Marianengraben (Jasmin Schreiber)

*Rezensionsexemplar*

Ostersonntag, 12.04.2020

Der Marianengraben. In dieser Meeresrinne im Westpazifik, die etwa 2.000 km östlich der Philippinen liegt, die 2.400 km lang ist und mit 11.000 Metern die tiefste Stelle unserer Weltmeere birgt könnte der Mount Everest mit seinen 8.848 Metern komplett verschwinden.

Ein seltener Fisch kommt hier vor, der Pseudoliparis swirei, er lebt in einer Tiefe von etwa 6.900 Metern und bei dem Druck der hier auf ihn einwirkt ist ein Wunder, wie ein Organismus dem dauerhaft stand halten kann. Fasziniert von eben solchen Tierarten und dem Meer war Tim, um den es in diesem Roman geht und seine Autorin lässt ihre Heldin wie aus den Tiefen des Marianengrabens aus ihrer Trauer zur Hoffnung an der Oberfläche aufsteigen …

Marianengraben von Jasmin Schreiber

Da war ein Licht und ganz eindeutig war auch ein Fluch zu hören. Paula dachte sie sei allein auf dem Friedhof. Es war stockfinster und mitten in der Nacht und auch wenn die Gärtner schon mal früh anfingen, taten sie es doch nicht vor drei Uhr früh, oder? Sie hatte vor dem Grabstein ihres Bruders im Gras gesessen und gerade versucht ein Gespräch mit ihm zu beginnen, anderen gelang das ja schließlich auch, wenn sie ihre Toten besuchten, da hatte sie die Stimme gehört, war hinter den nächsten Busch gerobbt und hatte einen Umriss wahrgenommen. Der Schemen gehörte zu einem alten Mann, der sich ganz eindeutig an einem der Gräber zu schaffen machte und ja, zu graben begonnen hatte …

Jasmin Schreiber, geboren 1988 in Frankfurt, studierte Biologie, spezialisierte sich im Abschluß auf Zoologie. Sie arbeitet als Trauer-und Sterbebegleiterin und schreibt über diese Arbeit auch in ihrem Blog Sterben üben. 2019 wurde sie dafür als Bloggerin des Jahres ausgezeichnet. Mit Marianengraben hat sie ihr Roman-Debüt vorgelegt.

Die Natur kennt keinen “lockdown” und während ich mich über die ersten blühenden Bäume und über frisches Grün in diesem Jahr freue, begleitet mich ihre Geschichte auf meinem Arbeitsweg und wieder zurück. Eine Geschichte, die aufzeigt, das Hoffnung oftmals dort aufleuchtet, und in Momenten, wo man sie am wenigsten erwartet.

Positiv, voller Wortwitz und sehr nahbar schreibt Jasmin Schreiber über Paula, 1,60m groß, 80 Kilo schwer, die ihren kleinen Bruder, der zwei Jahre zuvor im Urlaub im Meer ertrank, so vermisst, dass sie eine Therapie braucht. 

Tim war erst zehn gewesen, das Meer und alles was darin lebte hatte er über alles geliebt. Nach einer Flut von Selbstvorwürfen landet Paula in einer handfesten Depression, kann aus ihrem Gedankenkarussell nicht mehr aussteigen. 

“Wenn Trauer eine Sprache wäre, hätte ich jetzt zum ersten mal jemanden getroffen, der sie genauso flüssig sprach wie ich, nur mit einem anderen Dialekt.”

Textzitat Jasmin Schreiber Marianengraben

Eine unerwartete Begegnung zwischen verstümmelten Engeln auf dem Friedhof kommt ihr und ihrer Seele schließlich zur Hilfe. Inflagranti hat sie Helmut erwischt, sie mit Klappleiter bewaffnet, er mit einem Markenspaten beim Friedhofseinbruch, wird zu seiner Komplizin, wider Wille.

Wer ist dieser Achtzigjährige Urnendieb, der unbedingt ein Versprechen einlösen will? Es kommt zum Urnenunfall und jede Menge Asche landet dort wo sie nicht hingehört. In dieser Nacht auf dem Friedhof regiert “Murphys Law” und was schief gehen kann, geht schief. 

Was folgt ist aber keine Verhaftung, sondern eine Tour mit dem Wohnmobil, ein Road-Trip mit Urne in die Berge nebst Schäferhund und eine Annäherung von zweien, die beide so ihre Probleme mit den Menschen haben. Mit Nähe auch. Rettungsanker und Handreichungen sehen halt nicht immer so aus, wie man sie sich vorstellt. In diesem Fall auch nicht, aber es lohnt nach ihnen Ausschau zu halten und sich dann auch darauf einzulassen. Ich beginne mit Paula über ihr Nähe- und Distanzproblem nachzudenken und darüber ob Entfernungen relativ sind. Dauernd erwische ich mich dabei, wie ich bei ihren Ausführungen bedächtig und zustimmend zu nicken beginne.

Abenteuerlich und augenzwinkernd. Die clevere, schlagfertige Paula mochte ich gleich und Helmut den Urnendieb auch. 

Der Tod hat in unser aller Leben einen festen Platz, wir können ihm nicht aus dem Weg gehen, gleich welche Anstrengungen wir auch unternehmen. Er begegnet uns und wir müssen ihm begegnen, so gut wie wir das eben können. So ist es Schreiber, die mich etwas unentschlossen zurück lässt, durchaus gelungen ein Mutmachbuch für die jüngeren unter uns zu schreiben. Ja, ich habe es eher als Jugendbuch, auch als eher unterhaltend denn literarisch empfunden, besonders deshalb weil es schon mal flapsig daher kommt und mich hat überrascht wie leicht sich dieser Text trotz des Themas konsumieren lässt.

Und ihre Geschichte ist tatsächlich auch so bunt wie ein Fischschwarm in tropischen Gewässern. In Nebensätzen und Nebengeschichten tummeln sich nicht nur Flusshaie, Arktisexpeditionen und Pizzakartons.

Es geht um seelenverwandte Geschwister, um zwanzigtausend Briefe, um das Meer, diesen tiefen einmaligen Graben, und um eine einzige banal anmutende Entscheidung, die alles verändert. Um Verfolgungsjagden in den Dolomiten, und um ein Huhn namens Lutz. Es geht um Helga und Tim, um Helmut und Paula. Um die Furcht, vor dem was ist, vor dem was war und vor dem was kommt. 

Man kann auch erstaunliches lernen in diesem Roman, über Kraken z.B. und nicht nur Helmut staunt, sondern auch ich, als Paula die junge Biologin einen Vortrag hält, während er gerade einen Teller Calamari bestellt. Wie kann er nur! Ich sag’s ja, nicht nur ich staune angesichts dieses Wundertiers, das man auf keinen Fall, und schon gar nicht in Form von frittierten Ringen essen kann. Die Autorin kennt sich aus und das merkt man!

Sinnbildlich lässt sie Paula aus ihrer Trauer auftauchen wie aus der Tiefe des Marianengrabens. So startet das erste Kapitel bei einer Meerestiefe von 11.000 Metern und wir steigen mit ihr bis zur Null auf, dieses Bild fand ich schön. Weil es so deutlich auch zeigt, dass es möglich ist, sich von lastendem Druck zu befreien. 

Wer trauert braucht Struktur um sich abzulenken, um den Absprung zu finden, um wieder auf das Alltagskarussell aufsteigen zu können, auf dem die anderen ungerührt die ganze Zeit über weiter gefahren sind, während man selbst das Gefühl hat auseinander zu fallen.

Entrümpeln kann entlasten, innerlich wie äußerlich. Puristen sagen, dann ist es möglich sich auf das zu konzentrieren was wirklich wichtig ist. Paula geht auch so vor. Trennt sich von Nudelhölzern, Silikonbackformen und weiteren sechs Säcken mit Küchengeräten.

Denn jeder geht mit Trauer anders um, ein richtig oder falsch trauern gibt es nicht. Wichtige Gedanken, für die ich mir hier neben der Empathie die Jasmin Schreiber für ihre Paula zeigt etwas mehr Tiefgang, etwas mehr Reife gewünscht hätte. 

Mit seinem warmherzigen, freundlichen und liebenswerten Erzählton jedoch, der irgendwie auch rotzfrech, vorlaut und doch verletzlich klingt, hat mich diese Geschichte in Summe dann doch gekriegt, vielleicht auch der Hörbuch-Fassung wegen, denn ich finde, der Text ist wie gemacht zum Vorlesen und für:

Maximiliane Häcke. Sie passt mit ihrer jugendlichen Stimme wunderbar, dabei ist sie schon eine alte Häsin in diesem Geschäft. Häcke geboren 1988, synchronisiert und schauspielert bereits seit ihrem zehnten Lebensjahr, ihre Stimme schenkte sie nicht nur Prinzessin Lilifee sondern auch Schauspielerinnen internationaler Filmproduktionen in Piraten der Karibik und Black Panther.

Sie richtet Wort und Stimme direkt an den kleinen Tim und auch an uns, ihre Zuhörer. Was mochte ich besonders? Ganz eindeutig die Freude, den Forscher-und Entdeckergeist von Tim, den Häcke ganz unglaublich authentisch wieder gibt. Diesem Geschwister-Talk zu lauschen war herrlich. Die kindliche Neugier von Tim trifft in diesen Rückblenden-Dialogen auf seine kluge Schwester, die ein Super-Erklärbär ist und mich mitten ins Herz …

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