Manhattan Beach (Jennifer Egan)

*Rezensionsexemplar*

Samstag, 29.12.2018

Umfangen von Stille und Schwerelosigkeit, bizarren Formen, einer Welt die wie ein eigener Planet auf unserem Planeten wirkt. Lebewesen bestaunen, die außerhalb ihres Elementes keine Überlebenschance haben, die hier märchenhaft und unwirklich anmuten, in der Tiefsee, einem Reich das vielen Augen verborgen bleibt.

Richtig zu tauchen habe ich nie geschafft. Der Druck der Tiefe macht meinen Ohren schmerzhaft zu schaffen. Nur Schnorcheln habe ich es geschafft, und war trotzdem begeistert. Dieser Schwebezustand, der einem lautlos einen Blick auf eine Welt eröffnet, die so fremd und wunderbar ist, dass man unträumbare Träume träumen kann. Fern von allem, wie ausgestöpselt aus der Zeit.

Einem solchen Traum folgt auch die Heldin dieses Romans, auch er hat mit dem Tauchen zu tun, wenn auch aus einer weniger romantischeren, mehr pragmatischen Sicht. Marinetaucherin möchte sie werden, bei der US Navy, und wir folgen ihr zunächst in einer Reise zurück in der Zeit, in das New York der 1930iger Jahre …

Manhattan Beach (Jennifer Egan)

“Am Ende der Straße, unter einem weiten, grauen Himmel, konnte sie das Meer spüren, als wäre es ein schlafendes Geschöpf. Der Wind riss Nadeln aus ihren aufgesteckten Haaren, ließ sie auf dem Bürgersteig klimpern”. (Textzitat)

Die Schuhe aus Holz, Metall und Leder – achtzehn Kilo. Der ganze Anzug einhundert Kilo, für Helm und Brustplatte kamen noch einmal achtundzwanzig Kilo dazu, zum Schluß noch der Tauchgürtel mit weiteren dreiundvierzig Kilo und damit galt es erst einmal aufzustehen und zu laufen. Anna selbst wog weniger als halb soviel, hatte mit der Gewichtsangabe etwas gemogelt und biss jetzt, bei dem schmerzhaften Druck, der auf ihren Schultern aufliegenden Platte die Zähne zusammen. Für alle Bewerber war dies der Test Nr. 1, die ersten Kandidaten gaben bereits jetzt auf, als sich der Helm schloß und man sich fühlte wie eine Glühbirne in der Fassung. Danach folgte ein Ausflug in die Dekompressionskammer und diejenigen mit Ohren-Problemen strichen die Segel …

Ihr Vater hatte sich als Heimkind nach oben geboxt, sich dann an der Börse einen bescheidenen Wohlstand erarbeitet und war mit diesem Kapital ins Theatergeschäft eingestiegen. Dort traf er auf Annas Mutter, eine umlagerte Tänzerin, lernte sie kennen und lieben, gründete mit ihr eine Familie, lebte im Glamour um mit dem großen Börsencrash 1929 wieder alles zu verlieren. Am Beginn der Weltwirtschaftskrise dastehen wie alle, ohne Job und Ansehen, mit einer Ausnahme, ihr Kummer nahm zu, als seine Frau  eine zweite Tochter, Lydia, schwer behindert zur Welt brachte.

Anna war vierzehn, als ihr Vater einfach nicht mehr nach Hause kam und damit der erste Fixstern in ihrem Leben erlosch. Fünf Jahre später, mit neunzehn brach sie die Schule ab und steuerte als Fabrikarbeiterin Geld zum Lebensunterhalt ihrer kleinen Familie bei, zu den horrenden Arztkosten, die die Versorgung der kleinen Schwester erforderte. Als ihre Schwester dann plötzlich und unerwartet verstarb, war es für Anna so, als habe sich ihr Lebens-Schiff vollends vom Anker gelöst, sie musste es einzuholen, bevor es und damit ihre Zukunft außer Sicht trieb. Und als sie die Taucher in der Mittagspause zum ersten Mal sah, wusste sie, sie hatte ihre Bestimmung gefunden …

Jennifer Egan wurde 1962 in Chicago geboren und erhielt 2011 für ihren Roman “Der größere Teil der Welt” den begehrten Pulitzer Preis. Die Schriftstellerin lehrt an der Columbia University, lebt in Brooklyn und schreibt u.a. auch für den New Yorker.  “Der größere Teil der Welt” ist bislang noch von mir ungelesen, was ich unbedingt noch ändern will, so viele begeisterte Stimmen können nicht irren!

Für mich ist dieser, ihr aktueller Roman, ein Stoff aus dem Hollywood Bolckbuster à la Pearl Harbour gemacht werden. Er ist ein sprachlich angenehm konsumig zu lesender Schmöker, der mich immer wieder, warum auch immer, an “Die Dornenvögel” von Colleen McCollough hat denken lassen. Inhaltlich gibt es hier keine Parallelen und doch hatte ich damals beim Lesen der Priester-Liebesgeschichte ein ähnliches Gefühl.

Satte Kulissen wechseln sich mit einem Lebensgefühl ab, das zu einer schönen Zeitreise in die Dreißiger und Vierziger Jahre einlädt. Egans Manhattan Beach wurde von der amerikanischen Presse jubelt begrüßt. Bereits 2004 begann die Autorin, so gibt sie in einem Interview an, mit der Recherche für diesen Roman, folgte nach eigenen Angaben einem Impuls, den sie nach dem 11. September bekam, als sich ihre Stadt New York plötzlich im Krieg befand und sie sich die Frage stellte, wie es sich wohl angefühlt hat, hier zur Zeit des Zweiten Weltkrieges zu leben, als der Hafen für die Stadt eine noch zentralere Bedeutung hatte als dies heute der Fall ist.

Im Brooklyn Navel Yard, einer riesigen Werft, einer Stadt in der Stadt und damals dem Motor der Stadt, wurden seinerzeit die meisten Kriegsschiffe der alliierten Streifkräfte geflickt. Egan nahm an Veteranentreffen der Navy teil und zog selbst einen neunzig Kilo! schweren Helmtaucher-Anzug an um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob sie auch wirklich eine Frau in ihrer Geschichte da hinein packen könne. Sie kann und das tut sie durchaus auch überzeugend.

Ihre Anna wird von der geschickten Näherin zur Fabrikarbeiterin, zur Taucherin bei der US Navy und steht dafür, das im Krieg Frauen plötzlich Berufe offen standen, die ihnen vor und auch wieder danach bis weit in die Sechziger Jahr wieder verwehrt waren. Mit ziemlicher Sicherheit ist eine weibliche Marine-Taucherin rein fiktiv, der Autorin ist bei ihren Recherchen eine solche Person nicht begegnet, sagt sie, das macht die Idee aber nicht weniger glaubwürdig – im Gegenteil. Auch einen farbigen Taucher erfindet sie. Diesen läßt sie symbolisch dafür stehen, was in Kriegszeiten auch für Minderheiten erreichbar und sowohl davor, als auch danach wieder undenkbar gewesen war.

Ein Gangsterboss mit einem erwachenden schlechten Gewissen, oder vielmehr mit der Idee es doch einmal mit der Ehrbarkeit zu versuchen? Ich wäre offen gestanden lieber noch etwas tiefer mit ihm in die New Yorker Unterwelt abgetaucht, so wie mit Anna unter so manchen rostigen Schiffsrumpf. Sie ist keine Meerjungfrau, sondern eine die wirklich anpacken kann!

In feudalen Nachtclubs trifft man hier auf Filmstars wie Joan Fontaine und Gary Copper, kann mit ihnen Rücken an Rücken die Nächte durchtanzen und im Champagner baden. Wir erleben wie Loyalitäten gestandene Männer zu Fall bringen, Konsequenzen zeitigen, verbotene Liebschaften werden ausgelebt, verhängnisvolle Affären geknüpft.

Nicht nur an Land wogt es hin und her, wir geraten auch in schwere See auf einem Handelskriegsschiff vor Mosambik. Werden getroffen und versenkt, während in Europa die Fronten fallen. Wir retten uns zwischen brennenden Trümmern auf ein Floss, harren tagelang aus, überleben mit knapper Müh und Not.

Im Schrank meiner Bücher-Apotheke habe ich Manhattan Beach jetzt doch in der Kategorie “Wohlfühlbuch” einsortiert. Sprachlich empfand ich es als episch und bildhaft. Kurzweilig und unterhaltsam konzentriert sich Egan dabei auf ihr sorgfältig recherchiertes Setting und bleibt bei ihren Figuren für mich etwas zu sehr an der Oberfläche.

Das ein oder andere Klischee bedient sie dabei geschickt und zeitgemäß, schrabbelt auch mal knapp an der Grenze zum Kitsch vorbei. Läßt dem aufkeimenden Feminismus Raum, aber nicht zuviel, das in einer Zeit in der Europa brennt, es im Bauch von New York rumort und sich diese spätere Mega-City erstmals mit Menschenmassen, mit Flüchtlingen zu füllen beginnt um zu dem Schmelztiegel zu werden, den wir heute kennen.

Wer also im alten Jahr noch einmal abtauchen möchte, dem wünsche ich hiermit gut – gluck, gluck, gluck 😉 …

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