Der Abgrund in dir (Dennis Lehane)

*Rezensionsexemplar”

Sonntag, 20.01.2019

Wir schauen unserem Gesprächspartner in die Augen. Halten seinem Blick stand, halten ihn fest, vertrauen darauf, dass das was er uns sagt, ehrlich ist und auch so gemeint. Das er keine Maske aufgesetzt hat, uns damit blendet oder täuscht.

Wie viele Gesichter hat die Wahrheit? Diesmal und immer? Wie viele Gesichter hat jeder von uns? Wann zeigt er welches und mit welcher Absicht?

Der Abgrund in Dir (Dennis Lehane)

Es war ein Dienstag im Mai an dem Rachel ihren Mann erschoß.

Rachel, deren Mutter mit einem Beziehungsratgeber als Schriftstellerin erfolgreich geworden war, das als Rachel sieben wurde. In dieser Zeit hatte ihre Mutter ihr zwischen zahlreichen Nachmittagscocktails eingeschärft, wie Männer tickten, ihrem Männerbild quasi die Prägung gegeben. Ihr Vater war abgehauen, da war Rachel fünf, ihrer Mutter erschien er auch nicht wie ein Musterexemplar dieser Gattung und sie machte keinen Hehl daraus …

Die Probleme anderer hatte ihre Mutter immer schon hervorragend analysieren können, mit ihren eigenen hingegen kam sie weniger gut klar. Alles hatte immer zwei Seiten, das hatte Rachel auch gelernt.

Aber zurück zu unserem Schuß aus nächster Nähe …

Das Blut sickerte ihrem Mann durch die Finger der Hand, die er auf das Einschlußloch auf seinem Herzen drückte. Er sah Rachel direkt in die Augen und sie meinte darin keine Angst, kein Entsetzen, sondern Liebe?!  zu erkennen. Das, und als hätte er erwartet, dass sie genau das tun würde. Er stürzte rücklings über die Reeling und sein Körper verschwand unter der dunklen Wasseroberfläche …

Haiti – ein schweres Erdbeben hatte die Insel erschüttert und Rachel, die von ihrem Job beim Globe zum Fernsehen gewechselt war, wurde von ihrem Sender als Reporterin ins Krisengebiet entsandt.

So viele Fotos mit fremden Gesichtern, so viele Male die Frage darauf “Hast Du mich gesehen”, die niemand mehr beantworten konnte. Angesichts dieses Elends verzweifelte sie, versuchte sich mit Alkohol und Beruhigungstabletten soweit zu betäuben, dass sie ihren Job noch machen konnte. Im Elendsviertel von Port aux Princes zwischen Hunger, Waffen und Bandenkriegen irrte sie umher. Längst war die Cholera ausgebrochen und breitete sich rasend schnell aus, am Straßenrand und auf den Krankenhausparkplätzen türmten sich die Leichen auf, alle Helfer schienen wie in Trance …

Während die Fernsehzuschauer langsam der Schreckensbilder überdrüssig wurden, eskalierte Rachel vor laufender Kamera, und bescherte ihrem Sender damit eine nie dagewesene Aufmerksamkeitswelle – leider nicht im positiven Sinne. In den ersten zwanzig Stunden hatte man ihren Internet-Beitrag  80.000 Mal angeklickt, sechsunddreißg Stunden später ganze 270.000 Mal. Eine seelisch zerstörte Reporterin live im Einsatz, die ihren Nervenzusammenbruch vor laufender Kamera auslebte? Das brachte ihr umgehend die Kündigung ein.  Nicht nur ihre Karriere hatte sie damit beendet, sondern auch die ihres Mannes, der ebenfalls fernsehschaffend war. Die Scheidung folgte auf dem Fuß und Rachel fand, zurück in der Heimat, gefangen zwischen Scham und Panikattacken keinen Grund mehr aus dem Haus zu gehen …

Dennis Lehane, amerikanischer Autor mit irischen Wurzeln, seine beiden Bücher Spur der Wölfe (das von Clint Eastwood unter dem Titel Mystic River verfilmt wurde) und Shutter Island, (verfilmt 2009 von Martin Scorsese mit Leonardo Dicaprio in der Hauptrolle) zählen zu den Weltbestsellern. Sein “Der Abrund in dir” erschien Ende 2018 und ich war gespannt, hatte ich doch von ihm noch keinen Text gelesen, bzw. gehört.

Zunächst gilt es in seinem neuen Roman einige Längen zu überwinden, man wird als Leser nicht sofort in die Handlung einbezogen, Lehane nimmt sich die Zeit seine Figuren ausführlich vorzustellen.

Er beginnt mit Rachel, unserer Täterin, seiner Hauptfigur. Nach dem Tod der Mutter, die bei einem Verkehrsunfall mit einem Tanklaster umkommt, ein spektakulärer Abgang für eine spektakuläre Frau, beginnt Rachel mit der Suche nach ihrem leiblichen Vater. Mit wenig bis gar keinen Hinweisen in den Händen lernt sie einen Privatdetektiv kennen, der später noch eine nicht unwesentliche Rolle übernehmen wird …

Wir erleben mit ihr 9/11 und wie sich in Manhattan eine Schicht aus Staub, Knochenfragmenten, und Ruß auf Fenster und Gebäude legt. Wie Notbetten in den Krankenhäusern leer bleiben und sich stattdessen Zäune und Wände mit Fotos von Vermißten vor den Krankenhauseingängen füllen.

Wir sind nah an ihr dran, an ihren Angstattacken, erleben unwahrscheinliche Zufälle, unglaubliche Übereinstimmungen, kunstvolle Gebilde aus Sein und Schein, ihre Bedenken, dass Kinder Unheil in eine Beziehung tragen und ihr Gefühl, dass das Glück eine Sanduhr ist, die einen Sprung haben muss …

Wie gut kann man seinen Partner wirklich kennen? Was, wenn die eigene Unruhe wächst, wenn Freunde und Bekannte betonen, dass er bei Gesprächen doch eigentlich nie etwas von sich preisgibt, immer nur andere ermuntert von sich zu erzählen. Wenn einem dann bewußt wird, wie oft er anderweitig beschäftigt ist, vorgibt anderen Orts zu sein, man ihn dann doch in der eigenen Stadt entdeckt, rein zufällig …

Wenn Zweifel erst einmal gesät sind, beginnt eine Pflanze zu keimen, die häufig so tief Wurzeln schlägt, dass man sie nicht mehr so einfach und schon gar nicht spurlos ausreissen kann, da braucht es schon Kraft, Geschick und vielleicht auch schweres Gerät …

Wie wir uns auch bemühen, unsere Vergangenheit können wir nicht abstreifen. Wie sehr wir doch verdrahtet sind, verbunden mit jenen die uns erzogen haben, und auch wenn wir nur zu gerne unliebsame Verhaltensweisen ablegen würden, wie selten uns das gelingt. Lehanes Figur Rachel hält uns hier den Spiegel vor.

Beim Hören fühlte es sich für mich so an, als hätten sich drei Bücher in einem vereint, Roman, Krimi und Psycho-Thriller. Auch der Spannungsbogen steigt stetig von Teil 1 bis 3.

Sprachlich gehört Lehane eher zu den anspruchsvolleren, dies ohne sperrig zu sein,  mit bisweilen sogar philosophischen Einwürfen. Die Metaphern, die er verwendet, Bilder die er zeichnet haben mir dabei gut gefallen.

“Schach matt, durch die Dame im Spiel”? Mal sehen …

Wie ein Schachmeister agiert Lehane jedenfalls, dirigiert seine Figuren, Liebende wie Gegner, macht ein paar unerwartete, ausgebuffte Züge, weiß mich damit zu verblüffen und ich gebe mich geschlagen, dachte ich doch, ich wüßte längst schon, wie die Sache ausgeht …

Bibiana Beglau –  mit der preisausgezeichneten Hörbuchsprecherin werde ich einfach nicht recht warm. Dies ist mein zweites Hörbuch von ihr und ich wollte ihr mit einem anderen Stoff noch einmal eine Chance geben.

Ihre für mich einfach zu proklamatorische Art steht auch hier wieder sehr im Vordergrund. Sie legt mir insbesondere durch ausgedehnt betonte Kunstpausen einfach zuviel Dramatik in die Sätze. Ich meine sie immer am Bühnenrand stehen und mit ausgebreiteten Armen rezitieren zu sehen, auf mich wirkt das übertrieben. So wäre ich dann schon beinahe verzweifelt, hätte Lehane nicht so gut vorgelegt und Beglau damit Figuren beschert, wo sie von der Stimmfarbe her brillieren kann, wo ihre Stimme auch mal brechen darf . Das hat mir gut gefallen und mich in Summe versöhnt, aber leider nicht gänzlich von dieser Hörbuch-Fassung überzeugen können.

Verfasst von:

2 Kommentare

  1. Petra
    20. Januar 2019

    Dankeschön für Deinen Eindruck, Dorothee. Live konnte ich Bibiana Beglau noch nicht erleben, aber in einigen Rollen schon im Film erleben. Dort mag ich sie auch sehr. Hier ist es mein persönlicher Eindruck, den ich nicht anders in Worte fassen konnte. Die Jury des Dt. Hörbuchpreises hat das auch anders gesehen. Vielleicht liegt das auch wirklich an mir. Mit weiblichen Sprecherinnen tue ich mir generell schwerer, meist liegt es da an der Stimmmlage oder Stimmmfarbe. LG von Petra

  2. Dorothee
    20. Januar 2019

    Hallo Petra! Auch ich las diesen Roman vor kurzem! Stilistisch hat er mir gut gefallen, erinnerte mich ein wenig an John Irving. Der Schluss des Romans konnte mich nicht fesseln…zuviel Action für meinen Geschmack – soetwas sehe ich lieber im Film!
    Bibiane Beglau konnte ich schon live auf der Bühne des Thalia-Theaters in Hamburg erleben!
    Doch die Zeiten, wo Schauspieler deklamieren, sind längst vorbei…auch sie tut es auf der Bühne nicht! Warum sie es lesend macht…keine Ahnung!😉
    Viele Grüße aus Kiel

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