Auf dem Kalender steht der 21. Oktober 2021. Es stürmte die ganze Nacht lang. Die Meterologen tauften die aktuelle Sturmfront Ignaz, ihr folgte am nächsten Tag Hendrik und beide hatten Gewitter und Tornados im Gepäck, zerlegten Windräder, verteilten die Einzelteile gefährlich über Land und Leute. Stürzten Bäume auf Autos und Bahngleise. Rissen Dächer auf. Man gibt den Stürmen Namen, als wolle man sie persönlich verantwortlich machen für das was in ihrem Gefolge geschieht. Diesmal trafen die meisten Vorhersagen zu und dort wo ich wohne bedeuten Orkanboen sehr oft leider auch eines: Stromausfall und um 9 Uhr in der Früh war er dann tatsächlich weg. Der Strom. Es war mein freier Tag und ich saß in der Küche, wollte mir gerade einen Kaffee machen. Sofort begannen meine Gedanken zu kreisen. Was ging jetzt eigentlich noch? Mir wurde kalt, die Heizung ging aus. Das Internet und das Mobilfunknetz waren nicht verfügbar, und mein Akkubalken am Handy war schon bedrohlich weit unten. Selbst das Garagentor elektrisch. Wie funktionierte nochmal der Notriegel? Weg käm ich erst einmal nicht. Wie lange würde es dauern bis wir wieder versorgt waren mit der Lebensenergie, die unser modernes Leben durchpulst? Was wenn es diesmal länger dauerte? Tage, Wochen …
Inmitten der Nacht von Rumaan Alam
Long Island. Ein Haus am Ende der Welt gemietet für die perfekten Ferien. Wunderschön und abgelegen am Waldrand. Nicht weit vom Meer. Zwei nörgelnde Teenager, die das jeweilige peinliche Geschwister gerade nicht mehr ausstehen können. Ihre Eltern, Clay und Amanda, seit sechzehn Jahren verheiratet und das miteinander. Allein zu viert also, in einer Ecke der USA in der es keinen GPS- Empfang gab.
Ein Klopfen an der Tür. Mitten in der Nacht. Zwei Fremde bitten um Einlass. Erzählen von einem Blackout. New York läge im Dunkeln, gerade eben so hätten sie es bis hierher geschafft. In IHR Haus auf dem Land, sie seien nämlich ihre Vermieter und hier gedachten sie jetzt auch bleiben. In ländlicher Sicherheit. Sie boten ihnen Geld. Als Entschädigung. Wegen der Miete. Sie wirken verstört. Aber sind sie auch glaubwürdig? Sind sie die, für die sie sich ausgeben …
Was war passiert? Krude Theorien werden entwickelt. Es könnte ein Terroranschlag sein. Der 11. September schiebt sich in aller Gedächtnis. Ein Reaktorunfall. Organisiertes Chaos provoziert durch einen Hackerangriff. Plötzlich war alles denkbar und der Stromausfall möglicherweise nur die Folge von etwas weit Schlimmeren, und die beiden Fremden waren was? Opfer, Urheber, Drahtzieher oder bloße Zeugen?
Dann ein ohrenbetäubender Knall der körperliche Schmerzen bereitet, Glas zerspringt und Hysterie trifft auf die entwickelten Verschwörungstheorien. Kein Telefon, kein Internet, keine Ahnung. Geht’s jetzt richtig los?
Rumaan Alam, geboren 1977, lebt mit seiner Familie in Brooklyn, er unterrichtet an der Columbia Universtät. Buchreport bezeichnet ihn “als eine der größten literarischen Hoffnungen” und Barack Obama nahm ihn auf seine Leseliste. Inmitten der Nacht ist sein dritter Roman, die New York Times setzte ihn auf ihre Bestsellerliste und er gehörte zu den Finalisten des National Book Award 2020. Gefeiert wird er von seinem Verlag dafür harmlose reale Beobachtungen abstrakt und unheimlich wirken zu lassen. Tja, was soll ich da sagen, man hatte mich am Haken und nach den ersten Kapiteln war ich dann leider erst einmal enttäuscht.
Alam versucht sich an der Konstruktion eines Verwirrspiels das mich leider nicht erreicht. Es fehlt mir an der notwendigen Prise knisternder Spannung. Unterschwellig mag ich, aber bitte nicht ausschließlich, wenn ein Plot fesseln soll. Viel zu sehr sind seine Figuren für meinen Geschmack mit sich selbst beschäftigt. Sie interagieren zu wenig. Dabei wären so viele Konflikte denkbar gewesen, die dem Stoff hätten ordentlich einheizen können. Stattdessen wählt der Autor eine Art Nabelschau und obwohl er so in sie hineinschaut, also eher roman als krimihaft, bleiben seine Figuren für mich so unnahbar wie Scherenschnitte. Sie bleiben mir fremd, ich empfinde sie als stereotyp und unsympatisch.
Auch das von ihm angeschnittene Trauma des 11. September hätte seinen Protagonisten Kontur geben können, er lässt es immer mal wieder aufflackern und ich dachte erst, jetzt dreht der Wind, alle Handelnden sind schließlich New Yorker und ein aktueller Blackout muss ja unweigerlich alte Wunden aufreissen, Ängste zurückbringen. Aber dieser Erzählfunke erlischt wieder kaum ist er aufgeglommen, wird nicht weiter ausgearbeitet.
Ausgefallene Zähne, ein Schwarm Flamingos, die in diesen Breiten nicht vorkommen und am Abend im Pool landen. Der Beginn eines Krieges? Ein offenes Ende.
Wo will die Geschichte mit mir hin? Wird das eine Dystopie oder schauen wir gerade live dem Zerfall unseres Planeten zu? Ich trete erst einmal auf der Stelle. Ständig wiederholt Alam, Sachverhalte, Sätze, Geschehenes, dabei habe ich längst verstanden wie belastet seine Figuren sind, wie angsterfüllt oder wie gleichgültig auch.
Vielleicht hat es auch ein paar Metaphern zu viel, auf jeden Fall aber beschreibt Rumaan Alam beinahe jede Szene so ausgesprochen en détail, für seine Übersetzerin Eva Bonné muss es eine echte Herausforderung gewesen sein hier die passenden Entsprechungen im Deutschen zu finden, dass ich aufstöhne.
Da ist zum Beispiel die Aufzählung eines jeden Artikels eines 200 Dollar Lebensmittel-Einkaufs, die fand ich vielleicht nervig! Jetzt war ich zwar im Bilde wie sich diese Familie zu ernähren pflegte, muss man damit aber ganze Seiten füllen? Das gilt auch für die Brust- oder Rückenbehaarung von Clay, Amandas Mann, die er mir förmlich vor Augen hält, beim Akt und auch sonst sind Alam Körperlichkeiten offenbar wichtig, warum sonst beschreibt er die Genitalien seiner Figuren ständig und ausführlich? Die Handlung bringt das nicht weiter. Meine Beziehung zu seinem Romanpersonal auch nicht. Den hohen Detaillierungsgrad behält Alam quer durch die Geschichte bei. Dafür applaudiere ich ihm nicht. Dafür nicht und auch nicht für das Bewertende, das sich der Autor bei vielen Reaktionen und Situationen erlaubt. So manche wirkt zudem überspitzt und überdramatisiert. Beinahe tot erzählt. Mir ist es immer lieber, das Werten bleibt uns Lesern überlassen. So sammelt Alam leider also auch damit bei mir keine Punkte mehr um sein Konto wieder auszugleichen.
Gefallen hat mir die Grundidee, in aller Abgeschiedenheit konfrontiert zu sein mit einem weltuntergangsähnlichen Geschehen. Kann aus einer Zufallsbekanntschaft eine Schicksalsgemeinschaft werden? Wie verhalten sich Menschen in einer solchen Situation? Spielen Status und Herkunft jetzt noch eine Rolle? Wie stark kann die Ratio noch wirken wenn Gefühle übernehmen?
Auch den von Alam eingesetzten stilistischen Kniff nur uns Leser in Nebensätzen zu informieren was vor sich geht, gehen könnte, sein Personal aber im Unklaren zu lassen, fand ich tricky. Ansonsten war ich aber auch was den Erzählton anbelangte nicht bei ihm.
Ein am Ende negativer Fazitsaldo also? Manchmal kann der Hörbuch-Sprecher es ja noch richten, dieser Job ist ihm zugefallen:
Benito Bause, geboren 1991 in Warstein ist von Haus aus Schauspieler. Spielt er Theater wird er meist dafür ausgezeichnet. Für mich war die Begegnung mit ihm eine Premiere und ich war gespannt auf seine Art zu lesen. Mit gemischten Gefühlen habe ich seinen Vortrag dann verlassen, vereinnahmen können hat er mich am Ende nicht. Er nimmt sich für meinen Geschmack meist zu sehr zurück, etwas mehr Gänsehautfeeling hätte ich mir gewünscht, dort wo die Andeutungen ihren Platz haben. Es wirkte eher so wie vom Blatt gelesen, die Handlung erwachte für mich nicht zum Leben, Kulisse blieb Kulisse.
In den Passagen, denen der Autor dann ohnehin schon einen Faktor mitgegeben hat, liest Bause dann plötzlich mit einer gehörigen Portion Drama in der Stimme. Das tut dem Text nicht gut und der Geschichte in Summe auch nicht. Die tiefere Stimmlage, die er für den ältesten der Protagonisten wählt klingt so verstellt, dass sie bisweilen auf mich sogar lächerlich wirkte. Das war nicht meins.
Mein Dank geht an Der Hörverlag für das Besprechungsexemplar.
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