Gott der Barbaren (Stephan Thome)

*Rezensionsexemplar*

Sonntag, 03.02.2019

Neugierig bin ich ja schon, neugierig auf die Menschen hinter den Geschichten, die ich lese oder höre. So war dann auch mein Besuch auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2018 ein “investigativer” – Autorengespräche wollte ich belauschen und ich hatte Glück. Zahlreiche spannende und unterhaltsame Interviews konnte ich miterleben. Bekannte Autoren waren dabei, ebenso wie solche von denen ich bislang noch gar nichts gehört hatte. Beide Fraktionen begeisterten mich gleichermaßen. Eines der Interviews, die mich am meisten für den Titel dahinter “angefixt” haben, war dieses hier:

Im Gespräch mit Denis Scheck durfte ich Stephan Thome zuhören, der sich ungemein sympatisch, relaxt und aufgeräumt gab. Und ehrlich, es hätte gar keine keine Nominierung für den Deutschen Buchpreis 2018 gebraucht um meinen Wunsch zu wecken, seinen Roman “Gott der Barbaren” lesen zu wollen.

Ganze dreimal hintereinander stand er bereits auf der Shortlist des renommierten Preises und er ist stets leer ausgegangen! In seiner unnachahmlichen Art, konfrontierte ihn Scheck genau damit und Thome verlangte sich augenzwinkernd ein Taschentuch, sprach offen über seine Enttäuschung, die an diesem Tag noch frisch war und ordnete sie auf einer persönlichen Sklala bei 5,3 ein. Dies mit einer Entspanntheit, die ihm sehr gut stand. Ein schlechter Verlierer ist er schon mal nicht und das hat er auch gar nicht nötig! Scheck sprach ihm dann auch glatt und gänzlich unironisch eine 10,0 für seine “Barbaren” zu.  Das ist doch mal ein Statement des belesenen Kritikers! Sorry, ich greife schon vor, werfen wir doch einmal gemeinsam einen Blick auf das chinesisch/britische Historienspektakel:

Gott der Barbaren (Stephan Thome)

“Sollen wir fliehen oder bleiben? Meine Kinder schauen zu mir auf und ahnen nichts von der Verwirrung in meinem Herzen. Wehe uns! Wir leben in einer Zeit der Zweifel und der bösen Omen, niemand ist mehr sicher”. (Textzitat)

Mai 1858, im Golf von Zhili.

Hier stand er nun, auf dem Achterdeck der HMS Furios und wartete auf den Krieg, der achte Earl of Elgin, während seine fünf Kinder samt seiner Frau zu Hause auf ihn warteten. Die beiden Jüngsten würden in wohl kaum noch kennen, wenn er endlich wieder bei ihnen wäre.  Der Nebel war heute in der Bucht so dicht, dass man die Hand nicht vor Augen sah, das noch um elf Uhr vormittags. Er dachte gerade an Kalkutta und seinen Einsatz dort, der noch nicht lange zurück lag, an die Pracht des Palastes des dortigen Generalgouverneurs, der den Buckingham Palace wie eine Baracke aussehen ließ, als sein Sekretär Maddox ihn ansprach und zwei Besucher ankündigte, zwei chinesische Abgesandte, die wohl zum Verhandeln gekommen waren.

Lord Elgin seufzte, die Chinesen führten hier einen Tanz auf, benahmen sich wie Kinder, die sich die Augen zu hielten um nicht gesehen zu werden, hinderten ihn mit dieser Taktik daran, den Auftrag seiner Regierung auszuführen. Der da lautete, notfalls einen Krieg vom Zaun zu brechen um den Opiumhandel in Schwung und die Handelswege offen zu halten …

Der Tag an dem Philipp Johann Neukamp, seine linke Hand verlor begann ebenfalls neblig auf dem Poyang See, welcher durch den Yangtze mit dem Meer verbunden war und damit auch die Gezeiten spiegelte. Die Sicht auf die steilen Felsen, die den See begrenzten ging gegen Null und als der erste Schlag gegen den Bug dem Boot einen heftigen Richtungswechsel bescherte waren alle an Deck. Potter war außer sich vor Zorn, diese chinesischen Möchte-Gern-Matrosen segelten viel zu nah am felsigen Ufer und würden sie noch alle ins Grab bringen. Der Nebel wechselte sich mit gleißendem Licht ab, was das Navigieren auch nicht leichter machte und als sie den entgegenkommenden Schiffsrumpf sahen, war es für ein Ausweichmannöver schon zu spät. Die Kollision traf sie mit voller Wucht und auch ein erster Schuß traf sein Ziel, er durchschlug Philipps linken Handteller, riss ihm fast den Daumen ab und hinterließ ihn schwer verletzt, während jetzt der Kugelhagel erst los ging …

Stephan Thome, 1995 als Student in Nanking, plauderte er ebenfalls in o.e. Interview aus, schrieb er ganze 200 Briefe an seine Freundin, das in nur einem Jahr und er meinte scherzhaft, im Gegensatz zu heutigen Zeiten mit Whats App & Co., habe er noch gelernt was es heißt, wenn eine Antwort schon einmal etwas länger aus sich warten ließe. So hätte er denn auch gut nachvollziehen können, wie um 1860 seine Seeleute im Roman oft ein halbes Jahr und länger auf eine Antwort aus der Heimat gewartet hätten.

Beschäftigt man sich mit Thomes Werdegang, stellt man fest, dass hier ein Kenner der Materie schreibt, jemand der schon als Übersetzter aus dem Chinesischen gearbeitet hat, der sich immer schon auch mit Fremdheit, Fremdsein beschäftigt hat und jemand der Asien nicht nur aus Büchern, sondern aus eigenem Erleben und Arbeiten kennt.

Mit dem Versprechen von starken Bildern hatte mich Dennis Scheck in diesen Roman gelockt und ich wurde nicht enttäuscht, im Gegenteil. Dieses Versprechen hält Thome locker, seine Beschreibungen der chinesischen Landschaften lassen einen wunderbar eintauchen in dieses faszinierende Land und in diese Epoche. Und immer wieder auch geht es nach Indien, in ein Land voll von bedrückender Armut und schockierendem, diamantenbesetztem Reichtum, regiert von der Kolonialmacht England, das in seiner Dekadenz kaum zu überbieten ist.

Thomes inhaltliche Schilderungen der Kriegshandlungen, Missionarstätigkeiten, Lebensumstände, der religiösen Motivationen und der Idee eines Gottesstaates inmitten uralter Traditionen, fesseln mindestens ebenso. So entsteht eine Balance zwischen beinahe poetischen Textpassagen und auch rauen, grausam schönen Bildern. Ich denke dabei gerade an sein Kapitel “Der Fluss der tausend Toten”.

Neben den szenisch starken Beschreibungen Thomes hat er mich auch mit seiner Sprache sehr für sich einnehmen können. Seine Feder und seine Ausdrucksweise sind leicht und unverstellt. Unangestrengt und wohlüberlegt zugleich, sind seine Sätze ausgewogen und brilliant ausformuliert. Viele davon liest man gerne mehr als einmal, spürt ihnen nach, gehaltvoll sind sie, viel zu erzählen weiß er, bindet Zeitungsausschnitte und Briefwechsel ein. So wächst ein wahres Epos, welches mit seinen 719 Seiten, inkl. Personen- und Inhaltsverzeichnis, anspruchsvoll unterhält ohne das Langeweile aufkommt. Habe ich schon erwähnt, wie schön ich seine Kapitelüberschriften finde? Nein?  Wie wäre es z.B. mit “Im Garten der vollkommenen Klarheit” oder auch mit “Das Refugium der fortgesetzten Träume” …

Mit seinen Figuren hält er es ähnlich wie mit seinen Szeneriebeschreibungen, allesamt sind sie griffig gestaltet. Man ist gerne bei und mit ihnen unterwegs. Sein Lord Elgin, der mit den Interessen seines Vaterlandes nicht immer so ganz einig geht, politische Emporkömmlinge verabscheut, die sich hier als Kriegstreiber geben und andere ausbaden lassen, was sie selbst angerichtet haben. Dem das Ausland, seine Hitze und Krankheiten auf den Schlips gehen, der sich aber im kalten, feuchten England bei Frau und Kind auch nicht mehr aufhalten kann und dem britischen Empire ein treuer Diener ist. Ein Getriebener, aufgerieben werden seine Kräfte, von immer neuen Posten auf anderen Kontinenten …

Philipp Neukamp, der junge Deutsche, der das Abenteuer, sich selbst und seinen Mut noch sucht, dabei seine Hand wie gesagt verliert und nicht zuletzt Alonso Potter, ein Amerikaner darf nicht fehlen in dieser illusteren Runde. Er sorgt für die notwendige Verwegenheit, und durch ihn weht ein Hauch von Schicksal und Abenteuer durch die Seiten. Wie dieser unerschrockene, leicht verschlagen wirkende Charakter seinem Weggefährten Neukamp mit einer alten Säge die Hand abnimmt um ihn vor dem Wundbrand zu retten ist schon seine Hausnummer, dies jenseits aller politischen Motivation und historischer Fakten, die der Roman sonst noch zu bieten hat.

Gleich ob unter chinesischen Generälen, Rebellen oder unter Barbaren, hier schätzt man einander ab, wiegt “Mann” und misst “man” einander mit Blicken wo es an der verbindenden Sprache fehlt. Wechselseitig hält man sich für Barbaren, also für unkultiviert, unzivilisiert. Im besten Sinn der heutigen Wortbedeutung des Begriffes. Dabei wurde dieses Wort im altgriechischen (bárbaros) und auch im indischen Sanskrit (barbarah) lediglich dafür genutzt, diejenigen zu benennen, die kein bzw. nur unverständlich griechisch sprachen, bzw. benannten die Inder dem Wortstamm (Stammler, Laller) nach, so fremdartige Völker, dies damals noch frei von jeglicher Wertung.

Barbarisch! Goldener Lotus, was für eine schöne Bezeichnung für eine schreckliche Tat. So nannten die Chinesen die Füße ihrer Frauen und Töchter, die sie bereits im Kindesalter mit Stoff zu binden begannen, so fest und so lange, bis sich die Fußknochen allmählich verformten und die Zehen einwuchsen, so das sie am Ende in Puppenschuhe paßten, die die Frauen unter Schmerzen trippeln und im Stehen schwanken ließen als seien sie betrunken …

Satte Kulissen, geballtes Autorenwissen, Himmliche Könige, aus Gelehrten werden Kriegsherren wider Willen und sie erlangen Macht, die selbst Kaiser erzittern läßt. Unterschiedlichste Perspektiven und immer wieder der Blick auf die häßliche Fratze des Kolonialismus und religiösen Fanatismus. Verzweiflung, Hoffnung und Gottesfurcht. Rebellion, dörfliches, ärmliches Leben und kaiserlicher Prunk, Terror überzieht das Land. Einer Idee werden unzählige Menschenleben geopfert.

Hitze, Krankheiten, klimatische Unbill und politische Ränke wechseln einander ab, gestalten so einen historischen Roman an exotischen Schauplätzen der für mich ein ganz besonderes Stück ist und was für einen Schlußpunkt er mit seinem letzten Kapitel setzt, angefüllt mit Sätzen voller Nachhall! Mehrfach habe ich es gelesen.

So wird denn auch diese meine erste Lese-Begegnung mit Stephan Thome eine Fortsetzung finden. Seinen Debüt- Roman “Grenzgang” von 2009 habe ich dafür im Auge, als Meister der seelischen Zwischentöne haben Kritiker ihn hierfür gelobt und den Aspekte Kulturpreis hat man ihm verliehen!

“Manche Leute behaupten, um zu akzeptieren, wer man geworden ist, muß man vergessen, wer man einmal war.” (Textzitat)

Verfasst von:

6 Kommentare

  1. Petra
    10. Februar 2019

    Liebe, Silvia, ich bin auch gespannt weitere Texte von ihm, besonders darauf wie sich Sprache und Erzählton entwickelt haben.
    Als Hörbuch kann ich mir den Gott der Barbaren auch sehr gut vorstellen, das hatte ich zunächst auch überlegt. Ich glaube es
    liest Johannes Steck? Der müsste sehr gut passen. Dir wünsche ich beste Hörunterhaltung. LG von Petra

  2. Silvia
    9. Februar 2019

    Hallo Petra,
    Den Autor konnte ich bei einer Lesung kennenlernen. Ich bin hingegangen, weil mir seine vorherigen Bücher nicht so gut gefielen, und ich mit dieser Meinung irgendwie einen einsamen Stand in meinen Lesekreisen hatte. Mit seinen Äußerungen zu Gott der Barbaren hat er mich allerdings überzeugt. Ich habe mich für das Hörbuch entschieden. Es ist von ganz anderer Art als z..B. Grenzgang. Ob es an der Story, am Handlungsort oder an der Zeit liegt? Ich weiß es nicht.
    Ich bin gespannt, was du zu Grenzgang sagen wirst.
    Viele liebe Grüße
    Silvia

  3. Petra
    7. Februar 2019

    Dann wünsche ich Dir recht gute Unterhaltung wenn es soweit ist! LG Petra

  4. Dorothee
    7. Februar 2019

    “Gott der Barbaren” ist auf meiner Wunschliste gelandet…aber ich werde auf die TB-Ausgabe warten!

  5. Petra
    3. Februar 2019

    Liebe Mikka, da sag ich nur so kann’s gehn! Mir ist es bisher nicht gelungen mit meiner Auswahl den Sieger zu treffen und ich frage mich
    wirklich so manches Mal mit welchen Maßstäben hier gemessen wir. Über Geschmack läßt sich ja bekanntlich trefflich streiten … Mit Vorliebe schnappe ich mir eher die historisch aufbereiteten Stoffe, so war im vergangenen Jahr Franzobel mit seinem Floss der Medusa mein Favorit, der leider auch nicht gewonnen hat. LG von Petra

  6. Mikka
    3. Februar 2019

    Hallo,

    danke für den interessanten Einblick in Buch und Autor!

    2017 und 2018 habe ich mir nach Erscheinen der Longlist des Deutschen Buchpreises jeweils sechs Titel ausgesucht, die ich vor der Verleihung gelesen habe – und dabei beide Male treffsicher den Gewinner verfehlt. (Im Gegensatz habe ich 2016 nur eines der Bücher gelesen, und das hat dann gewonnen.)

    “Gott der Barbaren” war nicht unter den Büchern, die ich gelesen habe, und ich muss gestehen, dass es mich zunächst auch gar nicht ansprach. Aber diese Rezension macht mich jetzt doch neugierig auf das Buch!

    LG,
    Mikka

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