Höre ich Prag, denke ich sofort an Altstadt, an verwinkelte Gassen, unheimliche, düstere Schenken und Kellergewölbe. An Alchemie, an die Suche nach dem Stein der Weisen. An Experimente mit diversen Katalysatoren, die die Umwandlung eines unedlen Metalls in Silber, oder besser noch Gold zum Ziel haben. Hier so sagt man, ist es sogar einem Rabbi gelungen sich einen Diener, einen Homunkulus, einen Golem zu erschaffen. Aus einen Klumpen Lehm, dem er Leben eingehaucht hat …
“Die Nacht war mürrisch. Sie hatte einen grauen Vorhang vor das Firmament gezogen und ließ von Zeit zu Zeit den Nordwind aufstehen, an den Wolken rütteln und kalten Regen in die Luft verspritzen. Im Umkreis der Burgumfriedung wurde ihre Willkür durch den Schein der Schlosslaternen eingeschränkt, es paar hundert Schritte weiter, und sie wurde unumschränkte Herrscherin.”
Textzitat Auguste Hauschner Der Tod des Löwen
Ein huschender Schatten, ich werfe einen fröstelnden Blick über die Schulter auf die Stadt der hundert Türme. Eine Stadt, die ich immer schon einmal bereisen wollte, was ich jetzt tue. Mit dieser und in dieser aus der Zeit gefallenen Geschichte. Vorsichtig tastend setze ich meinen ersten Schritt auf. Auf den feuchten lehmigen Grund einer unbefestigten Straße, ich folge einem Mann. Einem mächtigen Mann, der die Kapuze hoch geschlagen, der sich in abgetragene Kleidung gehüllt hat, auf das man ihn nicht erkennen möge, hier an der Pforte des jüdischen Ghettos bei Nacht …
Der Tod des Löwen von Auguste Hauschner
Rudolf der Zweite von Habsburg schreckte auf aus unruhigem Schlaf. Seine Gemächer hatte er verdunkeln lassen, aus Angst vor des Kometenschweif, der den Himmel überzog, der nichts Gutes verheißen konnte. Besser man sperrte ihn aus.
In den privaten Gehegen des Schlosses heulten die Tiere ihn an wie den Vollmond, sie waren unruhig, so wie ihr Fürst und auch des Herrschers Lieblingsgeschöpf, ein Berberlöwe in seinem goldenem Käfig, hatte Witterung aufgenommen. Mit keinem Bissen war er zu locken, seit Tagen nicht, so schwach wie sein Herr …
Dem Wahnsinn verfallen ist dieser Kaiser. Kunstbegeistert, der Alchemie zugetan. Wandelt jetzt sein Verstand noch dichter am Abgrund? Was er sich da von Rabbi Löw verlangt, das kann nicht gut ausgehen …
Inhaltlich kann man die Geschehnisse dieses Lebensauszuges von Rudolf II. von Habsburg, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und König von Böhmen, in wenigen Sätzen zusammenfassen. Die Autorin konzentriert sich in dieser ihrer Erzählung auf drei Lebenstage des Kaisers im Winter 1611.
Ein Herrscher dem man Macht und Krone zu entreißen suchte, der Kraft und Lebensmut verloren hat, der kränkelt und dem Leibärzte Tränke einflößen, die ihn benommen machen. Er trifft auf einen Gottesmann der ihm die Stirn bietet, der ihm mutig entgegen tritt, der seiner Forderung nicht so ohne Weiteres nachkommen will. Ein Rabbi, der im jüdischen Ghetto von Prag lebt, der nur noch eine kranke Tochter hat, seine ganze Familie haben ihm die Krankheit, die sie Pest nennen und der Hunger genommen. Ausgerechnet diese Tochter ist es, die sich der Kaiser erwählt, dabei hat er nur einen einzigen Blick auf sie geworfen und er tut es nicht, um wie im Märchen glücklich bis an das Ende ihrer Tage mit ihr zu leben …
Der Verlag nennt ihn im Untertitel “Der vergessene Prag-Roman”, nicht nur das ist er wohl, auch seine Autorin findet man nicht mehr auf Standard-Büchertischen, hat sie nicht mehr auf dem Lese-Radar. Was für ein Frevel!
Auguste Hauschner, geboren am 12. Februar 1850, als das jüngste von acht Kindern eines Textifabrikanten und Gutsbesitzers. Ihre Novelle Der Tod des Löwen erschien 1916 und es ist ihr einziger historischer Text. Die progressive Tochter eines Textilfabrikanten hatte sich der gesellschaftskritischen, ja feministischen Literatur verschrieben. Ein wenig weiter will ich mich daher bei passender Gelegenheit noch in ihr Werk vorwagen. Die hier vorliegende Ausgabe hat der Verlag behutsam an die neue Rechtschreibung angeglichen und sie folgt der zweiten Ausgabe von 1922. Es wurden so Wort und Sätze abgestaubt, die wir heute gar nicht mehr kennen, die wir nicht mehr in den Mund nehmen.
Für mich war zuforderst Hauschners Sprache eine vergessene. Einlassen musste ich mich erst auf ihren Ton, weil er liebenswert sperrig ist und für mich ganz und gar ungewohnt. Ein Erzählton – und Fluss, der den Geist dieser Zeit aber ganz wunderbar transportiert, der seinen wahnhaften, fiebernden Fürsten mit Bewegungs- und Umgebungsbildern trägt, in die ich mich sofort schockverliebt habe.
Dieser Roman war für mich herausfordernd, von der ersten bis zur letzten gedruckten Silbe. Ab und an wollte ich ausruhen zwischen den Sätzen, weil sie in ihrer Komplexität zu fassen meine Gehirnwindungen zum Glühen gebracht hat. Ganz weit weg haben sie mich getragen, ganz tief haben sie mich verstrickt, umgarnt, haben mich in baffes Erstaunen versetzt.
Bereits auf Seite vierundzwanzig hatte ich so viele Sätze mit Post It’s markiert, dass ich den Text nicht mehr sehen konnte, derweil ich durch Laubengänge in einem verwunschenen Schlossgarten eilte …
“Reif lag auf den Rasenplätzen, die im Maienmonat, smaragdgrün, die Samtschleppen der weißen Pfauen trugen; der Palmenwald, die Beetepracht der seltenen Pflanzen hielten in Glashäusern ihren Winterschlaf, die quecksilberne Bewegung der Wasser, die in granitenen Becken sprangen, um Marmorstufen spielten, aus blumigen Verstecken plätscherten und rauschten, war von dem Anhauch rauer Winde angehalten und erstarrt.”
Textzitat Auguste Hauschner Der Tod des Löwen
Und was für eine wunderschöne Ausgabe der Verlag hier gezaubert hat! Ein Kleinod. Sein durchwölktes Cover mit dem leuchtend goldenem Schriftzug, dann der Einstieg über das Vorsatzblatt, das ein schattenhaftes Prag zeigt, meine Finger streichen es sanft und erwartungsvoll glatt. In seinem Inneren erwarten mich zahlreiche Illustrationen, die den Text von Hauschner an den genau passenden Stellen stützen, diesen Text, der ein so besonderer ist.
Zwei dieser ausserordentlichen Satzkunstwerke habe ich schon als Zitate eingestreut, sie reihen sich hier aneinander, wie die Perlen aufgezogen auf einer kostbaren Kette. Alle sind sie ausgefeilt und so lyrisch, das dieser Text wie ein einziges Gedicht anmutet.
Einzigartig ist Hauschners Prosa, ihr Satzbau hat mich ungemein fasziniert. Dazu die Stimmung, die sie wie aus dem Nichts heraufbeschwört, diese Streifzüge durch das Prag bei Nacht haben es mir dabei besonders angetan. Die düstere Poesie, die zwischen den Zeilen mitschwingt habe ich genossen. Ganz außerordentlich!
Empfehlen will ich sie daher all jenen, die das Besondere suchen. Die einen Lyrik-Fan beschenken wollen, oder sich selbst, mit einer Geschichte, die soweit abseits des Mainstreams ist, wie ein Buch es nur sein kann.
Allen, die keinen Schauerroman erwarten, auch wenn sich diese Idee vielleicht angesichts des Klappentextes aufdrängt, oder im Zusammenhang mit Meyrinks Prag-Roman Der Golem. Denn das Schaudern wurzelt hier einzig im Kopf unseres Kaisers, im Sterben einer ganzen Epoche. Es treibt Ranken, die einen Geist vergiften, sein Herz und wenn es so ist, dass des Kaisers Leben an das seines Löwen gebunden ist, dann ist klar, in wessen Händen beider Schicksal liegt …
Wie schön das es Verlage gibt, die solch verborgene Schätze heben und sie uns zurück bringen. Ein vergessener Roman ist es vielleicht, aber einer den ICH sicher lange nicht vergessen werde, und der jetzt Cover nach vorne, einen Ehrenplatz in meinem Bücherregal hat.
Mein Dank geht an den Homunculus Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
Dankeschön Mikka, lieben Dank für Deinen Kommentar, es freut mich sehr, dass Dir meine Besprechung so gefällt! Vielleicht wirfst Du ja wirklich mal einen Blick in Hauschners Roman, liest Dich vielleicht fest … LG von Petra
Hallo,
deine Rezension ist so wunderbar lyrisch geschrieben, dass sie selber schon eher ein Stück Poesie darstellt! Man spürt deine Begeisterung für das Buch in jeder Zeile, und das macht neugierig auf den Roman.
LG,
Mikka