Krass (Martin Mosebach)

Nomen est omen. Krass heißt hier der Held der Geschichte mit Nachnamen. Er ist krass reich, geht großzügig, ja verschwenderisch, mit diesem Reichtum um. Er ist kein Mann vieler Worte, handelt mit Waffen, Panzern, ist in der Welt zu Hause, hält sich nur zu gerne einen Hofstaat und man mag ihn als anstrengend empfinden. Ist man bei ihm angestellt, tut man gut daran, sich ein dickes Fell wachsen zu lassen, weil er kann auch krass ungerecht sein. Er verbraucht Menschen, bindet sie mit seltsam anmutenden Kontrakten. Von einem solchen wird hier erzählt und das ist ebenfalls ganz schön krass.

Krass sind, wie passend, auch Ton und Sprache dieses Autors. Da wird schnell die Handlung zur Nebensache. Dabei ist sie gar nicht zu verachten, im Gegenteil, hier passiert so einiges und man kommt rum, startet in Neapel und landet am Ende in Kairo, derweil verstreichen zwanzig Jahre ….

Krass von Martin Mosebach

Neapel, 1988, ein Zauberkünstler hat hier sein Publikum im Griff wie ein Drachentöter. Seinen Auftritt, gesponsert hat Ralph Krass, organisiert hat ihn Herr Jüngel, seines Zeichens Sekretär des Herrn Krass, genießen tut ihn ein ausgewählter Kreis. Hin und weg, sind die, die ihm zuschauen. Diese Darbietung grenzt an Genialität. Daran glauben sie. Zunächst und bis zum sich anschließenden Restaurantbesuch. Da wird der Zauberer samt Trick entzaubert, welch ein Verrat, von seiner Assistentin. Wie angelt man sich einen Millionär? Vielleicht genauso, bei einem köstlichen Essen und einem edlen Tropfen.

Bei Krabben, Wein und Champagner erlebt man eine psycho-physische Durchglühung. Hab ich noch nie von gehört und doch sofort verstanden. Da ist sie, wie sie leibt und lebt, die mosebachsche Bildsprache und sie feiert die Dekadenz des Augenblickes.

Gehe nicht zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst.” Kein Gruß, keine Verabschiedung, er sprach nicht mit Personal. Nie. Das war der Job seiner Untergegeben, denen dabei auch schon mal die Brille beschlägt. Gespräche brauchten auch keine Einleitung und keinen Übergang, da war er ganz der Patriarch, der Herr Krass. Er kaufte Menschen, denn jeder hatte seinen Preis und Lidewine, dass Gespusi des Zauberers, den sie seinetwegen hatte verlassen müssen, war nicht gerade billig gewesen. Was er da mit ihr im Sinn hat, ist mir nicht ganz klar, ihm aber auch nicht, denke ich und worauf er sich da mit ihr einlässt ebenfalls nicht. 

Mosebach meint, Krass sei das beste Argument für sich selbst, ihm gäbe es nichts entgegenzusetzen. Der Gute Krass meint, er habe alles und alle im Griff. Aber nicht alle tanzen sie nach seiner Pfeife, Lidewine zumindest nicht, dann wird sie halt verstoßen und auch Herr Jüngel folgt ihr, ein Jahr nach dem Start des Romans trennen sich ihre Wege.

Wer ist dieser Ralph Krass wirklich? Lebemann, Geschäftsmann, Waffenhändler, großer Schweiger oder gar ein Hochstapler? Ich hefte mich an seine Fersen und rätsele fleißig. Eloquent führt mich:

Martin Mosebach, Schriftsteller und Jurist geboren am 31. Juli 1951 in Frankfurt am Main, wo er auch heute lebt, wurde mehrfach mit Preisen für sein Schaffen ausgezeichnet, unter anderem 2007 mit dem Georg-Büchner-Preis, dem renommiertesten Literaturpreis der deutschen Sprache. Vom Schreiben an fremden Orten fühlt er sich bereichert, Passagen aus seinem Roman “Krass” sind so unter anderem in Rom in einem kleinen, spartanischen Zimmer auf dem Dach einer riesigen Barockkirche, und auch auf der nubischen Insel Elephantine im Nil, mit Blick auf das Mausoleum des Aga Khan entstanden. Die Inspiration die ihm an diesen Orten zuteil wurde, spürt man in und zwischen jedem Satz. In Gesagtem und Ungesagtem. Ich ziehe dafür einen imaginären Hut. Er weiß wie es geht, seine Lese*rinnen sprachlich um den Finger wickeln. Jedes noch so kleine Detail hat er fest im Blick und ihm, wie oben, lediglich Eloquenz zu attestieren wäre bei Weitem zu kurz gesprungen. Wenn er erzählt ist es die Sprache, die die Drängelei um den Vordergrund gewinnt. Er brennt seine Sätze wie ein Feuerwerk ab, sie leuchten hell und man weiß gar nicht wo man zuerst hinschauen respektive hören soll, so reich ist das Angebot an schönen Satzpassagen, an passenden Metaphern. Wenn jemand Situationen auf den Punkt schreiben kann, dann er, rhetorisch kennt er jeden Kniff. Mein Kopfkino lief sofort los und zwar in Technicolor. Diese Buntheit ist es auch, die mir besonders gefallen hat.

Eine Villa unter Denkmalschutz in der Nähe von Capri, die Natur ist längst hier eingezogen, die Räume sind von Pflanzen durchdrungen, die Aussicht von hier oben ist spektakulär, ob wohl unser Herr Krass für dieses Projekt zu gewinnen ist? Herr Jüngel und der Makler geben sich jedenfalls die größte Mühe. Sagt, hab ich eigentlich schon von dieser Badeszene vor Capri erzählt? Ich sag nur Bauch über Badehose, Mann gegen Strömung. Ich halte mir die Augen zu. Man sagt ja so, wenn man sich ärgert, solle man sich sein Gegenüber nackt oder zumindest in Unterwäsche vorstellen. Nein, in diesem Fall bitte nicht …

Humor kann Herr Mosebach auch. Einen ganz fein nuancierten, was sonst würde auch zu seinem Erzähltstil passen. Da bleibt er sich treu.

Es hat schillernde Figuren in seinem Text, auch solche die verblassen, mit all ihren (und meinen) Zweifeln, exotische Schauplätze satt und was Wellensittiche mit alldem zu tun haben, einen davon hat man ja gespiegelt für das Cover ausgewählt, das liegt nicht auf der Hand, war aber für mich spannend zu entdecken. Spannung beim Lesen entsteht auf vielerlei Arten, in diesem Roman geschieht das nicht durch Brutalität und Gewalt oder Mord und Totschlag, hier geht es subtil zu. Es wird düpiert und gedemütigt, beleidigt und abgekanzelt, und es ist spannend zu sehen, was das mit den Beteiligten macht. Mit dem der austeilt, und mit denen die einstecken. Auch und besonders am bitteren Ende.

Stark ist der Roman da wo es um Schwächen geht. Um menschliche und um die Liebe. Denn tatsächlich ist das hier auch eine Liebesgeschichte. Eine, Verzeihung, saucoole sogar, und wenn ich das sage, weil ich lese eigentlich keine, dann sagt das schon was aus. Ganz und gar kitschfrei und irgendwie auch ein bisschen burleske kommt sie daher. Opulent ausgestattet und unvorhersehbar konstruiert verwöhnt sie mit reich bebilderten Szenen und mit Sätzen, ach Sätzen, die was Bau- und Ausdruckskunst anbelangen in einer eigenen Liga spielen.

Die Handlung selbst hat aber auch ihre Tücken, gegliedert in drei Teile hat mich der erste Teil begeistert, der zweite seiner Längen wegen etwas gelangweilt, auch weil mich die Figur des Herrn Jüngel nicht wirklich “getoucht” hat. Seine Entwicklung reflektiert er endlos, was mich ermüdet hat. Der Showdown in Teil drei, der mich nach einem harten Schnitt und zwanzig Jahre später, 2008 nach Kairo verschleppt, wartet mit Zerfall, Altmänner-Fantasien und einem aufziehenden Erinnerungsreigen auch allerlei amouröse Abenteuer umfassend auf. Das Bild, das ich mir von Krass gemacht habe rundet sich hier und die, denen er vielleicht etwas bedeutet hat kommen zu spät. Mosebach wechselt hier den Ton, plötzlich geht er erzählend mehr auf Abstand zu seinem ehemaligen Überflieger Krass, als sei es ihm unangenehm ihn so zu erleben. Pleite, todkrank und am Ende, was wiederum stilistisch beeindruckend ist und mit diesem Wechselbad kann er es jederzeit aufnehmen:

Matthias Neukirch, geboren 1963 in Oberfranken, studierte am Mozarteum in Salzburg Schauspiel. Als Schauspieler arbeitet er für Kino, Fernsehen und Theater, spielt in seiner Freizeit Klavier und Saxophon. 2020 wurde er für den Deutschen Hörbuchpreis nominiert mit seiner Lesung von “Schuberts Winterreise”. Seine Aussprache ist fein, seine Sätze sind melodisch, dabei liest er akzentuiert und setzt kunstvoll Pausen ein. Die Unterschiedlichkeit von Mosebachs Figuren arbeitet er ganz wunderbar heraus, er gibt ihnen Kontur und die Zwischentöne, die Mosebach textlich hinein komponiert hat, nimmt er auf wie einen Ball, kickt einen jeden davon ins Tor. Franz Wassmer führte Regie und dirigiert Neukirch gekonnt mehr als 15 Stunden lang (ungekürzt) um jede Satzklippe.

Mein Dank geht an den Verlag HörKultur für dieses Besprechungsexemplar, der mir ein Garant für die besonderen Hörstücke geworden ist. Erlesenes Hören. Nomen est Omen!

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