Gott ist nicht schüchtern (Olga Grjasnowa)

Sonntag, 19.08.2018

Die Angst vor Überfremdung ist in unserem Land mittlerweile genauso heimisch, wie das Entsetzen angesichts der Bilder, die sich vor Europas Grenzen auf dem Wasser abspielen. Skrupellose Schlepper haben längst entdeckt wie gut sich mit dem Mut der Verzweiflung Geld verdienen läßt. Immer neue Wege und Passagen werden ausgelotet, immer neue Ideen entwickelt.

Wie kann es gelingen, angesichts dieses Elends im nahen Osten wieder Besonnenheit und einen stabilen Frieden zu erwirken? Wie kann man im Herzen von Afrika für Ruhe, Arbeitsplätze und Entwicklung sorgen? Wie lassen sich in den Ländern, die Asyl gewähren menschenwürdige Verhältnisse für Flüchtende erreichen und wie kann Integration gelingen, bedenkt man die jetzt schon vorherrschende Ghettoisierung? Wie kann ein angstfreies, tolerantes Miteinander entstehen?
Fragen über Fragen, auf die dieser Roman auch keine Antwort geben kann, aber er schärft unsere Sinne, weckt Verständnis. Aus der Feder von Olga Grjasnowa stammt auch dieser Satz, der auf den Punkt bringt, worum es in ihrem Roman geht:

“Die Welt hat eine neue Rasse erfunden, die der Flüchtlinge, Refugees, Muslime oder Newcomer.” (Textzitat).

Gott ist nicht schüchtern

Was auch immer Hammoudis Großmutter in seinem Kaffeesatz gesehen hatte, sie hatte es nicht ausgesprochen. Nach der Willkommensfeier für ihren Enkel hatten sich wie immer alle um sie geschart, mit ihren Tassen und dem letzten Rest Satz, den sie jeweils auf einen Unterteller ausleerte um ihn zudeuten. Auch später, als er sie erneut darauf ansprach, schwieg sie noch immer, kopfschüttelnd und beharrlich.

Als er jetzt fassungslos vor dem zuständigen Beamten in der Pass-Stelle im syrischen Deir az-Zour stand, und ihm der Beamte zwar seinen Ausweis verlängerte, ihm aber ebenso unmissverständlich klar machte, dass ihm die Ausreise aus Syrien nicht mehr gestattet sei, musste er an seinen Kaffeesatz und den Blick der Großmutter denken. Der Staatsschutz habe Bedenken, hörte er den Mann hinter dem Schreibtisch noch sagen, dann winkte ihn dieser schon ungeduldig hinaus. Ihm, der in Frankreich eben erst sein Medizinstudium beendet, eine Anstellung an einer renommierten Klinik als Chirurg und eine Frau für’s Leben gefunden hatte, wurde eiskalt. Er wollte nicht in Syrien bleiben, hier in der “gelben Stadt”, die an zweihundert Tagen im Jahr vom Sand bedeckt war, alles was er hatte, wofür er gearbeitet hatte, was ihn ausmachte war doch jetzt in Paris …

In dem Heck des Wagens, in das sie Amal geworfen hatten, lagen jetzt insgesamt sieben Frauen. Das Fahrzeug setzte sich wieder in Bewegung und die Männer im Font begannen die Frauen, die sie unter Schlägen und Tritten in das Auto befördert hatten, auf das Übelste zu bespucken und zu beschimpfen. Die Angst zu sterben vermischte sich bei den Frauen mit der vor weiteren Verletzungen und Demütigungen, vor Folter, als man sie kurz darauf unsanft auslud.

Amal hatte darauf vertraut, blauäugig und wohl in einem Anflug von Selbstüberschätzung, dass ihr schon nichts passieren würde. Ihr Vater hatte mit seinem Geld bislang immer geholfen, an den entscheidenden Stellen eingesetzt, hatte sie dies stets vor Schaden bewahrt. Er hatte sie gewarnt, sich von den Demonstrationen fern zu halten, sie aber hatte etwas tun wollen. Hatte aufbegehrt, gegen den Vater, gegen das Regime. Die Schreie der Männer in der Nachbarzelle, ließen die Frauen jetzt enger zusammenrücken. Durch einen Spalt im Mauerwerk, den man wohl absichtlich gelassen hatte, konnte man einen Blick auf das werfen, was sich nebenan abspielte. Amal wandte sich ab, versuchte ihre Ohren zu verschließen und ihr Herz …

Olga Grjasnowa. Wer ist die junge Frau, die hinter diesem Roman steckt habe ich mich gefragt und nachgeforscht. Im Interview mit Denis Scheck plaudert sie über ihre eigene Herkunft, bezeichnet sich selbst als “Kontigentflüchtling”, als Wirtschaftsflüchtling. Geboren 1984, aufgewachsen in Baku, Aserbaidschan, siedelte sie 1996 mit den Eltern nach Deutschland um. Der Vater Rechtsanwalt, die Mutter Musikwissenschaftlerin. Heute lebt Grjasnowa in Berlin, ist mit einem syrischstämmigen Schauspieler verheiratet und hat eine Tochter.

Die Entscheidung ihren Roman um die beiden priviligierten Flüchtlinge Amal und Hammoudi in der syrischen Mittelschicht, bzw. Oberschicht anzusiedeln sei eine bewußte gewesen, gibt  Grjasnowa an. Zum einen, weil sie dieser selbst entstamme, zum anderen weil es genau diejenigen seien, die aus ihre Heimat fliehen, weil nur sie das Geld für eine solche Flucht überhaupt aufbringen könnten.
Sie selbst sei für ihren Roman viel gereist in den Libanon, nach Istanbul und Griechenland, aber nicht nach Syrien. Rein journalistisch sei ihre Recherche verlaufen, sie habe sich in Dokumentarfilmarchiven vergraben, habe zahlreiche Interviews mit Flüchtlingen geführt, teils sogar über Scype. Ihre Kritiker werfen ihr genau das vor, sie sei nicht selbst in Syrien gewesen, von daher könne sie nicht urteilen. Das tut sie aber aus meiner Sicht auch gar nicht. Sie urteilt nicht, sie wertet nicht, sie schlüpft in die Rollen ihrer Figuren, erzählt einfach, bleibt stets bei deren Blickwinkel. Sogar die Ökonomie hinter den Flüchtlingsströmen macht sie transparent. Von gefälschten Rettungswesten berichtet sie ebenso, wie von horrenden Wohnungsmieten in den vom Bürgerkrieg zerstörten Städten.

Mit dem Arabischen Frühling 2011, nach Demonstrationen in Tunesien und Ägypten, hatten auch in Syrien im Grunde friedliche Proteste gegen das Assad-Regime stattgefunden und waren am Ende eskaliert. Waffenströme aus dem Ausland und ausländische Söldner sorgten dann dafür, dass der eigentliche Wunsch nach Demokratisierung in den Hintergrund und das Durchsetzen ganz anderer Interessen in den Vordergrund traten und Syrien befand sich plötzlich in einer Art Stellvertreter-Krieg der unterschiedlichsten Mächte. Das Land zerfiel, seine Kunstschätze, seine Kulturstätten, wie die Wüstenstadt Palmyra wurden zerstört. Längst ist die Lage, nach mittlerweile sieben Jahren mit anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen so unübersichtlich, dass es immer noch zu Massenfluchten der Bevölkerung kommt. Die Zahl der Bürger-Kriegsopfer wurde Anfang 2018 auf 500.000 Menschen geschätzt. Die unglaubliche Zahl von 11,6 Millionen Syrern war 2015 auf der Flucht, davon so kann man lesen rund 6 Millionen innerhalb Syriens, etwa 5 Millionen schafften es ihr Land zu verlassen.

Vor dem Hintergrund dieser grausamen Gemengelage läßt Olga Grjasnowa ihren Roman spielen. Wir lernen den jungen Arzt Hammoudi kennen, der in Paris studiert hat und eigentlich nur auf Stippvisite in seine Heimat gekommen ist, um seinen Pass verlängern zu lassen. Er streift in Syrien Amal, angehende Schauspielerin, Tochter aus reichem Haus. Sie studiert in Damaskus, einer Stadt, die sie für ihre Aufgeschlossenheit und ihren kulturellen Reichtum liebt.

Kurze Zeit danach schon erkennen wir Damaskus nicht mehr wieder, viele Zugezogene, die vor den Kämpfen in Aleppo, Homs und Deir az-Zour geflohen sind, suchen hier Unterschlupf. Über Kommilitonen gerät Amal eher arglos in ihre ersten Demonstrationen und bald schon hat sie der Geheimdienst im Visier.

Hammoudi ist alsbald in den Kriegswirren von Deir az-Zous noch der einzige verbliebene Arzt im besetzten Teil der Stadt, indem auch sein Elternhaus liegt. Er operiert im Schein eines schwach scheinenden Handy-Displays. Längst sind die Medikamente ausgegangen, haben sich Hilfsorganisationen zurückgezogen.

Sprachlich bewahrt die Autorin Distanz, berichtet beinahe sachlich, ist dabei aber keineswegs unempathisch. Sehr detailliert beschäftigt sie sich mit den Schrecken des syrischen Bürgerkrieges, beängstigende Bilder sind es, die sie aus den zerstörten Städten auferstehen läßt. Die Detonation von Fassbomben, Schutt und Scherben, Seenot, verunreinigtes Trinkwasser und das Aufkommen längst vergessener Krankheiten wie Typhus und Cholera zeichnet sie ungeschönt. Die Sehnsucht nach einem Leben, dass es so nicht mehr gibt macht den Fluchtwillen ihrer Figuren nachvollziehbar.
Beklemmend und bedrückend beschreibt sie die Flucht ihrer Protagonisten auf überfüllten Booten, die Angst ein steter Begleiter. Sie erzählt vom Hunger, der sich als, bei Belagerungen eingesetzt, effektivste aller Waffen erweist. Und doch gibt es sie auch hier, die Momente der Zuversicht, der Hoffnung, die Tagträume,. Das macht schon auch mir einen Kloß im Hals.

Ideologien, die die Welt verbrennen gab es zu allen Zeiten. Die, die sie mittragen leider auch, zum Glück gibt es aber auch diejenigen, die sich ihnen mutig in den Weg stellen. 

Eine Geschichte von Entwurzelung und Heimatlosigkeit, die nachhallt, auch der Fallhöhe und der Geschwindkeit wegen, mit der die Figuren aus ihren Leben stürzen. Wie schwer es ihnen fällt, die traumatischen Ereignisse abzuschütteln, die sie erleben mussten, das macht betroffen. Wie wichtig es dabei ist, die richtigen Papiere zu haben, beweisen sie doch das man existiert.
Zitat Berthold Brecht: “Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.”
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