Ein klarer Tag (Carys Davies)

Als The Highland Clearances, (gälisch: Fuadach nan Gàidheal) bezeichnete man, wie beim großen W nachzulesen ist, die Vertreibung der ansässigen Bevölkerung im schottischen Hochland zugunsten der flächendeckenden Einführung der Schafzucht. Im guten alten Europa schritt zu dieser Zeit, im späten 18. Jahrhundert, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, die Industrialisierung nebst einhergehender Landflucht schleichend voran, im Gegensatz dazu betrieben schottische Gutsherren zunächst sogenannte “removals”, Umsiedlungen ihrer Pächter, bevor Landräumungen aus einer vergleichsweise bequemen rechtlichen Situation heraus mit Gewalt forciert und durchgesetzt wurden. Es traf die mit Härte, die verwachsen waren mit dem Land, welches sie seit Generationen bewirtschafteten. Die nichts besaßen außer eben dieser Heimat.

Mitten hinein ins Jahr 1843, es ist ein kalter, stürmischer Sommertag und in genau diese Szenerie, wirft uns die Autorin Carys Davies, wir gehen auf einer kargen Insel im Nordmeer, die bereits nahezu entvölkert ist, mit ihrer Hauptfigur dem schottischen Pfarrer John Ferguson an Land, wo Davies uns einen Begriff von Verlassenheit gibt, ihn potenziert …

“Es war, als hätte er keinen Begriff für seine Einsamkeit gehabt und als hätte John Fergusons Ankunft ihn in etwas verwandelt, was er nie – oder seit langer Zeit nicht mehr – gewesen war …”

Textzitat aus:

Ein klarer Tag von Carys Davies

Heiraten hatte sie nicht wollen, auch nicht gedacht, dass sie es je tun würde. Denn eine Schönheit war Mary eher nicht und nach dem Tod von Vater und Mutter auch noch verarmt. Die Schneidezähne hatte ihr unlängst ein Zahnarzt komplett gezogen und ein Gebiss aus Gummi eingesetzt. Die preiswerteste aller angebotenen Alternativen. Immerhin waren ihre Zahnschmerzen danach besser. Dieses Gebiss aber war fort. Ihr bei einem Beben aus dem Mund gefallen und ihrem Zukünftigen vor die Füße. Was sie da noch nicht wusste. Also, dass er ihr Ehemann würde. So wie er jetzt vor ihr stand. Stattlich, groß und dunkel mit weißer Krawatte, ihre künstlichen Zähne fragend in den Händen. Als Reverend John Ferguson stellte er sich vor. Ein Pechvogel wie sie, wie sich alsbald herausstellen sollte. Auch arm, aber darauf bedacht genau das zu ändern. Der Auftrag eines Großgrundbesitzers, den er angenommen hatte, sollte ihnen ein besseres Auskommen bescheren, ein bescheidenes Einkommen sichern. Dafür mußte er nach ihrer Heirat nur einen Monat fort.

Auf eine Insel weit nördlich, um einen Mann von dort umzusiedeln. Den letzten Pächter, der den Zielen seines Lehnsherren noch im Weg war. Ein Pfarrer schien dafür besonders geeignet. Wer würde es wagen einem Mann der Kirche zu widersprechen? Nichts leichter als das. Denkt sich auch Ferguson und bricht auf. Eine schwere See spült ihn seekrank an Land nebst Evangelium und Räumungsbefehl. Die Sohlen seiner Schuhe zu glatt, sein Tritt zu unsicher, verunfallt er allerdings bereits kurz nach seiner Ankunft. Auf seinem Weg über die Klippen. Verliert sein Bewusstsein und um ein Haar sein Leben. Hätte ihn nicht Ivar, der letzte hier verbliebene Einwohner, aufgesammelt.

Carys Davies, geboren in Wales, lebt, wohnt und arbeitet heute in Edinburgh, hat uns bereits 2019 mit ihrem Roman “West” eine Geschichte geschenkt, die Herz und Seele berührt und einen nicht alltäglichen Schauplatz für uns Lesende eröffnet, den Wilden Westen. Ein Klick auf das nachfolgende Cover entführt Euch in meinen Beitrag dazu:

Landschaften die ihre Wildheit bewahrt haben, scheinen ihr zu liegen, eine abgelegene Insel ist es in diesem, ihrem aktuellen Roman. Figuren, mit Ecken und Kanten und ein überaus menschlicher Blick auf die Dinge liegen ihr nicht minder. Das hat mir in beiden Fällen beim Lesen Freude gemacht.

Eva Bonné hat für sie den klaren Tag übersetzt und die Kargheit des Settings sprachlich wunderbar schlicht im Deutschen eingefangen. Spartanisch hat Davies auch ihre Geschichte möbliert, ihre Hauptfiguren besitzen wenig, klamm ist ihr Zuhause und ärmlich. Hunger begleitet ihre Tage. Kälte ihre Nächte. Aber ihre Herzen sind weit und die beiden Männer in ihrer Geschichte geraten rasch in einen Zwiespalt. John Ferguson weil er an der Rechtmäßigkeit seines Auftrages zu zweifeln beginnt und Ivar, der zwanzig Jahre alleine und ohne Ansprache war, weil da plötzlich Gefühle sind. Die er nicht einordnen kann. Die ihn gleichermaßen ängstigen und anziehen.

Das Foto einer Frau. In einem Lederrahmen. Mit dem Finger gleitet er über ihr Gesicht, liest in ihm. Ivar spürt was fehlt, vermisst und versteht, das muss die Frau dieses Fremden sein. Während dieser sich schämt, den wahren Grund seines Hierseins verschweigt wohl wissend, dass er diesen Zeitpunkt nicht ewig wird hinausschieben können und Ivar verbirgt ebenfalls etwas vor ihm. Das Verhängnis nimmt einen Anlauf.

Davies erzählt ihre Geschichte mit ruhiger Hand, ohne Hast und Eile. Eine Geschichte über die Bedeutung von Sprache und Kommunikation, ihr Gewicht und über das Alleinsein, das sich nicht selten erst dann als Einsamkeit entpuppt, werden gewohnte Kreise gestört. Ein Text über eine selbstbestimmte Frau in einer Zeit als diese Eigenschaft Frauen nicht zugestanden wurde. Die unbeirrt ihren Weg geht. Mit Weitblick und Empathie agiert. Eine Geschichte, die mich auf einer Reise rund ums Mittelmeer begleitet hat, an klaren Tagen und auch an denen, als der Wind das Meer aufgebraust hat. So wie in Davies Roman einer den anderen aufbringt. Ohne Arg. Vielleicht. Wer vermag das schon zu sagen. Was ich sagen kann ist, das mir dieser Text gefallen hat und wer die stillen Wasser unter den Romanen schätzt, ihre Untiefen und Unwägbarkeiten, wird an diesem hier so wie ich seine Freude haben. An dieser Autorin eh, die ihre Figuren sehr fein konturiert und sie durch ihr Handeln versteh- und nahbar macht. Eine Autorin, die den Vorhang einer vergangenen Zeit vor unserem inneren Auge aufzieht, uns so Teilhabe ermöglicht. Uns Wetter und Gezeiten spüren lässt. Die szenisch schreibt ohne plakativ zu werden. Die Themen so aufbereitet, dass man nicht merkt das man nebenbei lernt und sich bestens unterhalten fühlt. Die Schauplätze aussucht, die abseits gängiger Pfade liegen und uns durch ihre Zeilen eilen lässt, weil wir wissen wollen wohin sie uns da führt. Auf der Hand liegt es nicht und zu Ende erzählen ist auch etwas für die anderen. Herrlich!

In ihrem Nachwort erfahren wir Lesenden welche geschichtlichen Hintergründe sie zu ihrer Erzählung inspiriert haben, hören von kirchlicher Spaltung, davon was uns menschlich sein und handeln lässt, jenseits aller Schicksalsschläge. Letzteres liest sich wunderbar tröstlich. Merci, dafür von mir und gerne auf ein Wiederlesen in einer weiteren Geschichte, liebe Carys Davies!

Dankeschön auch an den Luchterhand Literaturverlag für das Besprechungsexemplar.

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