Laut Duden ist ein Gefährte, eine Gefährtin, eine Person, die durch Freundschaft oder gleiche Lebensumstände mit jemandem verbunden ist; ein/ begleitende/r Freund:in, Kamerad:in.
Der Begriff stammt aus dem mittelhochdeutschen/ althochdeutschen, ist abgeleitet von <geverte>, <giferto> und meinte eigentlich “der mit einem zusammen fährt, reist”.
Wir haben diesem Begriff in unserem Sprachgebrauch unterschiedlichste, auch tiefere Bedeutung gegeben. Tiere können Gefährten sein, Bücher, Literatur kann begleiten. Wir sprechen von Lebensgefährten, nicht nur von Weggefährten.
Auf wen und welche Gefährten werde ich in dieser Geschichte treffen, die Vergangenheit und Gegenwart verbinden soll? Die mit etwas hinter dem Berg hält, da bin ich mir schon zu Beginn sicher …
Gefährten von Ali Smith
Ein Schloss. Ein kunstvoll gefertigter Verschluss, der im 16. Jahrhundert die Geldtruhe eines Barons gesichert hatte, geschmiedet von einer jungen Frau, die die Pest zur Waise gemacht hat, findet 2021, zwischen zwei Lockdowns einer Pandemie, seinen Weg nach England.
Eine Grenzkontrolle. Eine Frau. Alleingelassen, eingeschlossen in einem Raum. Sieben Stunden lang. Eine Stimme. Sie hört zwei Worte curlew und curfew, die klingen wie eine Frage und den nachgeschobenen Satz <Du entscheidest>.
Curlew bezeichnet die Gattung der Brachvögel, und curfew meint im Französischen Sperrstunde oder Ausgangssperre. Der Wechsel eines einzigen Konsonanten sorgt für eine völlig neue Wortbedeutung. So weit so klar und auch so unklar.
Eine ehemalige Kommilitonin soll helfen. Die war Meisterin in Wortdeutung. Ein Anruf erreicht diese, überrumpelt sie. Ihre Finger schweben schon über der Auflegen-Taste, merkt die Autorin an, und doch tut sie es nicht. Mit der Anruferin hatte sie kaum zu tun seiner Zeit, sie erinnert sich nicht an sie, nicht wirklich. Warum ist das bei ihr anders und was erzählt sie da?
Fragezeichen über Fragezeichen. Auch bei mir.
Ali Smith, geboren 1962 in Inverness/Schottland, Mitglied der Royal Society of Literature und seit 2015 Commander of the Order of the British Empire, wurde 2022 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet. Im Luchterhand Verlag, dem ich für dieses Rezensionsexemplar Dankeschön sage, erschien “Gefährten“. Im englischen Original trägt der Roman den Titel Companion Peace, was man mit Begleitstück übersetzen und als Ergänzung zu dem Jahreszeitenzyklus von Ali Smith, der ebenfalls bei Luchterhand erschienen ist, verstehen kann. Für mich ist es der Einstieg in das Schreiben von Smith, ob ich das Feld von hinten aufrollen will, da bin ich noch unentschieden. Sprachlich hat sie mich nicht da erwischt wo ich es gerne mag, eher nüchtern ist sie unterwegs, wo ich mir etwas mehr Ausgefeiltheit gewünscht hätte.
Smith und ihre Übersetzerin Silvia Morawetz, führen uns durch eine herausfordernde Geschichte ohne durchgängige Handlung, auf die man sich fraglos einlassen muss. Eine Ich-Erzählerin, die Malerin Sandy, hütet Haus und Hund ihres Vaters, der nach einem Herzanfall mitten im Corona-Lockdown ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Sie ist in Sorge um ihn und hat gleichzeitig Angst vor Ansteckung. Darf ihn nicht besuchen, kommuniziert mit ihm via Bildtelefonie. In dieser Szenerie erreicht sie der Anruf einer ehemaligen Mitstudentin. Wie gekonnt Smith mich ab hier im Ungewissen gelassen hat und ob überhaupt irgendwelche Fakten fiktionales ergänzen, hat mich echt verblüfft.
Sie verwirrt mich mit unerwarteten Begegnungen, albtraumhaften eigentlich. Eine jugendliche, zerlumpte Einbrecherin taucht auf, barfuss, obdachlos, auf der Suche nach ein Paar Schuhen im Schlafzimmer der Erzählerin. Die erwachsenen Kinder der Kommilitonin, die sie ratsuchend wegen ihres antiken Kistenschlosses angerufen hat, entern und annektieren auf unverschämte Weise ihr Haus, beschuldigen sie ihre Mutter zu belasten, ihre Familie auseinandertreiben zu wollen. Sandy flieht.
Wie bitte kommt man denn auf so was? Es beginnt wirklich seltsam zu werden, noch seltsamer als schon zu Beginn. Sind das Elemente des magischen Realismus die Smith hier eingebunden hat, oder wird es am Ende gar heißen alles nur geträumt?
Dies ist ein Lockdown-Roman, der für mich mehr ist als das. Der mich, in der die Bilder der Pandemie bereits zu verblassen beginnen, erinnert. Daran wie es war, Angehörige nicht im Krankenhaus besuchen zu dürfen, Abstand zu halten, Einlass verwehrt zu bekommen, durch geisterhaft leere Straßen zu gehen, in einer Zeit, die uns das Händeschütteln abgewöhnt hat, das Umarmen, die Nähe. Nicht alles haben wir zurückgewonnen, denen, die einen Menschen, Freunde verloren haben, wird für immer etwas fehlen.
Was in dieser Zeit des Weggesperrtseins, der Isolation, in Köpfen und Herzen vorgegangen ist, werden wir wohl nie ganz fassen können. Ali Smith hat es versucht, auf für mich irritierende Art eine verstörende Zeit literarisch zu greifen. Zu greifen wie das war, die vielen ersten Male, endlich wieder ins Restaurant, ins Theater, unter Menschen. Darüber schreibt sie nicht plakativ erzählend, diese Bilder sind in mir beim Lesen entstanden und ein anderer, der ihre Geschichte liest, wird andere Bilder sehen. Ich glaube das ist das wirklich bemerkenswerte an ihren “Gefährten”.
Sie erzählt von Wortbedeutungen und Gedichtdeutung, was für ihre Übersetzerin eine Herausforderung gewesen sein muss, nimmt sie doch Wörter in Silben auseinander. Im konkreten Fall geht es um ein Gedicht von E.E. Cummings, das verwoben wird mit Alltagsgeschehen und Tagträumen. Ich bin nicht sicher ob ich alles was die Autorin mir sagen wollte richtig eingeordnet habe, was ich da eventuell überlesen habe um zu verstehen, feststeht meine Gedanken haben sich beim Lesen ständig nach innen gerichtet und das schaffen nicht viele Literaten auf diese Weise.
Auch wenn ich vergeblich versucht habe die nur lose miteinander verbundenen Handlungsfäden dreier verschiedener Erzählstränge zusammenzubringen, Ali Smith tut es am Ende auch nicht, was könnte auch ein Mädchen, das Schmiedin gelernt und zweifellos anderen Zeit angehört mit einer Hausbesetzung während eines Lockdowns zu tun haben, verlasse ich diese Geschichte nicht unversöhnt. Sondern nachdenklich und voller innerer Bilder. Eine Empfehlung geht an alle Fans von Ali Smith und an die, die sich auf sie einlassen wollen, in dem Bewußtsein, dies ist eine Geschichte die aufmerksam gelesen werden will, die fordert und genau deshalb Aufmerksamkeit verdient.
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