Lichtspiel (Daniel Kehlmann)

Denn die einen sind im Dunkeln,
Und die andern sind im Licht.
Und man sieht nur die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht

Bertolt Brecht

Greta Garbo. SIE stand im Licht. Ihr Name hat Filmgeschichte geschrieben. Das galt auch für ihn, das mit der Filmgeschichte: Georg Wilhelm Pabst, geboren 1885 und verstorben 1967, begraben in Wien. Der Name des Mannes aus den Schatten hinter den Stars, hat für Otto-Normal-Filmfans wie mich nicht die gleiche Strahlkraft wie der der Garbo. Dabei hat der österreichische Regisseur “die Göttliche” entdeckt, mit ihr und Asta Nielsen 1925 den Erfolgsfilm Die freudlose Gasse gedreht. Um seine Geschichte geht es im neuesten Coup von Daniel Kehlmann. Höchste Zeit also, die Scheinwerfer auszurichten und auf den Mann, der neben Ernst Lubitsch, Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau zu den bedeutendsten Filmschaffenden der Weimarer Republik gehörte, das Licht zu werfen:

Lichtspiel von Daniel Kehlmann

Blende auf. Kamera läuft und Action (ich sag nur: Lieblingsszene!):

Einen Moment nur war er unachtsam gewesen, hatte die Frage des Moderators verpasst. Das Rotlicht an der Kamera leuchtete weiter unerbittlich. Es zeigte, sie war auf ihn gerichtet. Er würde antworten müssen. Alle sahen ihn an. Jetzt fiel es im wieder ein. Sie hatten ihn eingeladen um über IHN zu reden, er sollte nichts über sich erzählen. Immer war es um IHN gegangen. Um G.W. Papst, den großen Regisseur, der die Garbo entdeckt hatte und dessen Kameraassistent er gewesen war. In einem früheren Leben. Und da ist auch sie wieder, die Frage nach diesem einen Film, der verschollen war und er streitet ab. Dementiert, dass es ihn überhaupt gegeben hat. Vehement. Eine Life-Sendung wird abrupt beendet. Man ist irritiert. Der Moderator tobt. Sein Assistent wird gefeuert und ein alter Herr wird zurück in seine Seniorenresidenz gefahren.

Cut und Schnitt.

1939. Die Visa für Amerika hatten sie in der Tasche. Alles war organisiert. Pabst würde bald schon mit seiner Familie in Sicherheit sein. Die Zeichen in Deutschland standen auf Sturm. Sie hatten Frankreich verlassen, er als der gefeierte Star des französischen Kinos. Wenn es sein musste, würde er drüben von vorne anfangen. Als einfacher Regieassistent. Nur diesen einen Abstecher brauchte es noch, das war er seiner Mutter schuldig. Das Telegramm sagte, es gehe ihr nicht gut. Er solle kommen, er müsse kommen und er tat es. Gegen den Willen seiner Frau.

Züge die sich begegnen, Ausreise verwehrt. Dramen auf dem Bahnsteig. Rasch wird deutlich, sie waren unterwegs in die Höhle des Löwen und plötzlich war nichts mehr klar. Als nur kurze Zeit nach ihrer Ankunft in der Ostmark, wie sie seine Heimat Österreich jetzt nannten, Deutschland in Polen einmarschierte, standen alle Züge still, die Grenzen wurden geschlossen. Sie saßen in der Falle. Der “rote Pabst” steckte fest und unmissverständlich machte ihm ein Propagandaminister klar, was er ihm zu bieten hatte: KZ oder Unterstützung. Die finanziellen Mittel um jeden Film zu machen den er wollte, wenn er denn seine sozialkritische Haltung beiseite lassen könne. So erpresst schlägt der desillusionierte Pabst den Weg eines Mitläufers ein und kollaboriert.

“Und so setzte Pabst die Folge der Bilder zusammen: jeder Schnitt ein Taktschlag, schneller, schneller, langsamer, Atem holen, hier die Gesichter von Mutter und Schwester, und jetzt stürzte die Zeit sich selbst in die Beschleunigung, und die Kamera schnellte empor – so atemberaubend war das, dass sie die Explosion kaum hörten. Lichter flackerten, das Fensterglas klirrte.”

Textzitat Daniel Kehlmann Lichtspiel

Was hier so alles passiert! Geschickt lässt Kehlmann so manches Mal die Grenzen zwischen Wahrheit und Traum verschwimmen, er baut Spannung auf, mischt sie mit Nachdenklichkeit zu einem gut ausbalancierten Cocktail. Ich tauche ab in die Welt des Films und am Ende mir die Augen reibend wieder auf, und wie genial ist bitte dieser Einstieg? Daniel Kehlmann lässt uns mit einem an Demenz leidenden alternden Filmschaffenden durch die Flure eines Fernsehsenders wandern und ich schwanke zwischen Lachen und Weinen angesichts dessen, wie nahbar er die im Vergessen verschwindenden Gedanken dieses Mannes einfängt.

Immer wieder wechselt Kehlmann in der Folge die Erzählperspektive. Schlägt Haken wie ein Hase. Setzt sowohl seine Hauptfigur den Regisseur G.W. Pabst als auch dessen Sohn Jakob ein, der sich nach einem freien Leben in zahlreichen Ländern und nach vielen Schulwechseln in der neuen Welt eines österreichischen Dorfes, voller enger Grenzen, zurechtfinden muss. Jakob lernt rasch. Sich Respekt zu verschaffen. Sich zu wehren. Aber auch Geschichte und Deutsch. Liebt diese Sprache. Wird einer der Besten. Kommt in die Hitlerjugend.

Daniel Kehlmann, geboren am 13. Januar 1975, studierte Philisophie und Germanistik. Der deutsch-österreichische Erfolgsautor lebt heute in New York und Berlin. Am Messesonntag hielt er in Frankfurt die Laudatio für den diesjährigen Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Salman Rushdie. Sein Roman Die Vermessung der Welt, erschien 2005 und ist bis heute sein erfolgreichster. Die Forscher Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß seine Protagonisten.

Sechs Jahre sind jetzt seit der Veröffentlichung von seinem “Tyll” vergangen. Diesmal erleben wir G.W. Pabst, das zunächst scheiternd. Hollywood will ihn nicht, weil er nicht will was sie wollen. Mit nur einer Handvoll Dialoge vermittelt uns Kehlmann, was das für Pabst bedeutet haben muss, als idealistischer Künstler eine solche Zurückweisung zu erfahren. Er, der als Könner extravaganter und schwierigster Kamerafahrten galt, die wir in der Folge dieser Geschichte so bildhaft beschrieben erleben dürfen, dass man das als Lehrstück bezeichnen kann. Insgesamt habe ich mehr über das Filmemachen selbst gelernt, das Handwerk als ich erwartet habe. Kehlmann muss dafür akribisch recherchiert haben und beweist einmal mehr, dass er es bei der Interpretation historischer Figuren wie kein anderer versteht Fakten und Fiktion zu mischen.

Wie er die Geschichte Pabsts erzählt und aufbaut fand ich großartig, er füllt Lücken, sucht Antworten, verwendet die Vita des Regisseurs dabei lediglich als Skelett um eigenes, auch spekulatives Fleisch an die Knochen zu geben. Für die Hörbuch-Fassung von Lichtspiel, wurde sehr passend der Schauspieler und erfahrene Hörbuch-Sprecher,

Ulrich Noethen verpflichtet. Wer da eine bravouröse Lesung erwartet, darf sich freuen, die kriegt er auch! Nicht nur Zitate wie das Folgende weiß er stimmlich brilliant in Szene zu setzen:

«Wir sind der Hölle entkommen. Eigentlich sollten wir uns den ganzen Tag freuen. Aber stattdessen tun wir uns leid, weil wir Western drehen müssen, obwohl wir allergisch gegen Pferde sind.»

Textzitat Daniel Kehlmann Lichtspiel

Zitat Ende Fred Zinnemann, Regisseur des Westerns High Noon, der ein Freund von Pabst gewesen ist.

Es gibt viel Licht und viel Schatten bei Kehlmann. Lange Schatten. Die Schatten eines Regimes, das am Ende keiner gewollt und gewählt hat. Ein kleines Schloss, einen tiefen dunklen Keller, Geheimgänge, eine finstere Gestalt in einem nackten Raum. Wände mit großen Ohren. Ein Film der verloren geht, auf der Flucht aus Prag. Ein Film an dem sein Pabst zerbricht.

Daniel Kehlmann treibt es in seinem neuesten Roman für mich äußerst unterhaltsam auf die Spitze. Mein Kopfkino ratterte permanent und in schwarzweiß. Sein Ton ist bisweilen fast lakonisch, seine Szenenbilder wirken leicht satirisch überzeichnet, ich für meinen Teil habe diesen Ausflug in die Welt des Lichtspiels sehr genossen. Bin Lenie Riefenstahl als Oberzicke angelegt begegnet. Vielleicht war sie so, vielleicht auch nicht. In jedem Fall galt sie als eine der umstrittensten Regisseur:innen jener Zeit. Ihre Macht und ihre Verbindungen als Probagandafilmerin der NSDAP strömen ihr in Lichtspiel mehr als deutlich aus allen Poren. Was ich ausgesprochen gelungen fand.

Wie u.a. durch ihr Auftreten die Heile-Welt-Filme jener Zeit denen entgegen stehen, die die Ideale der Nazionalsozialisten transportierten, die gezielte Propaganda darstellten, neben dem Brot, das Schauspieler wie Heinz Rühmann oder Theo Lingen dem Volk zu spenden hatten. In diesen Momenten, mit Dialogen zwischen den Filmschaffenden, trifft Kehlmann für mich den Nagel auf den sprichwörtlichen Kopf und Ulrich Noethen unterstreicht das in der Hörbuch-Fassung perfekt durch seine stimmliche Ausgestaltung dieses Textes.

So genial auch dieser Schluß! Der Kreis schließt sich. Ein dementer alter Herr öffnet einen Schrank. So hätte es gewesen sein können. Unter Umständen. Gegebenenfalls.

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