Liebe Enkel oder die Kunst der Zuversicht – von Gabriele von Arnim

Der Mensch mag eben nicht mit Unsicherheit leben, alles Neue bedeutet Risiko und Ungewissheit. Vielleicht leben wir aktuell in einem Rückschritt zwischen dem Fortschritt, meint Gabriele von Arnim und ihr Enkel sagt: “Verzeih  Oma, aber die Alten müssen weg”. Was er nicht böse meint, aber eben in Bezug auf das Klammern an die vermeintlich gute alte Zeit und dessen Auswirkung. Veränderung ist schwer möglich wenn wir im Gestern haften bleiben, das vermeintlich ein Besseres war, was bei genauer Betrachtung aber meist nicht zutrifft.

Das wir uns von dem Korsett der Angst befreien mögen um Veränderung zu ermöglich, dazu würde uns Gabriele von Arnim gerne anstiften. Was leichter klingt als es ist, denn die Gründe für Angst und das was uns Angst macht, sind vielfältig. Manchmal wurzelt sie tief und wir kennen ihre Ursache gar nicht. In jedem Fall lähmt sie uns, hält uns davor ab Verbesserungen zu bewirken. Angst ist tückisch, sie kommt und geht wann sie will und sich die Überzeugung zu bewahren, dass sie genauso auch wieder verschwindet kostet Kraft und Überwindung.

Wie viel wir doch gut machen können mit nur so wenig. <Danke für Ihre Freundlichkeit>, hat letzthin eine Kundin zu mir gesagt und mich damit ganz unvermittelt und mitten ins Herz getroffen. Es hat mir so gut getan, dass ich dieses Dankeschön, diesen Satz, jetzt immer dann hervorhole, wenn es mir an Zuversicht mangelt. Dabei leben wir alle doch bereits Zuversicht, sagt von Arnim, das jeden Tag, sonst würden wir es gar nicht wagen aus dem Haus auf die Straße zu treten, denn es könnte uns ja im nächsten Moment ein Auto erfassen. Zuversicht ist also in uns allen angelegt, dass sie dieser Tage so beschworen wird, muss ein Indikator dafür sein, wie wenig uns das noch bewusst ist. Allein für diesen Stupser, den Hinweis auf das eigentlich Offensichtliche bin ich Gabriele von Arnim und ihrem Text dankbar. Die Bandbreite mit der sie erzählt, ihre Recherchetiefe und Belesenheit haben mich nachhaltig beeindruckt.

Gabriele von Arnim, geboren am 22. November 1946 in Hamburg, Journalistin, Moderatorin und Schriftstellerin, hat sich mit ihren Essays <Das Leben ist ein vorübergehender Zustand> und <Der Trost der Schönheit> bereits in viele Leser:innenherzen geschrieben. In diesem aktuellen Text an ihre Enkel zitiert sie u.a. Cat Stevens, Gandhi und Camus. Die Direktheit der Ansprache ihres sehr persönlichen Essays, das wie ein Brief gestaltet ist, fühlt sich zugleich so an, als richte sie es nicht nur an ihre Lieben, sondern ebenso an uns, ihre Leser:innen. Es ist ein Aufruf zu mehr Entschlossenheit, dazu Verantwortung zu übernehmen, denn aus Handeln erwächst Zuversicht, ebenso wie aus Gemeinschaft, Partnerschaft und manchmal sind es eben einfach auch nur die kleinen Dinge, ein gutes Wort, ein Spaziergang im Wald, ein Nachmittag in der Sonne, ein Bad im Meer oder eben nur im nahegelegenen Baggersee die uns Zuversicht atmen lassen.

Von Arnim rüttelt wach, aber auf eine ganz sanfte Art, ich spüre eine Hand von ihr auf meiner Schulter. An diese Hand will ich mich künftig erinnern, wenn es mal wieder schwierig wird.

Eine gute Zukunft braucht eine gute Tatenlust, auch diesen Satz nehme ich mir mit. An ihn will ich künftig denken, wenn Schmerzen mich herausfordern. Dann braucht es Aktivität und Konsequenz noch mehr als sonst, damit Besserung eintreten kann.

Nein, wir sind nicht machtlos. Wir können alle so viel tun. Selbst im Kleinen und die Summe der Dinge wird zu einem großen Ganzen. Fangen wir damit an unsere Gärten und Vorgärten wieder bienenfreundlich zu bepflanzen. Das Land, das uns anvertraut ist nicht zu missachten, indem wir es mit Kies zuschütten und unseren Rasen kurz halten. Laub darf fallen und darf auch mal liegen bleiben. Doch!

>Es gehört zum Wesen der Hoffnung, dass sie enttäuscht werden kann,
sonst wäre sie ja Zuversicht<

Ernst Bloch

Wo liegt der Unterschied zwischen Hoffnung und Zuversicht, fragt Gabriele von Arnim und antwortet mit einem Zitat: Im Hoffen stecke der Virus der Unerfüllbarkeit. Im Hoffen sei man nah am Wünschen. Vielleicht zu nah. Wer Vertrauen fassen kann in die Zukunft, dessen Füße stehen auf festerem Grund. In mir klärt sich etwas und wollen wir der Melancholie und Bitterkeit, mit der man an der Welt verzagen könnte, etwas entgegensetzen, dann geht es nur mit dem Vertrauen darauf, dass der kommende Tag ein beserer ist.

Für die notwendige Trennschärfe sorgt bei von Arnim nicht nur das v.g. Zitat von Ernst Bloch, aus einem Interview liefert sie mir ein Wort, das in mir Sturm klingelt: Befürchtungsüberprüfung. Eine Psychologin hat es fallen lassen und ich hebe es mir auf. Sind die Bedenken, die Ängste, die wir aus der Vergangenheit mitgebracht haben in unserem Heute noch angemessen? Dieser Gedanke macht mir Mut, es geht mir gut damit, mir bewusst zu machen, dass wir das Heft des Handelns, sehr viel öfter in der Hand haben als wir meinen. Unsere Rolle als Gestalter müssen wir nur annehmen und dürfen uns nicht in die des Opfers drängen lassen. Das ist schaffbar. Tatsächlich ist es das. Auch wenn niemand sagt, dass es in jeder Situation leicht ist und das es immer auch von Anfang an gelingt.

Genau zur rechten Zeit ist dieses Hörbuch zu mir gekommen, es war eine Empfehlung, liebe Dagmar Hahn vom BonneVoice Hörverlag, Danke! Ich bin sehr froh, mich für das Hören entschieden zu haben, denn Gabriele von Arnim liest ihren Text in rund 1 Stunde und 20 Minuten (ungekürzt) selbst und da es mir selten vergönnt ist Autor:innenlesungen zu besuchen, ist dies für mich quasi eine Wohnzimmerlesung gewesen. Ihre Worte reichen so noch tiefer, ihre Überzeugung ist mit Händen greifbar und genau das macht eine gelungene Hörbuch-Produktion aus. Wenn man es schafft, dass durch das Vorlesen die Authentizität eines Textes so strahlt wie hier, dann entsteht ein Mehrwert, den das Lesen so nicht bieten kann. Am liebsten möchte ich diesen Download einrahmen um ihn zu verschenken. An jemanden der sein inneres Leuchten verloren hat, dem Vertrauen und Zutrauen abhanden gekommen ist, weil ihn vielleicht auch eine Krankheit gerade überfordert. Dann kann diese Geschichte ein Licht am Ende des Tunnels sein.

Bevor ich meinen Beitrag jetzt schließe möchte ich gerne noch zwei Buchtipps mit Euch teilen, die ich mir aus dem Text notiert habe, für alle, die wie ich gerne weiterführend lesen wollen: <Factfullnes> von den Autor:innen Hans Rosling, Anna Rosling Rönnlund und Ola Rosling und <Wasser und Zeit – Eine Geschichte unserer Zukunft> des Isländers Andri Snaer Magnason. Weil wir Bilder und Geschichten brauchen um zu verstehen und weil wir grundsätzlich dazu neigen, das Schlechte intensiver wahrzunehmen als das Gute und als die Fakten es im Grunde rechtfertigen, da bin ich ganz bei Gabriele von Arnim.

Enden möchte ich mit einem Gedicht, es ist eines, das auch von Arnim in ihrem Essay zitiert, es stammt von der wunderbaren Hilde Domin und beweist einmal mehr, wie zuversichtlich Lyrik stimmen kann, möge Euer Herz stets mutig sein und so federleicht wie das eines Vogels:

Nur eine Rose als Stütze

Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des Zweigs.

Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle
der sanftgescheitelten Schafe die
im Mondlicht
wie schimmernde Wolken
über die feste Erde ziehen.

Ich schließe die Augen und hülle mich ein
in das Vlies der verläßlichen Tiere.
Ich will den Sand unter den kleinen Hufen spüren
und das Klicken des Riegels hören,
der die Stalltür am Abend schließt.

Aber ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.
Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
Meine Hand
greift nach einem Halt und findet
nur eine Rose als Stütze.
Verfasst von:

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