Die Frankfurter Buchmesse wird in diesem Jahr 75. Ich gratuliere und überlege, wann ich zum allerersten Mal durch den Messetrubel in Frankfurt gesurft bin. Komme ganz schön ins Grübeln und lande bei ungefähr Anfang der Neunziger. Was ich noch genau weiß, es war ein Messewochenende, sonnig, man kam kaum durch die Gänge, draußen tummelten sich die Cossplayer und ich war komplett überfordert. Von diesem Angebot und den Menschenmassen.
Meine erste Messe als Fachbesucherin und Bloggerin, also so richtig mit Notizblock in der Tasche und anschließendem Bericht war 2017. Da war ich auch noch nicht sonderlich sortiert. Rannte mir zwei Tage lang die Hacken ab und hatte das Gefühl viel zu viel verpasst zu haben. Das ist jetzt auch schon wieder sechs Jahre her und in dieser Zeitspanne hat die größte Buchmesse dieser Art in der Welt eine ihrer größten Herausforderungen erlebt: Die Corona-Pandemie. 2020 fiel die Messe als Präsenzveranstaltung aus, eine Katastrophe für eine Branche, die von der Vernetzung lebt. Mutig stellte man sich als Messegesellschaft der Digitalisierung und einem neuen Format, streamte live und auch ich saß zu Hause am Laptop. Die Hessenschau titelte seinerzeit “Eine digitale Wundertüte ohne Emotionen”, es knirschte und man rieb sich daran. Ich fand es besser als erwartet, erinnere meine ersten Zoom-Gehversuche und ein sehr cooles Online-Autoren-Meeting an meinem Küchentisch. 2021 pausierte ich, sah auf Social Media noch immer geisterhaft leere Gänge und verband mich persönlich 2022 wieder live und in Frankfurt mit der Messe. Fand sie verändert vor. Geschrumpft, es fehlten viele Aussteller, aber es hatte mehr Platz in den Gängen und an den Ständen, insgesamt weniger Bühnen. In einigen Hallen wurde gewerkelt. Die Halle 4 war geschlossen.
In diesem Jahr, 2023 war ich mir lange unsicher ob ich überhaupt fahren kann. Aus zwei geplanten Tagen wurde dann einer. Es durfte nicht sein, dass die Messe ihren Geburtstag ohne mich feiert. Wenigstens eine Stippvisite sollte es werden, meinen persönlichen Schwerpunkt wollte ich auf Autorengespräche und auf die kleineren, die unabhängigen unter den Verlagen legen, dem Gastland Slowenien einen Besuch abstatten. Auch lesend war ich dort noch nie. Here we go again, also.
Der schönste Sonnenaufgang dieses Herbstes, mir seiner flammendroten, spektakulären Bewölkung, begleitet er meine Anreise an diesem Morgen. Kaum verglommen, vermeldet mein Navi die Meldung eines Falschfahrers und die erste Umleitung, aber ich komme mit stockendem Verkehr davon. Nach knapp zwei Stunden Fahrt hüpfe ich in ein bereits bereitstehendes Shuttle. Im Bus dann das was diese Messe auch ausmacht, internationales vorfreudiges Stimmengewirr und ein Gemisch aus Spanisch, Englisch, Französisch, Niederländisch und Deutsch. Zum Glück geht das jetzt wieder. Ich atme das tief ein. Der Einlass diesmal an gewohnter Stelle in die Halle 3 geht ganz fix, keine Schlange, es ist kurz nach neun. Auf nach Slowenien! Mit der ersten Rolltreppe für heute starte ich traditionell im Pavillon des Gastlandes: Slowenien.
Zauberhafte filigrane Wabennetze aus, ich schaue zweimal hin, Großmutters Häkeldeckchen, fangen hier unter der Decke aufgespannt die Worte ein, ein schöner Pavillon, reduziert und sehr aufgeräumt. Nachhaltig gestaltet und nach einem Jahr Planungszeit haben die Architekten des Studio Sadar aus Ljubljana ihn jetzt für uns erlebbar gemacht. Von hier oben, scheint die Messe heute früh noch verschlafen, ich schaue aus dem Fenster auf die Agora, blättere mich dann durch Lyriksammlungen, entdecke und merke mir <Weggehen für Anfänger>, stöbere durch Reiseführer, bleibe an einer Autorin hängen, an Alma M. Karlin, die 1919 zu einer achtjährigen Weltreise durch fünf Kontinente aufgebrochen ist, alleine mit ihrer Schreibmaschine Emma im Gepäck und nach ihrer Rückkehr als eine der berühmtesten europäischen Reiseschriftstellerin wahrgenommen wurde. Die Trilogie ihrer Erlebnisse erschien bei Aviva und ich entscheide mich für Teil 2, der muss mit, auch wenn es unorthodox klingt in der Mitte anzufangen, aber ich will mit ihr nach Australien und in die Südsee reisen.
Ein Kaffee wäre jetzt wunderbar, denke ich, es gibt im slowenischen Pavillon eine tolle Lounge neben einer Autor:innenfotowand, aber was ist das da für ein Auflauf? Fotografen liefern sich ein Wettrennen um die beste Position, die müssen schon an ihr dran geklebt haben, Claudia Roth hat umlagert Platz gekommen und ich ziehe dann doch weiter.
Ein paar Schritte weiter im Forum der Messe sitzt schon Doris Knecht auf der Bühne, die heute noch früher aufgestanden ist als ich, und um 4 Uhr in Wien aufgebrochen ist, um just in time hier zu sein. Es geht um ihren aktuellen, autofiktionalen Roman <Eine vollständige Liste aller Dinge die ich vergessen habe>. Tatsächlich finde ich Doris Knecht sympathisch aber ob ich diesen ihren Roman lesen möchte? Ich glaube ich schaue mal in mein Regal da müsste noch was älteres ihr liegen. Ich bleibe erstmal hier, immerhin habe ich einen Sitzwürfel ganz vorne ergattert, um Philipp Oehmke zuzuhören, der über seine Familie Schönwald erzählt. Seine Idee einer Adaption eines amerikanischen Familienromans, in dem es um Lügen, Wahrheit und trumpsche Ideale geht, klingt dann doch interessant. Der Roman des Journalisten und Spiegelkulturredakteurs, seine Ernsthaftigkeit, seine Nachdenklichkeit im Gespräch gefällt mir, dabei hatte ich diesen Roman eigentlich schon für mich abgewählt.
Auf ihn habe ich gewartet Tonio Schachinger, den Gewinner des Deutschen Buchpreises 2023 und er darf auch lesen! Die Fotoverschlüsse klicken, ein Hauch von Hollywood weht mich an. Schachingers Roman liegt schon bei mir bereit, ich bin sehr gespannt. Schachinger lotet im Interview Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Deutschen und Österreichern aus, wirft einen Blick auf den deutschen Buchmarkt, erstaunlich. Er ist von alt bis jung mit Leser:innen in Kontakt gekommen, die seine Geschichte erreichen konnte, wirkt ungeheuer authentisch und sympathisch, man nimmt ihm sofort die Nähe zu seinen Figuren und was er erzählt ab.
Sina Scherzant nimmt Platz, die ihr Debüt vorgelegt hat mit <Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne> und die im Interview mit ihrer Sicht auf Insta Rezension zu ihrem Roman reagiert. Die überrascht wirkt, angesichts dessen wie viel andere über sie zu wissen glauben. Der Fluch einer Social Media Prominenz, denke ich. Scherzant betreibt mit ihrem Partner Marius, das Insta Profil alman_memes2.0, über 573.000 folgen den beiden dort. Das Interview führt Mona Ameziane, alles klingt sehr modern, insbesondere beider Ausdrucksweise. Ich staune wie unterschiedlich sich Autor:innn hier präsentieren, muss zugeben, ich hatte mit dieser Geschichte ihres Titels wegen auch geliebäugelt, empfinde mich aber nach diesem Gespräch nicht mehr als zielgruppenzugehörig. Dafür sind diese Buchmessebühnen perfekt. Man gewinnt Einblicke, jenseits von Klappentexten und Rezensionen, die immer auch Türen zu neuen Autor:innen öffnen oder eben auch schließen. Das ist Buchmesse für mich!
Nach Scherzant folgt der Dramatiker Necati Öziri mit seinem Roman <Vatermal>, den ich sehr gerne mochte und dem ich nach seiner Shortlistplatzierung den Deutschen Buchpreis zugetraut hatte. Mein Beitrag dazu folgt zeitnah. Auch er liest einen Auszug vor. Ihn hatte ich mir ganz anders vorgestellt, sehr lebendig und anschaulich gibt er Einblicke in die Figur seines Arda und in seine Geschichte, die ich jetzt noch besser verstehe. Denke, wie nah er an doch seiner Geschichte dran ist.
Nach ihm werfe ich noch einen Blick auf die wie immer grandiose Elke Heidenreich, die ihren neuesten Streich, <Frau Dr. Moormann & ich im Gepäck> hat, auch dazu habe ich eine Rezension in Arbeit. Heidenreich ist einfach, Pardon, eine echte Rampensau, das Forum ist bis auf den letzten Platz gefüllt und ihre Schlagfertigkeit beeindruckt bis in den hintersten Winkel.
Jetzt aber schnell, vorbei an Asterix, der mit etwas “Luftnot” auch zum 75. gratuliert, meine Lieblingspotcaster von BlauSchwarzBerlin Maria-Christina Piwowarski und Ludwig Lohmann haben zum Vorbeikommen am Gemeinschaftsstand der Kurt Wolff Stiftung eingeladen. Wer hätte gedacht, dass sich hier so viele Instablogger:innen zusammenfinden würden. Also ich nicht. ‘Ne coole Sache! So ganz unverhofft.
Von hier aus beginne ich jetzt meinen Bummel durch die Stände der Indie Verlage. Das hatte ich mir für meinen einzigen Messebesuchstag ja so vorgenommen. Frau muss da knallhart Schwerpunkte der Reizüberflutung entgegensetzen. Auch hier auf diesem Stockwerk ein Gemeinschaftsprojekt der Audio Verlage, ich mache Winke, Winke bei Argon und Speak Low. Halte an beim Mare Verlag, stöbere in einem wunderschönen Bildband über die Lofoten. Wo ich immer auch hängen bleibe, sind der Guggolz Verlag, die Büchergilde Gutenberg (hier gibt es Tee), Picus, was macht denn ein Porsche hier, ja ohne Witz, der Schweizer Unionsverlag. Am Stand von Pendragon stelle ich fest, dass ich fast jedes Buch das hier steht schon gelesen, gehört oder zu Hause habe. Fast. Wir kommen ins Gespräch und schwupp geht noch eins mit. Ich bin sehr gespannt und werde berichten von Wolfgang Wisslers <Straffers Nacht>. Dann muss wahrscheinlich Florian Knöpplers <Südfall> auch sein. Sitze ich etwa immer noch da und lese? Ich wollte doch weiter, Mensch, da ist ja der Septime Verlag. Das Cover von <Glas> erinnert mich gerade an meine liebsten Erzählungen aus dem Hause Septime <Schalenmenschen> von Lidia Steinbacher, nehme <Glas> in die Hand, da werde ich angesprochen. Wie die Autorin, Verena Prantl, ist hier am Stand. Das kann kein Zufall sein, weil Zufälle gibt es ja auch nicht. Wir folgen uns seit kürzlich erst bei Instagram, treffen uns jetzt live hier während ich ihr Buch in der Hand halte? Es MUSS mit, ist mit und mit Widmung. Ich freue mich drauf und werde natürlich auch dazu berichten.
Mir tun die Füße weh, wie praktisch, ich stehe vor Leseinsel der Unabhängigen Verlage und dort ist gerade Stuhlwechsel. Bis zu nächsten Veranstaltung, es geht um die Vorstellung einiger von Bayerns besten Indepentbüchern aus 2023, habe ich noch ein bisschen Zeit. Ich schnappe mir die beiden letzten Kataloge der unabhängigen Verlage, herausgegeben von der Kurt Wolff Stiftung, da kann ich zu Hause doch noch wunderbar weiter stöbern. Es geht los. Frau Dr. Elisabeth Donoughue, die Referentin für Kulturförderung des Freistaates Bayern moderiert und nacheinander wechseln sich Verleger:innen ab um ihre Projekte vorzustellen. Darunter der neu gegründete Münchner Kjona Verlag, der nachhaltig produziert und seinen Titel Brüder am Start hat. Im Hintergrund laufen weitere ausgezeichnete Titel über den Bildschirm, ich entdecke zwei aus dem Eisele Verlag, viele davon sind mir aber völlig neu und ich notiere fleissig. Die vorgestellten Bücher sind äußerlich und innerlich so bunt wie die Buchwelt selbst, vom ambitionierten Kinderbuch, über eine Neuauflage der 1752 erstmals erschienenen Erzählung Mikromegas von Voltaire, in einer illustrierten Fassung bleibe ich an diesem Projekt wie gebannt hängen. Es geht um Gebärdensprachenpoesie in Lautsprache. Der Titel heißt <handverlesen>. Per QR-Code im Buch werden Videos zugänglich, die uns Hörenden einen Zugang zu der Welt Tauber Poeten ermöglichen. Großartig! Wie eine Stunde ist vergangen, seit ich mich hierher gesetzt habe? Es wird Zeit für mich zu gehen, einen Bummel durch das Erdgeschoß wollte ich dann doch noch unternehmen.
Mein Heimweg führt mich durch die Halle 3.0 zurück, wo mich nach Öffnen der Tür sofort das altbekannte Bienenstocksummen empfängt. Ein Stockwerk höher war mir das garnicht so aufgefallen. Ich wähle diesmal den Weg vorbei an den Kinder- und Jugendbuchverlagen. Carlsen wird geradezu überschwemmt von Harry Potter Fans, ich werfe einen Blick unter die berühmte Treppe, freue mich, dass der Lesenachwuchs so zahlreich hier am Start ist. Die Stände dieser Verlage sind gefühlt riesig im Vergleich zu den belletristischen, da scheint mir eine Verlagerung im Gange zu sein.
Kurz vor dem Ausgang treffe ich bei Random House, Salman Rushdie lächelt von einer großen Plakatwand, der Preisträger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat hier sein deutsches zu Hause, dann noch auf einen lieben alten Bekannten aus dem Verlag. Wie schön, den Nachmittag und meinen Messebesuch mit ihm und einem Kaffee beschließen zu können. Euch streue ich wie gewohnt hier in den Text ein paar Collagen mit meinen rein subjektiven Eindrücken ein.
Der Rowohlt Verlag stellt in diesem Jahr gleich zwei Preisträger, mit Jon Fosse den Literaturnobelpreisträger und Tonio Schachinger hat den Deutschen Buchpreis nach Hause geholt, Hanser ehrt Frau Heidenreich mit einer Riesenwand, bei Dumont kann man echtes Fernweh kriegen und reichlich schön gestaltete Bücher gibt es natürlich auch. Lasst Euch ein bisschen mitnehmen, bis zum nächsten Jahr. Dann wird Italien zu Gast in Frankfurt sein. Ich sage Ciao bis dahin!
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