Donnerstag, 17.01.2019
Kristallklar, zerbrechlich, bizarr, wunderschön malt Väterchen Frost im Winter Muster an Fenster und Türen, bedeckt Gräser und Sträucher. Adelt damit jedes Gewächs, macht es zu einem Kunstwerk. Wenn jetzt noch Flocken fallen und sich eine weiche Decke über allem ausbreitet, verlangsamt sich die Welt, dämpfen sich die Geräusche und ein Zauber liegt auf allem, den nur diese Jahreszeit hervorzubringen vermag. Unberührte Flächen warten auf ihre ersten Fußabdrücke, man versinkt bei jedem Schritt und es knirscht unter den Sohlen. Zum ersten Mal sieht man sich wieder atmen.
Ich träume derweil von Stille, Ruhe und Zurückgezogenheit. Von Eisschollen, die sich übereinander schieben, die schimmernd auf dem Wasser treiben, von langen, grün, grauen Gletschern, die ihre Zungen vorwitzig ins Meer stecken – und vom Nordlicht, von grünen Wellen, die sich über den dunklen, klaren Himmel winden, an ein Feenreich erinnern, das dort oben irgendwo sein muss. Bis ich es selbst einmal sehen, mir diesen lang gehegten Traum erfüllen kann, überbrücke ich die Zeit, zum Beispiel mit diesem Reisebericht hier, niedergeschrieben von Sir Arthur Conan Doyle. Genau! Von jenem, der uns später seinen unvergessenen Detektiv und Ermittler Sherlock Holmes schenken sollte …
Heute dreimal ins Polarmeer gefallen. Tagebuch einer arktischen Reise.
Wir schreiben das Jahr 1885. Arthur Conan Doyle war zwanzig Jahre alt und hatte ein Medizinstudium begonnen, das er, nachdem ihn ein Kommilitone angesprochen hatte, für sechs Monate zu unterbrechen beschloß, um als Schiffsarzt auf dem Walfänger Hope anzuheuern und eine Polarreise anzutreten.
Am 28. Februar 1880 um zwei Uhr nachmittags lief die Hope unter dem Jubel einer großen Menschenmenge aus Peterhead aus, mit Conan Doyle an Bord, der das Schiff als Junge von zwanzig Jahren betrat, um es nach eigener Aussage als erwachsener Mann wieder zu verlassen.
Am 4. April 1880 fiel er dreimal ins Polarmeer (im Wortsinne!), zum Glück war immer jemand in der Nähe, der ihn rechtzeitig wieder herausziehen konnte, das bevor er unter die sich verschränkenden Eisschollen geriet, oder von der starken Strömung unter sie gezogen wurde. Am darauffolgenden Tag landete er nur noch einmal in der eiskalten Brühe, innerhalb der nächsten vier Tage waren es insgesamt noch fünf Stürze ins eisige Wasser. Was nach eigener Aussage einen guten Schnitt darstellte, und danach hatte er zwei Tage frei von der Arbeit auf dem Eis – es ging voran!
Am 11. April 1880 verlor er seinen ersten Patienten an eine Darmverschlingung. Am 12. April 1880 übergaben sie den Leichnam der See. Am 28. April 1880 erreichte die Hope das Grönland-Packeis und in der Nacht war es nun fast so hell wie am Tag.
Am 2. Mai 1880 machte ein schwerer Sturm alle ihre Pläne vom Walfang zunichte.
12. Juni 1880. “Das Eis schließt sich eher, als das es sich öffnet. Die Männer schossen ungefähr von der Seite des Schiffs aus einen Bären. Ich schlief gerade und versäumte so den Spaß.” (Textizitat)
Zum Wintersemster 1881 verließ Doyle dann seine Kameraden wieder und kehrte zurück nach Edinburgh um sich den Abschlußprüfungen seines Medizinstudiums zu widmen. Danach war er “Bakkalaureus der Medizin und Magister in Chirurgie, auf gutem Weg ins Berufsleben.”
Schwarzhumorig posierte er danach mit Doktorhut und Umhang für ein Foto, zeichnete von sich ein Selbstportrait auf dem er sein Dilpom schwang und das die Bildunterschrift “Lizenz zum Töten” trug.
Er würde danach noch einmal auf einem Schiff unterwegs sein, diesmal 1881 -1882 auf einem Passagierschiff von Liverpool nach Westafrika, sich eine Malaria holen und feststellen, das dies nicht der Beruf war, den er sich vom Leben erhofft hatte. Er hatte eigentlich als Chirurg in einem Londoner Krankenhaus anfangen wollen, aber diese Stellen waren so begehrt und für ihn aufgrund seines noch immer jugendlichen Alters von zweiundzwanzig Jahren noch unerreichbar.
In dieser Zeit war es dann, als er mit dem Schreiben seines Polartagebuchs anfing, im Grunde und zu Anfang nur um seine knappen Bezüge aufzubessern. Fraglos legte er aber damit ohne es zu ahnen den Grundstein für sein späteres Schaffen und führte sich damit selbst an das Schreiben heran.
Kurz nach der Veröffentlichung der ersten Polar-Tagebuchbeiträge wurde er in die Literarische Gesellschaft Londons aufgenommen. Er begann mit einer Vortragsreihe über das Polarmeer und in dem er seine Erzähltechniken mit denen seines Vorbildes Edgar Allan Poe verschmolz, entwickelte so eigenen Stil. Vier Jahre später ließ er dann seine bis heute unsterblichen Figuren Holmes und Watson die Romanbühne betreten, um dann um 1900 noch einmal in die Welt aufzubrechen, diesmal zum Einsatz als freiwilliger Feldarzt in die Burenkriege.
Sir Arthur Conan Doyle, wurde 1859 in Edinburgh geboren und verstarb 1930 in Crowborrow, Sussex.
Die Örtlichkeiten die er hier beschreibt konnte ich 2017 zum Teil bei einer Sommerreise erleben und sie mir jetzt noch einmal bei Eis und Schnee zu erlesen, diese nicht gerade luxuriösen Umständen miterleben fand ich grandios! Zurückversetzt in der Zeit, diesen Bedingungen nachzuspüren und auch der realen Figur Conan Doyle einmal so begegnen zu können, den ich für seinen klugen Ermittler Holmes verehre, war ein tolles Abenteuer!
Wir stecken hier mit Doyle tagelang im Nebel oder bei Sturm im schaukelnden, rollenden Schiffsrumpf fest, zur Tatenlosigkeit und zum Durchhalten verdammt, bei eisiger Kälte. Sind Teil einer eingeschworenen, isolierten Gemeinschaft von harten Männern. Das blutige Schlachten von Robben und Walen, die Doyle immer “Fisch” nennt, und die zu dieser Zeit rein aus Ertragssicht bewertet werden, akzeptiert er als Notwendigkeit. So sind Tierbeobachtungen und die Dokumentation derselben im Tagebuch eher untergeordnet vertreten, der Fokus lag ganz klar auf der “Ernte” der Tiere. Man war zum Geldverdienen unterwegs, nicht um sich an dem zu erfreuen, was die Natur zu bieten hatte, ganz im Gegensatz zu heutigen touristischen Unternehmungen.
Die Schönheit des Polarmeers, die Unterschiedlichkeit der Wasserfärbung, die die Wettereffekte hervorbrachten und das sich täglich verändernde Packeis hat man aber trotzdem wunderbar anschaulich vor Augen, das ist im durchaus auch aufgefallen und so ist Doyle nicht nur rein pragmatisch und chronologisch in seinen Schilderungen. Wir sind dabei ebenso fasziniert von einer Meeresschnecke, die an Bord in einem Gurkenglas gehalten wird, wie Doyle und staunen über Eisbären und ihre verspielten Jungtiere mit ihm.
Ausgezeichnet mit dem ITB BuchAward in der Kategorie “Das literarische Reisebuch 2016” ist sein Tage-Buch mit zahlreichen Illustrationen bebildert.
Ich habe Euch mal eine Collage aus einigen davon zusammengebastelt als Kostprobe, diese befinden sich in der Mitte des Buches, sie sind nicht nur Zeuge von Doyles Kreativitätspotential, sondern öffnen uns heute, 103 Jahre später, ein außergewöhnliches Zeitzeugnis und Fenster in die Vergangenheit:
(Bildquelle: btb Verlag Heute dreimal ins Polarmeer gefallen)
Für alle Fans historisch verbriefter Abenteuer ist Doyles Tagebuch ein “must have” und mit seinem erfurchtsvollen Blick zurück auf die Erfahrungen, die er während dieser Reise machen durfte, beende ich meine Besprechung seiner Reiseabenteuer:
“Man steht direkt an der Schwelle zum Unbekannten, erklärte Doyle, und jede Ente, die man erlegte, trägt Kiesel im Magen, die aus Ländern stammen, die auf keiner Karte verzeichnet sind. Es war ein seltsames und faszinierendes Kapitel meines Lebens.” (Textizitat)
Alexander Pechmann, österreichischer Autor und Geschichtensammler, übersetzte dieses Tagesbuch von Doyle für uns ins Deutsche. Von ihm habe im vergangenen Jahr seinen ersten eigenen Roman, “Sieben Lichter” gelesen und besprochen, auch hier geht es um seine Seefahrt und den wohl erstaunlichsten, wahren Kriminalfall der Geschichte. Vielleicht ist er dem ein oder anderen von Euch noch im Ohr, falls nicht kann wer mag auf das Cover klicken und folgt damit dem Link zu dieser ebenfalls ungewöhnlichen Geschichte:
Lieben Dank, Mikka, für diesen Kommentar und das Kompliment! Das ist ja ein Ding, dass Du das Polarlicht andersfarbig wahrgenommen hast. Dein Gefühl kann ich nachvollziehen und ich wünsche Dir, Du kannst es irgendwann noch einmal testen, wie es sich verhält.Grüße mir Deinen Mann und ein Hoch auf die nächste Reise in arktische Gefilde. LG von Petra.
Hallo,
das Buch muss ich eigentlich unbedingt noch lesen! Ich war tatsächlich schon ein paar Mal im Polarmeer unterwegs und habe dabei auch Polarlicht gesehen – aber wie sich herausstellte, sah es für meinen Mann zwar grün aus, wie sich das gehört, für mich jedoch grau, wie Nebel… Ob das eine Art von Farbenblindheit ist? Jedenfalls fühle ich mich seither ein bisschen um mein Polarlicht betrogen!
Eigentlich sammelt mein Mann Bücher, in denen es um die Arktis geht, ich muss ihn mal anstupsen, dass dieses Buch noch in seiner Sammlung fehlt.
Ein schöner Beitrag, der richtig Lust macht auf das Buch! 🙂
LG,
Mikka