Fünf Winter (James Kestrel)

Noch sehr lebhaft erinnere ich unseren Besuch, es muss 1992 gewesen sein, im USS Arizona Memorial, im Hafen von Pearl Harbor. Nur dreißig Minuten vom berühmten Waikiki Beach entfernt, stand ich am Wasser in der sengenden Sonne. Wie es mich gefröstelt hat bei Traumwetter. Beim Blick auf das Wrack der USS Arizona unter uns im Hafenbecken. Auf die Öltropfen, die wie schwarze Tränen im Wasser aufstiegen. Die Arizona war Teil der auf Oahu stationierten US-Pazifkflotte und sank im Dezember 1941 in nur acht Minuten, getroffen von einer fast 800 Kilo schweren panzerbrechenden Bombe. 1.777 Besatzungsmitglieder verloren dabei ihr Leben. Der Himmel muss schwarz gewesen sein, als seinerzeit, ohne Vorwarnung rund 180 japanische Kampfflugzeuge mit ihrem Bombardement dafür sorgten, das die USA tags darauf in den Zweiten Weltkrieg eintraten.

Wie ein Katapult hat mich diese Geschichte hier in jene Zeit geschickt, an diesen Ort und in ein Geschehen, das nicht nur das Leben der Hauptfigur, sondern die Weltgeschichte verändert hat.

Fünf Winter von James Kestrel

Honolulu, 1941. Wenige Wochen vor dem Angriff auf Pearl Harbour.

Kopfüber aufgehangen an einem Fleischerhaken. Abgeschlachtet wie ein Tier. Die Augen fehlten. So wird ein junger Mann aufgefunden. Im gleichen Schuppen, unter einer Decke, wie zusammengefaltet, entdeckt der herbeigerufene Ermittler McGrady eine weitere Leiche, die einer jungen Frau. Offenbar eine Japanerin, auf die gleiche Art grausam verstümmelt, wie der zuvor gefunde junge Mann.

Dann fallen plötzlich Schüsse. Im Gefecht erliegt der Angreifer seinen Verletzungen. Joe McGrady überlebt die Attacke knapp aber unverletzt. War das der Täter, zurück am Tatort und der Fall gelöst? Dieser Meinung ist zumindest der Chief. Die Pathologen sollen helfen. Die des nahen Militärhospitals. Dorthin ist McGrady unterwegs. Vorbei an U-Booten der US-Pazifikflotte, sie liegen vor Anker, Stahl und Geschütze glänzen in der Sonne.

Gleich zu Beginn zwingt die Obduktion seinen Chef in die Knie. Sie waschen die Leiche des jungen Mannes und der Pathologe zögert, hält inne. Kennt er ihn?

James Kestrel, ist das Pseudonym des us-amerikanischen Anwalts und Schriftstellers Jonathan Moore, geboren am 5. Juni 1977. Moore studierte Jura in New Orleans, war zuvor Englischlehrer und Besitzer des ersten mexikanischen Restaurants in Taiwan. Heute lebt er mit seiner Familie auf Hawaii. Dort verortet er auch seinen epochalen Kriminalroman Fünf Winter, für den er 2022 mit dem Edgar Award für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet worden ist.

Ins Deutsche übersetzt hat für ihn der Bonner Stefan Lux, eine ungekürzte Hörbuchfassung ist ebenfalls erhältlich und wird sehr stimmig und sonor gelesen von Thomas Dehler.

Kestrels Plot ist ungeheuer dicht und damit wie geschaffen als Vorlage für einen Hollywood-Blockbuster. Sofort setzt eine Sogwirkung ein und wer denkt, er habe da nur einen szenisch gut erzählten Krimi vor sich, der wird rasch eines besseren belehrt. Überraschende Wendungen, eine spannend angelegte Hauptfigur und jede Menge Zeitkolorit bereichern diese Geschichte. Eine Figur die das verliert, was wir Heimat nennen und Ruhe in einer Kultur findet, die dem Feind gehört.

Sie hatte ihn gefunden, nicht er hatte sie gesucht. Liebesgeschichten eingebettet in Krimis sind bisweilen schwierig, diese hier ist es nicht. Sie betont wie grausam das Kriegsgeschehen Anfang der 40er Jahre über Nacht zuschlug und trennte was zusammengehörte. Sie hält sich im Hintergrund und bleibt gleichtzeitig auch der wahrhaftige Kern, der aus Zweien ein Ganzes macht.

Wake Island, Guam, Manila, Joe folgt einem gewissen John Smith nach Hongkong und will Weihnachten zurück sein. Telegramme als letzter Kontakt, weit jenseits der Möglichkeit von Smartphone und WhatsApp, der Versuch die Verbindung aufrecht zu halten. Flugzeuge landen in aufgewühlten Gewässern. Vermissen beginnt vor dem Abschied und hält über das Fernbleiben hinweg an.

Eine Falle und McGrady landet unter Anklage im Gefängnis. Da war er wohl jemandem zu nahe gekommen. Kampfgeräusche vor dem Gebäude, kein Strom, Glas splittert, Maschinengewehrfeuer. Eine Front von über neuntausend Kilometer hatte sich geöffnet. Er hat ja keine Ahnung. Dann Schritte, Gelächter und Schläge …

Tokyo. Orte aus Asche, Orte der Erinnerung. In Kestrels Danksagung wird deutlich wie intensiv er recherchiert haben muss und wie sehr er um die Glaubwürdigkeit seiner Geschichte bemüht ist. Davor ziehe ich meinen Hut, auch wenn seine Sicht auf die Dinge mir nicht immer gefallen hat, spiegeln sich in ihr die politischen Gegenpole jener Zeit, ein Überfall und die harte, grausame, atomare Antwort einer Übermacht. Wer für Fünf Winter diese Lesart wählt, kann entdecken was viele schon vergessen haben, was wir nie vergessen dürfen. 

Weit mehr als einen verbeulten Ford in der Brandung, blutbefleckte Kleidung im Kofferraum. Aluminiumpuder und ein Daumenabdruck auf dem Lenkrad als Hinweisgeber. Es wird klassisch ermittelt, auch forensich und man folgt den Detectives des HPD auf ihrer Spurensuche, zunächst über die hawaiianische Insel, dann bis nach Japan. Wo Joe McGrady und sein Fall in den Kriegswirren in Vergessenheit geraten.

Starke Dialoge, ein Personal mit Ecken und Kanten, ein Hauch von “Eine Frage der Ehre” wehte mich an. Immer dann, wenn Militärs auf den Plan gerufen wurden, musste ich an den Film mit Tom Cruise und Jack Nicholson denken. 

Reispapiertüren, Napalm, ein Land brennt. Ein Fehler, am Ende die Heimkehr eines Totgeglaubten. 

Honolulu, 1946. Joe McGrady ist zurück. Fünf Winter ist es her, fünf Jahre liegen zwischen dem Jetzt und seinem ersten Mordfall als Detective beim Honolulu PD. Der Fall noch immer unaufgeklärt hatte ihn nie losgelassen und McGrady nimmt die Fäden wieder auf, seine eigenen Geister im Gepäck. Wenige Wochen zuvor hatte er ein Versprechen diesbezüglich gegeben. Einem Mann, dem er alles verdankte.

Ich mochte diesen Joe McGrady, als Figur ist er durch und durch integer, verlässlich, seine Hartnäckigkeit, seine Gradlinigkeit, seine Aufgeschlossenheit, seine Zuversicht im Herzen eines Weltkrieges wirken wie ein Fels in der Brandung. Seine Wortkargheit passt dazu. Er trägt die komplette Geschichte, ist keiner der Helden, die rasch nach dem Lesen wieder verblassen, er ist einer von denen, die man gern zum Freund hätte. Denen man wiederbegegnen möchte, in einem anderen Abenteuer vielleicht. Dialoge, die von ihm ausgehen, sind kurz, prägnant und treffsicher wie ein Ballwechsel in Wimbeldon. Dieser Erzählton ist es auch, der dialogbetont diese Geschichte so lebendig hält.

Gerne empfehle ich daher nicht nur allen Fans gut gemachter Kriminalgeschichten diese Geschichte, sondern auch denen, die historische Romane und Zeitgeschichtliches mögen. Wechselnde exotische Schauplätze und das was aus fanatischer Ideologie werden kann gibt es gratis dazu. Also bitte gerne lesen oder hören! 

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