Der falsche Vermeer (Patrick van Odijk)

So alt wie die Kunst selbst, ist wohl auch die Kunst des Fälschens, man denke nur an den ein oder anderen umstrittenden “Dachbodenfund”. Er war ein Meisterfälscher: Han van Meegeren. Selbst Maler mit mäßigen Erfolg bis zumindest Ende der Zwanziger Jahre, dann schrieb man seine Bilder, seinen Stil, dem Kitsch zu. So begann er in den Jahren von 1932 bis 1937 die Arbeitsweise der großen niederländischen Meister zu studieren und deren Maltechnik zu perfektionieren. Er wollte es allen zeigen und erreichen u.a. Vermeer so nachzuahmen zu können, dass selbst Kunstkritiker und Experten die Bilder für echt halten würden. Er beschaffte sich einen Trockenofen um den gewünschten Alterungsprozess der Bilder zu erzielen, alte Leinwände mit der richtigen Sprungbildung, gab ein kleines Vermögen für Farben, für echtes Lapislazuli, aus. 1936 brachte dann sein „Christus in Emmaus“, den er als einen Vermeer ausgab und der eigentlich so gar nicht nach einem aussah, die komplette Kunstwelt zum Jubeln. Am Ende sollte ihn der Verkauf des Gemäldes “Christus und die Ehebrecherin”, von ihm gemalt 1937 und als unbekannter Vermeer ausgegeben, für eine horrende Summe an keinen Geringeren als Hermann Göring zu Fall bringen.

Warum wollte man seinzerzeit das Offensichtliche nicht sehen? Experten, Museumsverantwortliche und Kunstsammler ließen sich gleichermaßen blenden. Weil einfach zu viel und zu gut an diesen Bildern zu verdienen war? Eine Ermittlung, die von den Nazis gesammelte Beutekunst nach Kriegsende wieder ihren Eigentümern zuführen sollte, lieferte Han van Meegeren schließlich der Gerichtsbarkeit aus, man verdächtigte ihn im Mai 1945 mit den Nazis kollaboriert zu haben und glaubte ihm zunächst auch nicht, als er das Fälschen gestand, das die falschen Vermeers auf sein Konto gingen. Schlußendlich überführten ihn chemisch modernes Bleiweiß und Kobaltblau, letzteres hatte Vermeer nie verwendet.

Patrick van Odijk, Radioreporter, Redakteur und Moderator u.a. für den SWR, studierte Politikwissenschaften, Geschichte und Germanistik an der Universität Konstanz, legt mit Der falsche Vermeer seinen Debütroman vor. Dieser ist am 06.03.24 im Pendragon Verlag auf Deutsch erschienen. (Vielen lieben Dank für das Besprechungsexemplar). Seinen Fälscher nennt er Jan van Aelst, ergänzt die Fakten aus dem Leben von Han van Meegeren um Fiktion, knüpft dort an, wo er erstmals verhaftet wird und schickt ihm eine Figur auf die Spur, die eine Story wittert. Zunächst aber begegnen wir dem Exzentriker van Aelst allein in einer Gefängniszelle, wo er zweifelt und mit sich hadert.

Der falsche Vermeer (Partick van Odijk)

Er musste malen. Sonst würde er hier verrückt. Der Opiumentzug forderte seinen Tribut. Er zitterte. Hatte Herzrasen, Schweißausbrüche. In seiner Verzweiflung löste er ein Stück Putz von der Zellenwand und begann mit einer Zeichnung, kratzte, bis sich aus den Strichen Umrisse formten. Jan van Aelst konnte es noch immer. Mit wenigen Handgriffen ganze Geschichten erzählen. Man jagte ihn auf. Er hatte “Besuch”. Einen mit dem er nicht hatte rechnen können …

Magriet van Hettema, für die einen Rita und für die anderen Meg, ist Journalistin, war während des Krieges bei der niederländischen Untergrundzeitung Het Parool, die jetzt nach Kriegsende eine etablierte Amsterdamer Zeitung war. Sie war stets auf der Jagd. Nach einer guten Story. Über den Ermittler Kapitein Aaron Rosendal, war sie auf den Maler Jan van Aelst gestoßen. Ihre inneren Antennen vibrierten und sie spürte an dem Mann war mehr dran als der bloße Verdacht der Nazi-Kollaboration. Was sie dann aufdeckte, schreckte am Ende nicht nur Amsterdam auf, diese Schlagzeilen sollten um die Welt gehen…

Um die 37 Bilder sollen von Vermeer insgesamt noch erhalten sein. 2023 waren 28 davon im Amsterdamer Rijksmuseum zu sehen. Die Ausstellung in ihrer Komplettheit löste einen regelrechten Besucheransturm aus. Vielleicht ja auch, weil sein wohl prominentestes Das Mädchen mit dem Perlenohrring ebenfalls zu sehen war, das wenn es nicht ausgeliehen wird, sonst das Kernstück der Vermeer-Sammlung im Den Haager Mauritshuis ist und das auch zumindest als Ausschnitt auf diesem Buchcover abgebildet ist. Ich fühlte mich durch van Odijks Roman zurückversetzt und erinnert an eine Reise und einen Besuch im großartigen Rijksmuseum. Auf dem Weg zu Rembrandts monumentalem Gemälde Die Nachtwache bestaunte ich seinerzeit das Museum selbst. Es beherbergt u.a. auch eine großartige Bibliothek und gründete in mir den Wunsch wiederzukommen. Schaut mal:

Beiden Seiten eine Stimme geben, das war die Aufgabe der Presse. Meg lässt den Maler von Aelst erzählen. Sein Wort steht gegen den Polizeiverdacht.

So oder so hätte es gewesen sein können. Patrick von Odijk erzählt von Gaunerstücken par excellence. Von einer atemlosen Spurensuche. Von Arroganz und Ignoranz. Man hält für echt, was man für echt halten will. So einfach ist das und so folgenschwer.

So verkaufte man Zeitungen. Die Schlagzeile musste sitzen. Unglauben musste die Leser:innen erwischen. Das wollte man lesen. Um mitreden zu können. Hinter vorgehaltener Hand und auch laut auf offener Straße.

Emanzipationsgeschichte, Schelmenroman, und ein Kunstkrimi treffen auf eine ordentliche Portion historischen Kontext. Der falsche Vermeer hat ein tolles Setting und spiegelt uns das Damals anschaulich und bildhaft. Van Odijk mischt gekonnt diverse Genres und liefert eine unterhaltsame Geschichte ab, die zugleich einlädt mehr über ihre wahren Hintergründe zu erfahren. 

Zuletzt führte mich Wolfgang Wissler in seinem Roman Straffers Nacht nach Mondorf Le Bain in Luxemburg ins Camp Ashcan und zu Hermann Göring, der dort, von den Alliierten in einem Luxushotel untergebracht, auf seinen Prozess in Nürnberg wartete. In Der falsche Vermeer reist Kapitein Rosendahl dorthin um Göring mit der Tatsache zu konfrontieren, dass dieser einer Fälschung aufgesessen ist. 

Meg indes lässt sich für ihren exklusiven Enthüllungsartikel feiern. Ihr Verleger befördert sie sogar postwendend zu Chefreporterin, ihre Freude darüber sollte allerdings nur kurz währen …

Die Jagd nach dieser einen Information, die Einen diesen entscheidenden Schritt voraus sein lässt. Der Kampf um die beste Titelseite. Konkurenz und Missgunst. Neid ist die ehrlichste Form der Anerkennung. Vielleicht.

Ob das Zeitungsbusiness so funktioniert? So funktioniert hat? Wer weiß. Im konkreten Fall, bei Patrick van Odjik, wird durch zahlreiche Befragungen aus vielen Teilen ein Ganzes. Was ich dabei in Zweifel ziehe ist, ob sich alles immer so reibungslos ergibt und alle Quellen stets so bereitwillig sprudeln. Ob sich alle Verbindungen immer so passgenau ergeben?

Seine Verbindung zu dem Dichter Martien Beversluis wird Jan van Aelst in dieser Geschichte zum Fallstrick. Beversluis, eine historisch verbriefte Figur, von dem bis heute einige Gedichte auf Niederländisch überliefert sind, der vom Sozialismus zum Nationalsozialismus konvertierte und dem nach Kriegsende wegen Kollaboration für drei Jahre ein Veröffentlichungsverbot auferlegt wurde, überredet im Roman van Aelst dazu einen Gedichtband von ihm zu illustrieren. Der Maler signiert einen Teil der Ausgaben und eine davon taucht später mit angeblich von ihm geschriebener, freundschaftlicher Widmung für Adolf Hitler wieder auf …

Wo die Hatz nach Gemäldefälschungen endet, beginnt hier die nach DER Schlagzeile. Ellbogen werden ausgefahren. Es wird verbal mit Dreck geworfen und die Wahrheit wird schon auch mal zurechtgebogen. Was äußerst unterhaltsam ist. Nicht ganz so gern habe ich die Figurenzeichnung gemocht, mir war da etwas zuviel schwarz weiß, es fehlte mir an Zwischentönen und Tiefe. An der Story selbst wollte ich dran bleiben, an der Hauptfigur aber nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob beabsichtigt ist, dass man als Leser:in diese Heldin mögen soll. Bei mir hat es nicht funktioniert mit der Sympathie. Ihr gegenüber bin ich seltsam gleichgültig geblieben. Starke Frauenfiguren können ganze Geschichten tragen, das stimmt. Aber für mich ist in diesem Fall die Rechnung nicht ganz aufgegangen. Miss van Hettema war mich schlicht zu glatt.

Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Täglich, im Zeitalter der Mediendigitalisierung mehrmals täglich, löst eine neue Headline die nächste ab. Schnell, sehr schnell vergessen wir. Geschichten, einstige Aufschreie, Skandale gehen verloren. Das Leben schreibt die besten Geschichten. Manche werden erzählt, andere verstauben in Erinnerungsarchiven. Diese hier hat Patrick van Odijk für uns wieder ausgraben. Sprachlich konsumig, ausführlich und mit einem Plot, der mich durch die 511 Seiten getrieben hat. Der dazu anregt zu recherchien und zu prüfen, wo stecken die Fakten in seinem Erzählen und wo die Freiheit, die er sich als Autor nimmt. Im Anhang findet man dafür Buchtipps des Autors, die ihm als Grundlage dienten. Das hat mir gefallen. Mir Lust gemacht auf einen Besuch bei Vermeer und auf Amsterdam. Am liebsten will ich jetzt gleich los. Im Frühling.

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