Nein! Dafür war ich noch zu jung. Ich verweigerte mich. Zunächst. Das war nur was für Rentner. Höre ich mich sagen. Ein Schiff voller Kreise. Da ist Langeweile vorprogrammiert. Gekommen ist es dann ganz anders. Mit eine der Reisen, an die ich am liebsten zurück denke, ist es geworden. Nicht der Unternehmungen wegen. Der Begegnungen wegen, denn an Bord unseres Flusskreuzfahrtschiffes auf der Donau waren keine Kreise, sondern jede Menge Geschichten. Lebensgeschichten. Traurige, lustige, erstaunliche und man kam ins Gespräch zwanglos, ganz entspannt und noch heute habe ich Kontakte die sich auf dieser Reise gegründet haben. Yogalehrer, Juristen und Hobby-Segler hatten sich hier versammelt, alle waren mit dem gleichen Ziel unterwegs, und wir mittendrin statt nur dabei, so wie Jana in dieser Geschichte …
Land in Sicht von Ilona Hartmann
Die Mutter war ihr auch ein guter Vater gewesen. Das schon und doch war da ein Vermissen. Wie aber vermisst man etwas was man nicht kennt? Ihren Vater hat Jana nämlich nie kennengelernt.
Auf der MS Mozart, einem Flusskreuzfahrtschiff unterwegs auf der Donau nach Wien soll sich das jetzt ändern. Ein für alle Mal. Denn Milan, der ihr Vater sein muss ist hier der Kapitän.
Eine trinkfeste Crew. Knapp hundert Gäste, maroder Charme, zweiundzwanzig Schleusen auf dem Weg zum Ziel, sollen ihr helfen eine Frage in Ruhe zu formulieren. Oder vielmehr eine Ansage. Oder wie auch immer. Dieses Tochter-sucht-Vater-Spiel wird jetzt zu Ende gespielt und dann wird sich zeigen, ob es zwei Gewinner geben kann. Während sie noch sinnierte blickte Jana, unsere Heldin auf weißhaarige oder kahle Köpfe, mit einer Ausnahme, ein junges Paar schräg vor, beide um die fünfzig. Ich lache auf. Das müssen mein Mann und ich sein. Nein, doch nicht, dieser Herr hier hat bei einer Fahrrad-Tour auf der letztjährigen Tour seine Vorderzähne, beim Absteigen über den Lenker, in einer Wiener Baustelle verloren. Auf dieser Reise gedenkt er sie jetzt wieder zu finden …
“Halb ich. Halb da. Halb am Leben.”
Textzitat Ilona Hartmann Land in Sicht
Wunschvorstellungen und tonnenweise Erwartungen treffen auf die Realität. Wird Jana einen Vater finden oder die größte Enttäuschung ihres Lebens? Was wenn er ein A…loch ist und was wenn er so richtig cool ist? Ist das rückwirkende Vermissen dann schmerzhafter? Geht das überhaupt?
Was, wenn sie ihm genauso gefehlt hat wie er ihr? Unbekannterweise? Fragen hat es mehr als Antworten.
Das Gefühl aufholen zu müssen hat Jana mit an Bord gebracht. Was sie aufholen will? Keine Ahnung, die eigene Wohnung ist ihr zum Umsteigebahnhof geworden. Nirgendwo gehörte sie hin, immer war sie unterwegs, immer auf der Suche …
Ilona Hartmann, geboren 1990 bei Stuttgart, freie Autorin und Texterin, lebt nach Verlagsangaben vor allen Dingen im Internet. Dies ist ihr erster Roman und wie ich finde gleich eine Steilvorlage.
Sie beobachtet so schön. Zungen wie mit Blitzbeton gefixt, den Fluss tragen zittrige Hände am Kabinenfenster vorbei, ein Akzent der sich anhört wie eine Karambolage von Deutsch mit einem Küchengerät, für Sprüche wie diese, liebe ich ihren Text. Schmunzle permanent vor mich hin. Warmherzig, liebenswert und erfrischend ist er. Gekonnt und charmant auf den Punkt formuliert, mit der richtigen Prise Klischees über Kreuzfahrerseelen gewürzt.
Zur eigenen Geburt zwei Wochen zu spät kommen, die Geschichte einer paillettenbestickten Jacke. Bordleben: Mückenstiche und Fahrradtouren. Sliwowitz und Grappa als Mutmacher. Sonnenbrand und Kreuzworträtsel. Ein anderes Wort für Jugend? Trauma, das kann nur von Jana kommen …
Dem Leben davon joggen und das Ablegen verpassen, kostet 87,70 Euro, also die Taxifahrt zum Anleger, den Abstandsgewinn gibt es gratis dazu, böse Blicke auch.
Passau – Wien – Passau, ich bin seinerzeit bis Budapest gekommen und will unbedingt einmal noch weiter, bis zum Delta der Donau. Pelikane sehen, mehr Zeit für Natur und Gespräche haben. Über alles und nichts, über Gott und die Welt, aussteigen nur da wo ich will. Auf einem Fluss-Schiff hat man immer das Land in Sicht. Was viele als ein Manko empfinden, wenn schon Schiff, dann braucht es doch das offene Meer. Ich hingegen liebe es, auf das Leben am Ufer zu schauen und es einmal mal nur an mir vorbei ziehen zu lassen. Ohne Plan einen Tag zu verplempern, mich einfach dem Fluss der Zeit überlassen. Das geht nämlich auf so einem Dampfer. Ganz wunderbar. Einmal noch, alles können, nichts müssen …
Hartmann hat mich abgeholt. Voll und ganz und hier schreibt jemand von dem ich mehr will. Definitiv. Mit leichter Feder, feinsinnig und auch nachdenklich. Nachdenklich über ein Leben, das nach eigener Wahrnehmung bislang ohne einen stattgefunden hat. Ein Papa-Kind, das war ich glaube ich auch, vielleicht konnte ich Janas Sehnen deshalb so gut verstehen.
Jede Menge lose Fäden legt Hartmann mir am Ende in die Hände. Ich überlege schon wie es mit Jana wohl weitergehen mag, da ist der letzte schöne Satz noch nicht vorgelesen. Fortsetzung folgt? Das wäre schön. Vielleicht dann ja auf einem anderen Fluss? Der dann auch blau ist, weil es die Donau ja gar nicht war …
Nina Reithmeier, geboren 1981 in Kempten/Allgäu, deutsche Schauspielerin und Sängerin, liest die ungekürzte Hörbuch-Fassung in ca. 170 Minuten. Dies ist mein erstes Hörbuch von ihr, zwei der Autorin Sabrina Janesch, die sie auch eingelesen hat, habe ich noch auf meiner Merkliste, auf die freue ich mich jetzt umso mehr. Was sie hier ungemein gut schafft, ist den tragikomischen Ton von Hartmann aufzugreifen. Feinfühlig und augenzwinkernd pariert sie jede Szene. Ihr zuzuhören war pures Vergnügen für mich! Vielen Dank für diese erste gemeinsame Reise! Mehr als nur eine angenehme Begleiterin ist sie mir gewesen, entlang der schönen, milchig-grünen Donau …
Mein Dank geht an den Aufbau Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
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