King Goshawk und die Vögel (Eimar O’Duffy)

Manchmal habe ich den Eindruck, der Wahnsinn in der Welt wird nicht weniger, er wird mehr. Am 20. Januar diesen Jahres vereidigten die Amerikaner einen neuen Präsidenten. Gegen den ehemaligen Amtsinhaber läuft das mittlerweile zweite Amtsenthebungsverfahren. In den Tagen vor dem Vereidigungsakt hatte man Zäune gebaut, das Capitol in Washington wurde weiträumig abgeriegelt und die Nationalgarde marschierte auf um Gäste und die Demokratie zu schützen. Wie zerbrechlich diese ist, erleben wir dieser Tage live und mit Entsetzen.

Das Klassiker der Literatur oft erschreckend reale Bezüge haben verblüfft mich immer wieder. Gehören wir Menschen tatsächlich einer Spezies an, die nicht dazu lernt?

Ich bin kein Wissenschaftler, kein Politiker und keiner der es besser weiß, zu beobachten wie die Geschichte sich aber immer auf’s Neue zu wiederholen scheint, finde ich beängstigend. Über den großen Teich zu schauen und mit dem Finger auf andere zu zeigen braucht es nicht, es kehre ein jeder vor seiner eigenen Türe. Denn die Demokratie in unserem Land, unser Verständnis von dem was richtig ist, wird und wurde während dieser Pandemie ebenfalls auf das Heftigste auf den Prüfstand gestellt. Versuchte man nicht erst im vergangenen Sommer den Berliner Reichstag zu stürmen?

Warum lese ich gerade jetzt diesen Titel? Schon länger liegt er ungelesen auf meinem Stapel und es ist so, als habe er dort ganz bewußt entschieden auf diesen Zeitpunkt gewartet. Um mich herauszufordern, mich nachdenklich zu machen, um mich kapitulieren zu lassen. Kapitulieren zu lassen, vor der Visionskraft eines Autors die mich mehr als nur verblüfft hat. Ich hatte mir ein Versprechen gegeben im letzten Jahr, mehr Klassiker wollte ich lesen und mit diesem modernen hier habe ich angefangen:

King Goshawk und die Vögel von Eimar Ultan O’Duffy

Beinahe hätte ich auch vor einer Rezension kapituliert. Mit über den Tasten schwebenden Fingern saß ich da. Machart, Aufbau und die Aktualität dieses Textes haben mich gefordert, mich ratlos und ruhelos gemacht, haben mich hadern lassen. Sein bissiger Humor, seinem satirischen Blick, seiner ungeschönten Wahrheit wollte ich gar nicht ins Gesicht schauen. Musste es aber. Der Sprachmagie wegen. Nicht nur einmal habe ich ihn beiseite gelegt, gedacht ich halte das nicht aus. Was er mir sagen will, was er mir sagt und was ich da lese.

Es ist, als würde er ganze Gesellschaften in einen Spiegel schauen lassen. Vermeintlich moderne, aufgeklärte Gesellschaften, dabei stammt der Roman aus dem Jahr 1926 und Gabriele Haefs hat ihn und seine Magie für uns ins Deutsche übertragen. Sie ist eine von wenigen Übersetzerinnen die sich an irisches Wortgut wagen dürfen, lese ich über sie, darüber hinaus trägt sie seit 2011 den Königlich-Norwegischen Verdienstorden für ihr übersetzerisches Gesamtwerk. Eine Übersetzung aus berufenem Mund also, der wir diese wunderbare deutsche Satzmelodie verdanken. Ab Seite 265 findet man für etliche feststehende irische Begriffe im “King Goshawk” auch erläuternde Anmerkungen von Haefs, die ich sehr hilfreich fand.

So erfahre ich beispielsweise das Goshawk, im Irischen “Habicht” oder “Hühnerhabicht” meint. Aha, alles klar. O’Duffy, dieser Fuchs, um im Bereich der Tiermethaphern zu bleiben …

Eimar Ultan O’Duffy, 1893 geboren in Dublin, war zunächst Mitstreiter, später Kritiker der irischen Unabhängigkeitsbewegung. Nach Angabe des Kröner Verlages, in dem dieser sein Roman in deutscher Übersetzung 2019 erschienen ist, starb er 1935 als “Mann zwischen allen Stühlen” in einem Vorort von London, wohin es ihn 1925, ein Jahr vor dem Erscheinen von “King Goshawk” und Irland den Rücken kehrend, verschlagen hatte.

Dieser Roman ist durch und durch politisch und extrem provokant. Satirisch? Keine Frage und irgendwie auch verbittert, vielleicht auch desillusioniert. Vielleicht spiegelt er die zerrissene Seele von O’ Duffy, auf jeden Fall spiegelt er die Regierigen dieser Welt.

Seine Handlung ist schnell erzählt ich möchte darauf gar keine blumigen Worte verwenden. Dafür findet O’Duffy die besseren:

Es war einmal ein König. Der hatte alles. Eine schöne Frau, Macht und Besitz, er war der Weizen-König, ein Industriemagnat (die Geschichte spielt überwiegend in den 1950zigern) und fast schon obszön reich. Seine Wissenschaftler arbeiteten gerade daran dem Mond noch seinen Stempel aufzudrücken. Dann sollte es passen …

Sein neuester Coup: Seine Frau ertrug es halt nicht wenn irgendwo auf der Welt ein Vogel sang und sie es nicht hören konnte, da beschloß ihr König kurzerhand ihr eben alle Singvögel der bekannten Welt zu kaufen, das ganz getreu seinem Motto: “… was umsonst ist, wird nicht geschätzt”, und sperrte alle in riesige Volieren ein. Ab jetzt musste man zahlen wenn man einen Vogel sehen und hören wollte. Die Natur würde der King eh gerne in den Dienst der Menschheit zwingen. Erster Versuch, die Piepmätze.

Was mit den Vögeln beginnt endet bei den Blumen. Gemeingut wird völlig überschätzt, seine Meinung, aber er ist halt auch der der es am besten weiß. Grundnahrungsmittel werden monopolisiert, die Schere zwischen Arm und Reich treibt er ohne Skrupel immer weiter auseinander. Also, da rauft sich doch nicht nur der Philosoph in dieser Geschichte die Haare und mir drängen sich Parallelen zu einem ganz bestimmten Herrn dieser Tage auf …

Unser Philosoph, Murphy mit Namen, begehrt auf. Was bekanntlich immer erstmal Abhilfe verspricht, ist Krieg und Kampf und so ruft Murphy die Seele eines keltischen Kriegers herbei, der flugs auch einen irdischen Sohn zeugt, weil selbst ermüden ihn diese Menschlein und ihre Streitereien rasch. Sein attraktiver Spross, entsprungen aus dem Schoß einer irischen Schönheit schickt sich also an die Vögel, die Blumen und die Menschheit zu retten …

Zwei Parteien streiten sich derweil um die Gunst des Volkes, welches sich nur dann noch empört, wenn persönliche Benachteiligung droht. Die Gelbgrüne Partei und die Grüngelbe Partei. Wer jetzt Böses dabei denkt, wer bei dieser Farbähnlichkeit in der Namensgebung die Stirn runzelt, also ich tue es, der liegt meiner Meinung nach richtig. Die Ununterscheidbarkeit eines Parteiprogramms und politische Nabelschau ist offenbar nicht nur heutzutage ein Thema.

War O’Duffy ein Hellseher? Keine Ahnung, mir jedenfalls bleibt das Lachen im Halse stecken. Ganz schön abgedreht ist seine Geschichte, Vergleiche mit Autoren wie Terry Pratchett und Douglas Adam drängten sich Vorrezensenten auf. Irgendwo meine auch ich mich zwischen Science Fiction und Dystopie gefangen und doch ist es eine Realsatire. Eine die Macht hat, Sprachmacht, die einen wie außenstehend wirkenden Erzähler einsetzt, der sich dann aber auch direkt an uns Leser wendet, uns einbindet, die Perspektiven wechseln. Man fühlt sich angesprochen.

Dieser Roman ist alles andere als gewöhnlich und kein alltägliches Lesevergnügen. Sprachlich poetisch, philosophisch und behutsam übersetzt von Haefs, die ihm seinen märchenhaft anmutenden Ton bewahrt. Eine Perle für die, die wissen worauf sie sich einlassen und die sich auch einlassen wollen. Auf ungewöhnliches.

Es brummt einem nämlich ganz schön der Schädel, das kann ich euch sagen und für einfach mal so zwischendurch ist O’Duffy meinem Gefühl nach nicht geeignet. Es geht drunter und drüber. Fantasievoll schräg und überdreht. Nieder mit dem Kapitalismus, es lebe der Kapitalismus! Also das ist jetzt nicht von mir, kommt mir aber gerade in den Sinn …

Für die, die gerne Politsatiren mögen, die in Gefilden und in einer Zeit verortet sind, wie man es nicht erwartet und die ein Meister der Genretarnung sind, die sich besonders gewanden, ist dieser bald einhundert Jahre alte, wiederentdeckte Titel ein Geheimtipp. Bestimmt.

Mein Dank geht an den Kröner Verlag und wieder einmal an Dich, Brigit, meine liebe Bücher-Freundin und Garantin der besonderen Schätze, für dieses Besprechungsexemplar.

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