Maschinen wie ich (Ian McEwan)

*Rezensionsexemplar*

Samstag, 06.07.2019

Wir haben zu funktionieren. Im Alltag, im Job in der Familie. Am liebsten immer und am besten störungsfrei. Unser Arzt fungiert dabei als Wartungsingenieur, verschreibt Reparaturen und Schmierstoffe für das Getriebe. Das stets auf die Symptome schauend und mit dem Ziel uns funktionstüchtig zu erhalten. Wie viel Gefühl steckt noch ins uns, wenn wir diesen Zustand erreicht haben? Wie viel Empathie für andere lassen wir noch zu?

“Nichts ist so ungewöhnlich, das wir uns nicht daran gewöhnen könnten”. (Textzitat)

Welche Ansprüche stellen wir eigentlich an uns selbst? An Freunde, Bekannte und Kollegen? Wie haben sie zu sein, wenn wir gerne mit Ihnen Umgang haben wollen? Charaktereigenschaften von Menschen sind nicht programmierbar. Gut, werdet Ihr sagen, vielleicht sind sie durch Erziehung prägbar. Wenn wir versuchen auf andere Einfluss zu nehmen, kommt aber nicht selten ganz etwas anderes als das Erwartete dabei heraus. Reaktionen sind eben doch nicht zu einhundert Prozent vorhersehbar. Was wäre wenn, das ginge? Man ein Wesen um sich hätte, das berechenbar ist, dem man genau eingeben kann, wie es zu sein hat. Das zusätzlich, weil es ausgestattet ist mit einer künstlichen Intelligenz, denken kann, fühlen lernt und zum intellektuellen Sparingspartner wird …

Maschinen wie ich (Ian McEwan)

“Werkseinstellungen. Ein modernes Synonym für Schicksal”. (Textzitat)

Adam kostete sechsundachtzigtausend Pfund als er auf den Markt kam. Eine Erbschaft hatte diese Spontananschaffung für Charlie Friend, verurteilter Steueranwalt und Technikfreak möglich gemacht. Auch sein Idol Alan Turing sollte sich einen bestellt haben, erzählte man sich. Wahrscheinlich um ihn in seine Einzelteile zu zerlegen und bis ins kleinste zu erforschen. Bereits nach einer Woche war die weibliche Variante des ersten künstlichen Menschen ausverkauft gewesen, so musste sich Charlie jetzt mit einem Adam begnügen, hätte er doch lieber eine Eve gehabt. Sechzehn Stunden würde es noch dauern, bis Adams Akku komplett aufgeladen sein würde. Eine harte Geduldsprobe stand da seinem Empfänger bevor, der es nicht erwarten konnte, “seinen” Adam endlich kennen zulernen.

Wenn er doch nur schon sprechen würde! Auf seine ersten Worte warteten Charlie und seine Nachbarin Miranda ungeduldig und mit kindlicher Begeisterung reagierten sie auf seine ersten wahrnehmbaren Atemzüge. Unglaulich, selbst seine Haut fühlte sich warm und weich an. Er würde jeden Tag einen halben Liter Wasser brauchen um seine Schleimhäute zu versorgen und wenn er auch kein Sexspielzeug war, war er doch zu allem fähig …

Seine Akku-Laufzeit sollte für siebzehn Kilometer Wegstrecke reichen. Als Gefährte, als Freund war er gedacht. Hausarbeiten sollte er ebenso verrichten können wie selbstständig zu denken. Einzig Autofahren konnte er noch nicht. Und wie sollte er denn jetzt sein, sein Adam? Mit den Werkseinstellungen tat er sich dann doch schwerer als gedacht. Partytiger oder Stubenhocker? Extrovertiert oder eher introvertiert? Häuslich oder weltmännisch? Schüchtern oder aufgeschlossen, redselig oder schweigsam? Adam war blutleer hatte aber dennoch einen spürbaren Pulsschlag, man konnte ihm die Hand auf die Herzseite legen, ein Schlagen spüren, obwohl da kein Herz war. 

Leblose Augen und sein sich hebender und senkender Brustkorb, unheimlich mutete das an. Schon irgendwie gruselig, findet Ihr nicht? Wie bei einem atmenden Leichnam. Ihn mit seiner neuen Freundin teilen? Ihm die Präferenzen gleich zweier Personen eingeben? Wenn das mal gut ging …

Ian McEwan, hat mich überrascht. Dies ist mein erster Roman von ihm und meine Erwartungen aufgrund der Vorschußlorbeeren waren hoch. Er formuliert auf den Punkt, wahrt die Distanz, unaufgeregt und ohne Kraftausdrücke kommt er aus, wie auf einer langen, sanften Welle, ohne hohe Scheitelpunkte, trägt er mich durch diese Geschichte, die erstklassig recherchiert ist. Eine Dystopie, in die Zukunft verlegt hatte ich erwartet, er aber lässt seine Geschichte in etwa in den Fünfziger Jahren spielen. Bei ihm darf Alan Turing, der 1954 nach einer chemischen Kastration Selbstmord beging weiterleben, in seiner Fantasie darf der Geist dieses Genies weiter sprühen. Hier wird er nicht von Depressionen geplagt, seine Algorithmen sind es, die diese KI zu dieser Zeit möglich machen. Dieses “Was wäre gewesen”, wenn Turing nicht so früh verstorben wäre, hat eindeutig Charme!

Anmerkung: Der britischer Mathematiker, Informatiker und Kryptologe Alan Mathison Turing machte im Zweiten Weltkrieg von sich reden, weil er maßgeblich an der Entschlüsselung des Enigma-Codes beteiligt gewesen war. Dieser Code verschlüsselte deutsche Funksprüche und sein “Knacken” verhalf den Alliierten Truppen seinerzeit zum Durchbruch. Auch der nach ihm benannte “Turing-Test” wird heute noch zitiert, wenn es darum geht das Vorhandensein einer KI zu bestimmen.

Zitat Turing: “Manchmal sind es die Leute, von denen niemand eine Vorstellung hat, die die Dinge tun, die sich niemand vorstellen kann.

Die Fragen und Fragestellungen die McEwan aufwirft Moral und Ethik betreffend, die Zwänge die sich in seinem Roman aus dem Zusammenleben von Mensch und Maschine im Alltag ergeben, die Dilemata in die seine Hauptfigur schlittert, haben auch mich nachdenklich gemacht.  Die ersten Social Robots haben auch in unserer Gesellschaft bereits Einzug gehalten, in der Altenpflege zum Beispiel, autonomes Autofahren ist im Test. Ist da ein Zusammenleben mit einer KI, die ein menschliches Äußeres hat, da tatsächlich noch so abwegig? Worauf müssen wir uns da einstellen?

1982 werden bei McEwan die ersten lebensechten Roboter an Privathaushalte verkauft. Der Krieg um die Falkland-Inseln zieht herauf, die britischen Truppen formieren sich und man glaubt fest und fahnenschwenkend an eine argentinische Niederlage. Der Kampf des Mittelstandes gegen Roboter die in der Arbeitswelt Einzug halten hat begonnen, in Form von Demonstrationen bricht er sich Bahn, Attentate auf Premierminister und politischer, sowie gesellschaftlicher Wandel werden von McEwan ebenfalls beleuchtet.

Die Notabschaltung verbirgt er geschickt unter einem Leberfleck im Nacken seiner KI. ER wird sie deaktivieren, sagt das auch, die Tragweite dessen muss sein Besitzer aber wohl überhört haben. Es folgt ein eiserner Griff und ein kompliziert gebrochenes Handgelenk und es kommt der Tag, da wird ER an seiner Statt eine Entscheidung treffen, richtungsweisend und unumkehrbar …

Ein Selbstmord, ein Fehler und die Vergangenheit mit ausgestreckten Fühlern. Gedankenausflüge in die Anfänge der Medizin, zu biologischen Revolutionen, die die Erfindung des Mikroskops anzettelte. Adam kann beim Frühstückstee über das Leben nach dem Tod philosophieren, beim Unkraut jäten (er erkennt aus dem Stand einfach alles was da wächst!) über die Evolution und die Überlebenschancen der Menschheit. Selbst beim Geschirrspülen, die Arme bis zu den Ellbogen im Schaum, gibt er noch Weisheiten von sich.  

Eine verliebte Maschine? Betrogen von einer Maschine?! Bemüht die eigene Eifersucht im Zaum zu halten kämpft Charles Friend, Maschinenbesitzer und in einer noch frischen Beziehung gegen seinen Gleichmut. Hatte er da am Ende ein moralisches Monster erschaffen?

Stop mal, wen trifft denn hier eigentlich Schuld, wer brachte denn den Stein ins Rollen? Der Mensch oder die Maschine? Charlie wird zum “Master des Disaster”.

“Liebe war ohne ein Selbst nicht möglich, genauso wie denken”. (Textzitat)

Maschinentraurigkeit, mit ihrem perfekten Verstand wurden sie in eine unperfekte Welt geworfen. Das bietet reichlich Stoff für Philosphie-Fans, die gerne über das Sein und Werden diskutieren.

Schöne neue Welt! Am Anfang war der Ungehorsam, so war es und so ist es. Die Folgen – unabsehbar …

Wanja Mues, geboren 1973 in Hamburg, Schauspieler, lebt heute in Berlin. Er liest diese Hörbuch-Fassung mit einer Entspanntheit und Gelassenheit, bei der man sich zurücklehnt und andächtig zu lauschen beginnt. Den Adam gibt er mit verhaltenem, leicht gebremsten Ton. So gibt er der Unterscheidbarkeit von Mensch und Maschine eine Stimme. Er wählt einen eher schlichten Vortragsstil und passt damit sehr gut zu diesem Stoff, der getragen und bei aller Dramatik die zwischen den Zeilen steht gänzlich unaufgeregt daher kommt. Erstaunlich, das man sich diesem Thema so nähern kann …

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