Neutral wie die Schweiz. Diesen Satz habe ich sofort im Kopf, wenn von unserem Nachbarland die Rede ist. Feine Sache, wenn man es schafft sich aus allem rauszuhalten. Sich durchmogeln trifft es wohl eher, wenn man genauer auf den jungen Mann schaut, den sich der in Zürich geborene Autor Martin Suter in seinem neuesten Roman ausgedacht hat. Gleich zu Beginn schon gönne ich es ihm nicht, dass er nachdem sein Sponsor und Dad aussteigt, so auf die Füße fällt und auch sein neuer Arbeitgeber gewinnt bei mir keinen Sympathiepreis. Das kann ja heiter werden …
Melody von Martin Suter
Kein Grund und keine Lust berufstätig zu werden. Das war auch nicht nötig, solange einem Sohn der wohlhabende Vater das Studium finanzierte. Der Geldhahn versiegt jedoch abrupt, als der Vater sich das Leben nimmt. Wegen Überschuldung. Wie sich herausstellt. Tom, 30 Jahre alt, ausgestattet mit einem zweifachen Master of Law brauchte jetzt also doch einen Job und findet ihn. Bei Dr. Peter Stotz. In Zürich. Das Stellengesuch dafür war eher nicht genderneutral, ein jüngerer Mann mit juristischen Vorkenntnissen zwecks Nachlassordnung wurde gesucht, aber die Vergütung sprach für sich.
Zwölftausend Franken im Monat, freie Kost und Logis in einer feinen Gästewohnung. Vertrag für ein Jahr fix, die Umzugskosten wurden übernommen und auch die Miete für die bestehende Wohnung. Die er so nicht aufzugeben brauchte. Sein Auftraggeber war dem Tode geweiht und erwies sich als äußerst spendabel.
Ein formales Abendessen, Hochprozentiges und die Erinnerung an das Anwaltsgeheimnis. Neugier und Diskretion müssen sich hier vertragen. Denn es geht um nicht weniger als um ein Geheimnis. Um ein Verschwinden. Um schweigen und vertuschen. Vielleicht auch um weit Schlimmeres. Darüber lässt mich Martin Sutter erst einmal im Unklaren, während sich sein Protagonist Tom immer tiefer, seinem Auftrag gemäß, in das Leben seines Chefs hineinwühlt.
Martin Suter, geboren in Zürich an einem Tag, den es nur alle Schaltjahre gibt, dem 29. Februar 1948, renommierter Schriftsteller und Autor der Allmen-Krimireihe hat im Laufe seines Schreibens die verschiedensten Preise abgeräumt, darunter den Deutschen Krimipreis national, er hat Theaterstücke und Songtexte geschrieben und mit seiner letzten Veröffentlichung war er Mitautor von Bastian Schweinsteiger oder umgekehrt? Egal, das hätte mir zu denken geben können. Hat es aber nicht.
Mein erster Roman von Martin Sutter sollte Melody sein und ausgesprochen bildhaft hat er dann auch mein Kopfkino gefüttert. Eine alte Villa, Handlungsort seiner Geschichte, mit ihrem etwas maroden Charme, in ihr hat sich der Geheimnisträger dieser Geschichte vergraben. Der trinkfeste Hausherr selbst, seine langjährige Haushälterin die nebenbei bemerkt, traumhaft kochen kann, werden en détail beschrieben. Ansonsten fand ich Suters Erzählton stilistisch eher gefällig, die Figuren stereotyp, ich kam nicht an sie ran, es gelang mir nur an ihrer Oberfläche zu kratzen. Ich wollte abbrechen. Interessiert mich das, was dieser alte reiche Mann da erzählt? Nein. Will ich wissen wie gut es diesem Möchte-Gern-Anwalt ergeht, der jetzt Berge von Papieren ordnet um für die Nachwelt das perfekte Bild seines Auftraggebers zu zeichnen? Nicht wirklich. Etlichen Empfehlungen und meiner Neugier auf eine geheimnisvolle Geschichte und auf Suter bin ich in diese Geschichte gefolgt und ich finde sie einfach nur banal. Was manchmal ja auch gut tut. Wenn man gut unterhalten wird. Ist das hier der Fall? Kriegt die Story noch die Kurve? Was hat es auf sich mit dieser Melody? Einer Frau die eigentlich mit Vornamen Tarana heißt, was im Persischen soviel wie Musik oder Melodie bedeutet.
Ich beschließe noch ein Weilchen dran zu bleiben. Lausche Kamingesprächen und Militäranekdoten. Trinke gefühlt literweise Champagner und teuren Wein. Erfahre von einem ungleichen Paar, zwei Religionen, einer Verlobung, einem Altersunterschied von zwanzig Jahren und von Standesdünkeln.
Verschwunden. Drei Tage vor der Hochzeit. Eine Kurzschlussreaktion? Hatten die Zweifel Melodys Freude überlagert? So wie ihre Wohnung aussah war ihr Aufbruch überstürzt gewesen. Wer oder was steckte dahinter? Ihre muslimische Familie? Die doch noch verhindern wollte, dass sie sich mit ihm, dem Schweizer, verband? Musste er Schlimmeres annehmen, hatten ihre Eltern sie doch einem anderen Mann bereits versprochen. Das Wort Ehrenmord wird ausgesprochen. Eine Zeugin meldet sich. Ein Brief taucht auf.
Der heilige Berg Athos, eine Pilgerreise mit Visum in die Ägäis, eine Opfergabe und ein Abschied.
Eine neue Aufgabe. Die des “Willensvollstreckers” und Nachlassverwalters, auch nach dem Ableben seines Auftraggebers soll Toms Job weitergehen. So legt es ein letzter Wille fest.
Save the best for last? Schön wär’s.
Melody lebt noch? Wer weiß. Es wogt hin und her, Zweifel werden gesät. Sehr viel teurer Cognac getrunken und andere Dinge getan, die in der High Snobiety wohl normal aber mir fremd sind. Eine Liebesgeschichte wird eingebaut, die mich an eine Telenovela erinnert. Sutter schreibt so, als sei er selbst in diesen Kreisen zu Hause und das Jaguarfahren und handgefertigte Schuhe zu tragen eine Selbstverständlichkeit. Ich mochte dieses Setting nicht, fand es zu abgehoben. Besonders als es dann darum ging, Tom auch noch mit Maßanzügen auszustatten und ihn so in den Himmel zu heben, als sei er der verlorene und heimgekehrte Sohn des Patriarchen. Das war mir alles ein bisschen too much.
Was ich hingegen sehr genossen habe, waren die Intermezzi durch die sinnlichen Beschreibungen der italienischen Mahlzeiten, die Mariella, Dr. Stotzens Haushälterin, regelmäßig auf den Tisch gezaubert hat. Da lief mir buchstäblich das Wasser im Munde zusammen. Die Welt der Kulinarik in seine Geschichten einzubauen ist vielleicht eine Spezialität dieses Autors? Titel anderer Romane aus seiner Feder klingen zumindest danach, so heißt einer Der Koch. In der Welt der Reichen und Schönen lässt Sutter regelmäßig auch seinen Privatdetektiv von Allmen ermitteln.
Wie viele Wahrheiten es doch gibt! Auch wenn die Geschichte gegen Ende noch einmal eine Wendung nimmt, war sie Summa Summarum nicht die meine. Der Glanz des schönen Scheins und das, was reiche Leute so alles zu verbergen suchen, dann auch noch in die Opferrolle abtauchen, fand ich wenig faszinierend. Die ergänzend eingebaute Liebesgeschichte, die der Autor dann auch noch seinem Helden dem jungen Nachlassverwalter andichtet, war für mich so vorhersehbar wie unvermeidlich, und alles in allem wird mit so unfassbar großer Geste erzählt, das dieser Ausflug in Sutters Figurenwelten für mich ein einmaliger bleiben wird, was sich irgendwie auch erleichternd anfühlt, gibt es doch noch so viele andere Autor:innen zu entdecken …
Schreibe den ersten Kommentar