Gesang eines womöglich ausgestorbenen Wesens (Marianne Jungmaier)

Als Kind schon war ich viel und gerne im Wald. Die Wege durchs Unterholz, abseits der Wege, waren mir dabei die liebsten. In der Gruppe spielten wir hier gemeinsam. Auch Verstecken. Zum Beispiel in einem hohlen Baum. Als Erwachsene habe ich ihn erinnert, habe nach ihm gesucht, nach dem Baum, in dessen Innerem man Schutz finden konnte. Vor dem Außen. Dem Entdecktwerden.Tatsächlich habe ich ihn auch wieder gefunden. Er stand noch, dreißig Jahre und mehr musste das her sein, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Er sah alt aus. Sturmgebeugt und zerfasert. In seiner Baumhöhle angehäuftes Laub. Die Reste von Bucheckern. Vielleicht die Wohnstatt eines Waldbewohners? Ich habe mich vor ihn hingekniet und mich gefragt, wie ich da seinerzeit hinein gepasst haben soll. Habe meine Hände auf seine Rinde gelegt und ihn gefragt, ob er mich noch kennt. In diesen Gedichten bin ich ihm wieder begegnet. Meinem Baumfreund von einst:

Gesang eines womöglich ausgestorbenen Wesens

Gedichte von Marianne Jungmaier

Schon immer mochte ich Bäume lieber als Menschen“, schreibt Marianne Jungmaier in einem ihrer Verse, alte Eichen seien die Punkte in ihrem Koordinatensystem – ihr Zuhause. In mir läutet da ein inneres Glöckchen Sturm. Schon immer war sie auch bei mir da, diese Verbindung zum Wald. Der mich erdet. Mir Energie schenkt, der mich aufatmen, stillhalten lässt. Ich mag es, wenn man einen Wald einfach auch mal lässt. Nicht aufräumt und Wege planiert. Liegen lässt, was er abwirft, damit neues Leben in ihm, aus ihm entstehen kann. Liebe das Verwunschene, das Undurchdringliche.

Lyrik, die der Verbindung zur Natur nachspürt, mag ich wohl deshalb mit am liebsten und auch wenn es ein bisschen mystisch wird.

Alles wird, alles wächst, alles vergeht. Was würde ich gerne wieder Moos und Erde spüren unter meinen nackten Füßen und Händen. In diesen Versen ist das möglich bevor der Sommer kommt. Hier hat es flirrende, sirrende Farben in einem Wald aus Licht.

Den Morsecode der Natur verstehen. Wie schön, wenn wir das noch könnten. In Gedichten können wir alles, auch fliegen lernen. Marianne Jungmaier schreibt auch darüber. Schenkt meiner Fantasie Flügel. Ich begegne ihr zwischen ihren Zeilen und liebe jede einzelne, auch die eingeworfenen in Englisch, die erst fremd wirken und dann doch nicht.

Ganz langsam streife ich durch ihre Sätze, bestaune ihre Wortschöpfungen, drehe sie im Mund herum, lese laut. Lese mir vor. Horche auf den Nachhall. Genießerisch.

Unnötig noch zu sagen, dass ich diese Gedichte mochte. Mag. Mehr als gern. Notwendig ist es zu betonen, dass ich auch hier eines gefunden habe, das mir am besten gefällt. Es heißt <SILVA DOMESTICA>, obwohl ich muss sagen, es war ein Kopf an Kopf Rennen mit <LANDSCHAFTSORNAMENT> und <SOMMERFALTER>, wo am Fels ein Zauber die gurgelnde Hast bestillt … so wunderschön!

Nein, ich muss mich entscheiden, kann schließlich nicht alle zitieren, lasse doch Ersteres hier im Beitrag, behalte die übrigen Verse aber alle ganz nah bei mir:

Kalk und kreidebleich
knistern die Kletternden
die Wände entlang
besprochen, bezupft und
platzen aus Fasern
befreunden sich
mit Putz und Mörtel
sitzen krummwurzelig
in Topfresten
und sprechen von Chlorophyll
sie beschatten den Schlaf
und strahlen im Wach
verbunden durch Lüfte
und Atem
sukkulieren südlich
der nördlichen Lichter
simulieren im Westen
ein fröhliches Blühen
sie verwerfen
was nicht hält
(zu viele Gedanken
                       und fremde Gefühle)
sie sagen: alles muss weich sein
in diesen Wänden
              (und grün)

Verszitat SILVA DOMESTICA von Marianne Jungmaier

Es ist das Verwachsene, das Krumme, die Wildheit und die Sanftheit, die, wie Jungmaier schreibt Melodie aus Momenten, die auf allen ihren Versen liegt wie Blütenstaub. Den der Wind aufnimmt um ihn anderen Ortes wieder niederzulegen. So schön. Das ich gerne noch einen Nachschlag genommen hätte. Ersatzweise freue ich mich jetzt auf alles Neue von dieser begabten Lyrikerin und wünsche diesen Gedichten und ihrem “womöglich ausgestorbenen Wesen“, eine gute Reise in viele Leser:innenherzen. Das Meine hat sie im Sturm erobert! Auch weil ich für den Moment im Blätterzwitschern eines lichten Schattens noch einmal Kind sein durfte. Unbeschwert und leicht. Bin ich auch mir in diesen Gedichten begegnet. In diesen Landschaften, die baumwipfelweit, sanft, bemessen und menschenlos sind. Habe mich in der Oberfläche smaragdgrüner Seen gespiegelt. Unter Bäumen, in deren Rinde Namen eingeritzt wurden, habe ich mich manchmal auch ein klein wenig gefürchtet. Wer weiß schon, was und wer sich im Unterholz verbirgt …

Marianne Jungmaier, wurde 1985 in Linz geboren, studierte Kulturwissenschaft, Journalismus, Medien und Film. Es gibt bereits mehrere Veröffentlichungen von ihr, für die sie unter anderem auch mit Preisen ausgezeichnet wurde, und die ich, da dies meine Premiere ihr Schreiben betreffend war, mir alle noch erlesen darf. Dafür liebe ich Lyrik, sie sieht mich schon bevor ich weiß was ich fühle.

Illustriert hat diese Sammlung für sie und den Otto Müller Verlag, dem ich sehr herzlich für das Besprechungsexemplar Danke sage, auch dafür, dass ich diese Dichterin entdecken durfte, schlicht und sehr passend Ursula Kiesling. Sie ist noch druckfrisch und seit 11.03.2024 im Buchhandel erhältlich.

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