Harlem Shuffle (Colson Whitehead)

Der Shuffle kann ein Tanz sein, die zufällige Wiedergabe von Musikstücken oder auch Musik selbst, spricht man vom Swing oder Blues. Auch Warenschieberei  bezeichnet man im Englischen mit diesem Begriff, mehrdeutig lädt dieser Roman Titel ein zu entdecken was sein Autor damit gemeint hat und wer Colson Whitehead schon kennt weiß, dass vieldeutig sein Ding ist und eindimensionale Geschichten seine Sachen nicht sind …

Harlem Shuffle von Colson Whitehead

Harlem, N.Y. in den 1960ziger Jahren.

Erschossen. Kaltblütig. In seinem Laden. Das Sofa war jetzt ruiniert und Carney stand plötzlich allein mit einem Leichnam da. Er sei doch der Sohn seines Vaters hatte der Schütze gehöhnt und er würde schon wissen wie und wo er den Toten loswerden könne. Tatsächlich tat er das auch, denn in der Stadt gab es, das konnte man der Tagespresse stets entnehmen, einen gerne genommenen “Ablageplatz” für die Entsorgung von Leichen nach Gewaltverbrechen …

Der Streit mit seiner Schwiegermutter war heftig, hässlich, lange angestautes brach sich Bahn. Was sie ihm an den Kopf warf hatte nicht nur mit ihrer Wohnung zu tun, die dunkel und von schlechten Gerüchen umgeben war, die von überall her zu kommen schienen. Das Rumpeln der nahen Hochbahn war hier ebenfalls unablässig zu hören. Die Eltern von Mrs. Carney hatten sich für ihre Tochter deutlich besseres gewünscht, nicht die Ehe mit einem Teppichhändler wie ihm, dessen Hautton noch dazu nicht nur eine Spur zu dunkel war. Von seiner Herkunft wollten sie gar nicht erst reden. Von dem was sein Vater so getrieben hatte. Er hatte mit seinem Genpool dafür gesorgt, dass die Hautfarbe ihrer Enkelin ihr keine Eintrittskarte sein würde für die Kreise in denen sie verkehrten und ihre Zukunft mehr als ungewiss war ….

Colson Whitehead, geboren 1969 in New York City, us-amerikanischer Autor, studierte in Harvard, veröffentlichte bislang sechs Romane und einige Essays, schaffte was vor ihm bislang nur drei Schriftsteller-Kollegen in der 100jährigen Tradition eines Literaturpreises gelungen ist: Er erhielt zweimal, knapp aufeinander folgend, den Pulitzer Price for Fiction. 2017 für sein Underground Railroad und 2020 für Die Nickel Boys. Höher kann die Messlatte für einen Nachfolgeroman kaum hängen und auch ich war erwartungsvoll gespannt auf seinen nächsten Coup. Hier also kommt er und er ist so ganz anders als ich ihn erwartet hatte.

Wie die Dinge funktionieren. Das war immer wichtig zu wissen. Cops hielten die Hand auf und
wollte man im Geschäft bleiben, waren es ganz bestimmte Umschläge, die die Stadt “am Laufen” hielten.

Sehr atmosphärisch und bildhaft beschreibt Whitehead die Handlungsorte seiner Geschichte und bleibt sich auch hier treu. Er zeigt auf, das man trotz ausreichend finanzieller Mittel, korrekter Umgangsformen, aber mit der “falschen” Hautfarbe seinerzeit nicht einmal eine anständige Wohnung mieten konnte. Es bis in die Mittelschicht zu schaffen war ein Kraftakt, in Harlem Shuffle soll seiner Hauptfigur dabei die ein oder andere “krumme Tour” helfen.

Sprachlich bleibt er stets empathisch für Mensch und Stadt. Formulierungen die Gänsehaut erzeugen darf man auch in diesem seinem aktuellen Roman von ihm erwarten und was als eine zum Beinehochlegen beginnt, wandelt sich alsbald.

Gaunerstück, Familiengeschichte all das ist sein Harlem Shuffle, immer mit dem Blick auf soziale Ungerechtigkeiten, auf den Unterschied den Hautfarbe macht, die gesellschaftlich nicht en voque ist.

Es geht um Glanzzeiten und um verblassten Glanz. Hochs und Tiefs, Familienbande, zwielichtige Gestalten, Tresorknacker, einen folgenschweren Einbruch, um Eintreiber und unangenehme Besucher. Um untadelige Stammbäume, elitäre Clubs ebenso wie um Kindheiten die kein Zuckerschlecken waren und um Väter die gerne Nackenschläge austeilten.

Um Zwischenhändler und Hehler, um Geschäftsbücher die gut frisiert sind. Um Steuerberater, die jedes Schlupfloch kennen, um Schmiergeld, Schutzgeld, edle Steine, den Sound der Hochbahn, den Herzschlag einer Stadt. In der ein paar Straßenblocks den Unterschied machen. Sie trennen die Streber von den Gangstern. Der Times Square leuchtet bei Nacht, wir machen einen Ausflug wie in ein Paralelluniversum.

Ich mochte den Ton dieser Geschichte, fühlte ihren Beat, genoss die wechselnden Szenenbilder, als wäre ich in einen Breitwandfilm gehüpft. Für seinen Blick auf die Welt verehre ich Colson Whitehead. Diesmal ist seine Geschichte leichtfüßiger als die beiden anderen die ich bislang von ihm gelesen habe und Harlem, New York, die Stadt die niemals schläft, scheint seine große Liebe zu sein, hinter all dem was grau ist vermag er Schönheit zu sehen.

Radioeingeweide, blitzendes Handwerkszeug und krumme Dinger.
Von Colson Whiteheads Romanen bin ich eine beklemmende, bedrückende und aufwühlende Atmosphäre gewohnt. In seinem Underground Railroad nahm er mich mit auf die Flucht, mit seinen Nickel Boys saß ich in einer Besserungsanstalt ein. Diesmal tauche ich tief in Harlem und zwischen allerlei Transistorradios und Röhrenfernsehern wieder auf. Hier treffen sich zwei Männer die von Beginn an etwas miteinander verbindet. Gebrauchtwaren, ich fürchte ja, nicht alles hier ist auf legalem Weg in den Laden gewandert. Man stellt keine Fragen. Man handelt. Sammelt das Beste ein bei Haushaltsauflösungen. Der Markt für Gebrauchtes ist groß. Hier, in diesem Teil der Stadt wohnt man nicht wenn man Geld hat.

Ware kommt und geht sagt Whitehead, träumt den amerikanischen Traum, es war nicht wichtig woher man kam, es war nur von Bedeutung wo man landen wollte. Gleich welche Hautfarbe man hatte.

Wo will Whitehead diesmal mit mir hin, dachte ich zu Beginn. Ist er doch sonst besonders auf die sich dramatisch zuspitzenden Themen abonniert.

Diesmal erinnert er mich nicht an seine Vorgängerromane, sondern eher an den Klassiker von Ann Petry The Street, sein Held wirkt wie ein Chamäleon auf mich. Ihn hat er besonders facettenreich ausgestattet. Denkt man, man kennt ihn, wird man ein paar Sätze weiter eines Besseren belehrt.

Whiteheads aktueller Plot ist rein fiktiv, kommt ohne steil ansteigenden Spannungsbogen aus, ist mehr Milieustudie denn Drama und zu empfehlen für die Fans einer eher langsameren Erzählgangart. Für seinen Harlem Shuffe hat Whitehead seinen Ton und Erzählfluss verändert, er wirkt ruhiger, gemächlicher, surft für die Figurenzeichnung immer wieder auch in die Vergangenheit, zweigt in Stammbaumäste ab. Es hat reichlich Seitwärtstrifft in der Handlung. Er nimmt sich Zeit. Zeit sich umzusehen. Zeit für seine Figuren und eignet sich damit perfekt für’s Hören. Die Hörzeit beträgt ungekürzt 12 Stunden und 37 Minuten, die man gemeinsam mit:

Richard Barenberg, geboren 1976 in Surabaya/Indonesien, aufgewachsen in Bamberg, erlebt. Er hat die Hörbuchfassung eingelesen, für die ich mich ursprünglich entschieden hatte, weil laut Vorankündigung des Verlages eigentlich Stefan Kaminski hätte lesen sollen. Kaminski hatte ich in Boyles Wassermusik zum ersten Mal erlebt und er war eine Vortragsoffenbarung für mich. Wie bin ich jetzt im Gegensatz zu ihm mit Barenberg zurecht gekommen? Besonders weil ich mich ja auf einen anderen Sprecher gefreut hatte? Zugegeben mit anfänglichen Schwierigkeiten. Dann aber lernte ich die umsichtige und behutsam konservative Art mit der sich Barenberg diesem Text angenommen hat zu schätzen. Sie passt. Passt zum Kontext und der Zeit in der die Geschichte spielt. Passt zur Hauptfigur. Ihrer eher behäbigen, gelassenen Art die Dinge anzugehen. Passt zu der leichten Hand mit der Whitehead hier zu erzählen versteht, von dem was krumm ist, von Vertrauen und Misstrauen und drum, schaue wer mag mal auf dem Instagram-Profil meiner Bücher-Apotheke vorbei, denn dort verlose ich ein Hörbuch-Exemplar. Viel Glück Euch und viel Freude unterwegs in Harlem.

Mein Dank geht an den HörbuchHamburg Verlag für das Besprechungsexemplar.

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