Liebe ist gewaltig (Claudia Schumacher)

Schon während der Corona-Lockdowns war immer häufiger zu lesen, dass sich Fälle von häuslicher Gewalt häufen. Man war eingesperrt, hockte aufeinander, wusste nichts anzufangen mit der Zeit, die langsamer zu vergehen schien als sonst, war überfordert seinen Alltag plötzlich ganz anders und neu organisieren zu müssen. Vätern rutschte leichter die Hand aus, Mütter verloren die Geduld. Die Haut war dünn und die Nerven lagen blank, als die Türen sich wieder öffneten, Kinder wieder in die Schule oder den Kindergarten gehen konnten. Sie waren jetzt teils ängstlich und kontaktscheu, kamen ihren Lehrer:innen verändert vor. Nebenwirkungen einer Pandemie-Politik über die in der Rückschau gesagt wird, es war nicht alles richtig. Aber vieles notwendig. Das zu bewerten ist nicht mehr hilfreich. Das Leben kann man nur vorwärts leben und rückwärts verstehen, meint sinngemäß Søren Kierkegaard und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist die Dunkelziffer immer schon hoch gewesen, wenn es um Gewalt in Familien geht. Mag sein, dass die Pandemie da wie ein Brennglas gewirkt hat. In jedem Fall bleibt es wichtig nicht darüber zu schweigen, damit Betroffene Hilfe erfahren können.

Liebe ist gewaltig von Claudia Schumacher

Juli ist siebzehn, Tochter eines Anwaltsehepaares, die Ich-Erzählerin in dieser Geschichte und der Gedanke sich umzubringen geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Weswegen die Eltern sie aus der Schule genommen und hierher geschickt haben. Zur Kneippkur. Mehr geht nicht, denn sie muss für sich behalten was der Grund dafür ist, dass sie sich manchmal wünscht auch ihren Vater tot zu sehen. Bevor er sie umbringt. Manchmal sagt er das, bevor er zuschlägt, oder ihre Mutter würgt. Mitten im Sommer geht die dann mit Rollkragen zu Mandanten und schweigt.

Nie gut genug zu sein. Selbst dann nicht wenn man nur Bestnoten nach Hause bringt. Sportlich glänzt oder was auch immer. Die Maßstäbe, die ein Vater hier anlegt, erinnern mich zu Beginn sehr an Daniela Dröschers autofiktionalen Roman Lügen über meine Mutter. Auch bei Schumacher hält eine Ehefrau und Mutter, hier mit Wespentaille streng Diät, weil bereits 800 Gramm mehr ihrem Mann auffallen und das kann ihr ein Würgemal mehr eintragen. Also hungert sie. Immer.

Claudia Schumacher, geboren 1986 in Tübingen, studierte in Berlin, zog nach Zürich wo sie als Redakteurin bei der NZZ am Sonntag arbeitete. Sie lebt heute in Hamburg, wo sie u.a. für Die Zeit schreibt. Liebe ist gewaltig ist ihr Debütroman und ich sags wie es ist, ich fand ihn einfach nur Wow! Der Ton, den Schumacher da anschlägt ist so gegenwärtig und autentisch, ihre Juli so nahbar als kenne man sie persönlich. Ich sitze da und höre ihr zu. Bilder entstehen in meinem Kopf. Wie ein Stein liegt mir ihre Geschichte im Magen.

Was mich wohl am meisten angepackt hat, ist genau das. Das WIE Juli von dem erzählt was für sie zum Alltag geworden ist. So manches Mal mischt sich Lakonie in ihre Erzählung. Ich werte es als Galgenhumor, denn zwischen all dem hört man eine tiefe Traurigkeit und Verzweiflung heraus, die sie so weit treibt, dass sie ihrem Leben ein Ende setzen will. Es ist leicht als Außenstehende zu fragen <warum geht ihr nicht fort zeigt diesen Drecksack an>? Wie kann eine Mutter zulassen, das ihren Kindern ein solcher Vater widerfährt? Wie kann sie so lange stumme Mittäterin bleiben? Was hält sie davon ab sich zu befreien. Sie ist gebildet, Anwältin. Wer wenn nicht sie weiß, wie Frau sich wehren kann?

Schumacher lässt ihre Juli das erklären und auf einen kurzen Nenner bringen: Er war doch ihr Papa und wer weiß vielleicht sah er ja wirklich alle diese Makel in ihnen, die sie selbst nicht wahrhaben wollten. In mir dreht sich alles, wenn ich das lese und mir die Frage stelle, wie es passieren kann, in unserer aufgeklärten Gesellschaft, das wir übersehen, ja wegsehen, wenn wir Zeichen von Misshandlung erkennen und wie schwer es für Betroffene ist sich zu befreien. Diese Abhängigkeit, das Verleugnen sitzt so tief. Die Art von Loyalität zu erleben ist so erschreckend.

Liebe ist … Hoffnung, Halt und Vertrauen zu finden. Nicht das Monster zu füttern. Mit Gehorsam, durch Schweigen, manchmal zu lächeln, manchmal auch nicht. Es könnte fehlgedeutet werden. Einen Faustschlag provozieren. Oder Schlimmeres.

Blutergüsse, Prellungen und ein Arzt deckt den Mantel des Schweigens über die Taten eines Mannes, weil er ihm einen Gefallen schuldet?!

Ein prügelnder Vater hinterlässt zuschlagende Kinder. Von vier Geschwistern kriegen zwei ihr Aggressivitätsproblem nicht unter Kontrolle. Ihre Sehnsucht nach Führsorge, das Vermissen von Normalität zu erleben, schmerzt mich bis auf die Knochen.

Jugendsprachlich salopp und gleichzeitig ungegemein eindringlich erzählt Claudia Schumacher von Eltern die einen Führerschein gebraucht hätten um sicherzustellen, dass sie ihre Kinder auch erziehen können. Eine akademische Ausbildung alleine garantiert das eben nicht. Ich hoffe, dass das was ich hier erlebe dramaturgisch überzeichnet ist. Um uns Leser:innen auf die Palme zu treiben. Da bin ich auch. Rasch. Ganz oben.

Juli Ehre, so jung und schon eine Zynikerin. Mathegenie, Eiskunstläuferin mit kaputten Knie, Papas Liebling, Opfer. Toxischer Beziehungen. Von 2007, mit Zwischenstopp in 2014 und ankommend in 2016 habe ich sie begleitet. Raus aus dem fikitiven Ederfingen, aus dem Orbit von Stuttgart, nach Berlin und in die Schweiz. Durfte sie näher kennenlernen. Erleben, wie sich beim Gaming förmlich auflöst, wie die Berechenbarkeit und die Klarheit der Zahlenwelt sie mehr und mehr fasziniert. Sind doch die Reaktionen ihrer Mitmenschen, insbesondere die des Vaters, so ganz und gar nicht berechenbar. Mit allem zu rechnen hatte sie deshalb gefühlt ständig. Kommt innerlich nicht zur Ruhe. Verliert den Fokus. Sich.

Juli verschwindet. Fängt ein neues Leben an. Nennt sich jetzt Jules. Findet eine Liebe die gewaltig ist. Mit einer Frau. Sanyu. Kann sie nicht halten. Die Trennung verläuft schmerzhaft. Landet bei Thilo, der nennt sie Julia und trennt sich von Bruno. Ihrem Bruder und Seelenzwilling.

Diese immerwährenden Kämpfe. Auch der von Bruno. Kommen mir so nah. Das schafft Claudia Schumacher mühelo. Mich zu verstricken. Mich Partei ergreifen zu lassen. Sie legt eine Schlagkraft in ihre Sätze, die mich in die Knie gehen lässt.

Die Scham, die Hilflosigkeit, die Wut und auch den Mut. Ich habe all das auch gefühlt. Mich in diese Achterbahn gesetzt, zu der sie mir die Tür aufgehalten hat und bin ins Bodenlose gestürzt. Um auszusteigen am Ende der Fahrt. Mit zitternden Knien. So geht Gegenwartsliteratur!

Der Roman ist übrigens auch als ungekürzte Lesung erhältlich, die Schauspielerin Inka Löwendorf liest und das großartig. Ihre Stimme klingt jung, was die Schilderungen von Juli noch einmal glaubwürdiger macht. Löwendorf gibt dem Roman definitiv noch eins mit. Ich horche auf, immer wieder, dann wenn sie zwischenzeilig wird, so wie der Text von Claudia Schumacher, spitze meine Ohren um ja nichts zu verpassen.

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