aco, einen Boxer, der das Boxen inzwischen aufgegeben hat. Der einen Tinnitus und einen Tremor in den Händen behalten hat. Aco ist jetzt 41 Jahre alt. Er ist auf der Suche und zugleich im Abschied begriffen. Wovon, respektive wonach? Das wird nicht verraten. Es würde Euch zuviel vorweg nehmen. Nur soviel. Zu Scheitern hat nicht immer etwas mit Schwäche zu tun und zu Versagen manchmal auch nur mit der Sicht der anderen …

Hab ich mich erst noch gefragt, warum man ausgerechnet eine Krake für dieses Buchcover ausgewählt hat. Dämmerte es mir bald: Weil diese Geschichte vielarmig ist wie das besagte Meerestier. In ihrer Mitte als Kern und Anker: Marina Palm und in meiner Erinnerung haben sich die einzelnen Geschichtsarme zudem festgesaugt wie mit Saugnäpfen.

Immer war es so, das ich in sie hineingestolpert bin, kopfüber, ohne zu ahnen was hinter der nächsten Seite wartet. Abwechslungsreich, voller Wendungen, lebendig, kurios und ein bisschen auch skurril. Als excellent vertextet und extremst kurzweilig habe ich sie empfunden. Das war so eine dermaßen coole Leseerfahrung, das ich voll der Begeisterung ausrufen möchte: WAS Ihr kennt Lennardt Loß noch nicht, dann aber mal los !!!

Pointiert und auf den Punkt ist dieser kleine feine Roman. Mich hat er eindeutig angefixt und der sympatisch aussehende Autor, der mich bereits vom Vorsatzblatt, aus einem Schwarzweißfoto heraus anlächelt, machte mich neugierig. Ich würde nur zu gerne wissen, welchen Coup er als nächstes plant und bin dann sehr gerne wieder mit dabei, oder an Bord, wie auch immer. Egal wohin es dann geht.

Als Eure pflichtbewusste Bücher-Apothekerin muss ich abschließend noch auf eine Nebenwirkung aufmerksam machen, die sehr wahrscheinlich viele von Euch nach der Lektüre dieser feinen Geschichte spüren werden: Vorsicht, es besteht Suchtgefahr!

Mein Dank geht an den Weissbooks Verlag für dieses Rezensionsexemplar.

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