Ein Schiff tanzt auf den Wellen, ein Text über zwei Tanzende tanzt mit mir, derweil ich an Bord meinen Blick auf das mich umgebende Meer richte. Eine solche Unterwegslektüre hatte ich mir bislang noch nicht eingepackt! Sprachlich kitzelt sie meine Gehirnwindungen, arbeitet in mir, Lesegewohntes muss ich hinter mir lassen, will ich folgen können. Das merke ich rasch und tue es. Lasse mich treiben. Zwischen die Zeilen. Getragen vom Wasser. Getragen von einem durchchoreografierten Wortstrom.
Zwei namensgleiche Figuren fordern mich zum Tanz. Machen es mir nicht leicht mitzuhalten, aber ich lerne. Ein klein wenig. Teile die Faszination der Figur Thomas (Toni) für alles Japanische, diese Sprache, ihr kunstvolles, kaligrafisches Auftreten. Ihre Grazilität. Spüre die Angst der Figur Antonia (Toni), ihre Verzweiflung, ihr Hadern, ihre Perspektivlosigkeit.
Rhythmisch, absatzlos und ungegliedert, ohne wörtliche Rede, dies ist eine Erzählung über die man, ich, trotz ihrer Kürze, nicht einfach so hinweglesen kann. Eigenwillig kommt sie daher und Aufmerksamkeit fordernd. Japanische Schriftzeichen mogeln sich zwischen die lateinischen, mein Blick hängt an ihnen. Sucht nach Deutung. Bedeutung. Will verstehen. Wie Thomas. Der Ich-Erzähler, der eine Zuflucht in diesen Zeichen findet, im Lernen, der Sanftheit, der ernsten Ruhe einer Bibliothek. Im Zen-Buddhismus, seiner Schmerzphilosophie.
Im Gegensatz zu seiner Partnerin Toni, die nicht mehr aus dem Bett kommt. An den schlechten Tagen. Es an den guten Tagen bis auf’s Sofa schafft, Fernsehserien schaut.
Beide hatten soviel vor. Die Generalprobe, die Feier danach, die gezogenen Lines, das Kokain war ihrer geplanten Tanzperformance ein gewiefter Gegenspieler, bescherte Antonia eine Muskelverletzung, einen Klinikaufenthalt, ihren Durchbruch hat dieser Unfall vereitelt. Jetzt will sie die Welt nur noch aussperren, stolpert entlang an ihren inneren Abgründen, balancierend, mit der Rasierklinge in der Hand. Arbeitslos und abhängig von finanzieller Zuwendung verharrt sie gemeinsam mit Thomas wie in einem Vakuum.
Max Oravin, geboren 1984, aufgewachsen in Graz, wohnhaft in Wien, Elektro-Musiker und Textperformer, war von 2013 – 2018 Teil von Babelsprech, einem Netzwerk junger deutschsprachiger Lyrik, lese ich über den Autor im Klappentext. Toni & Toni ist sein Debütroman, verlegt vom Literaturverlag Droschl (herzlichen Dank für das Besprechungsexemplar, auch an das Team von Kirchner Kommunikation!), mit ihm startete der Österreicher in diesem Jahr direkt durch auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Das muss man erst einmal schaffen!
Bandwurmsätze, ausgefeilte, wunderschöne Sätze, von ihnen war ich umgeben. Habe wie die beiden Protagonisten das Licht gesucht. Den Schalter dafür. Auf Hoffnung gehofft. Alles wirkt wie ein Kampf und so ausweglos. Dieser Text folgt keiner Chronologie, wer hineinfindet, wird Mitgefangener. So habe ich mich gefühlt. Wer nach einem durchgängigen Plot sucht, wird ihn eher nicht finden. Er feiert seine Erzählart, bleibt dabei fragmentarisch und ist, so würde ich meinen, auch ein Spiegel der vielbesprochenen GenZ.
Die beiden grundunterschiedlichen Persönlichkeiten Thomas, Philosoph und Kassierer im Wiener Kulturzentrum, Antonia, Tänzerin, sinnlich, körperlich, extravagant bis zu ihrem Absturz, stoßen sich nicht ab, sondern ziehen einander an. Jeder scheint dem anderen der Strohhalm zu sein, der ihn vor dem Ertrinken bewahren kann.
Sie starten in einer WG, in der sich streitgesättigt, nach Ecstasy und Ketamin, die Türen meist geöffnet, Bewohner beharken. Zuvorderst Antonia. Bevor er mit ihr allein bleibt. Toni mit Toni.
Ein kaufmännisches & stellt sich zwischen ihre Namen, als wäre ihre Beziehung die einer Firma. Antonias Mutter, von rettenden Engeln überzeugt, hält den Philosophenfreund der Tochter für Satan, nach einem letzten Treffen, will sie die Tochter nicht mehr sehen, landet ihrerseits in einer Klinik. Antonia kämpft um den Kontakt. Vergeblich.
“Die meisten der Narben, die Tonis Haut überziehen, sind fein wie mit einer Feder gezogen, dünne Risse im Porzellan, mit Gold ausgefüllt, eine Teeschale, das kostbarste Objekt eines Meisters des Sado, Spuren der Zeit.” – Textzitat S. 52
Erst nach ihrem Unfall schreibt Toni wieder auf diese Art auf ihre Haut. Nimmt den Deckel einer Ananasdose, die Käsereibe, Thomas stoppt sie. Sie weicht auf das Tomatenmesser aus. Er ringt mit ihr. Sie rutscht ab, schneidet ihn. Versehentlich.
Er fühlt mit ihr und doch wächst da auch eine Wut. Gemeinsam mit ihr der Tatenlosigkeit ausgeliefert zu sein.
Oravin hat am Ende den Sprung von der Longlist auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises nicht geschafft, musste er sich doch gegen, sowohl inhaltlich als auch vom Seitenumfang her echte Schwergewichte stellen. Das, wenn es um literarischen Lesegenuss geht, in der Kürze die Würze liegen kann, beweist er mit diesem Debüt für mich persönlich eindrücklich. In knapp 110 Seiten packt er den Mikrokosmos seiner beiden Tonis. Ihr Innen und Außen. Diesen prägenden Abschnitt zweier Leben.
Seine Erzählung, vom Aushalten, Durchhalten und einer vielleicht toxischen, vielleicht seelenpartnerschaftlichen Beziehung, einem belasteten und einem behütenden Elternhaus, dem Zwang zur Selbstverletzung, wie er konsequent aus der rein männlichen Perspektive erzählt, bleibt für mich, den Lyrikfan, besonders. Sein Sound, modern, elektrisierend, eigenwillig und in einen wahren Komma-Marathon verpackt, die soghafte Entwicklung des Textes, seine philosophischen Gedankenfäden, zur Zeit und anderem, werden mir im Gedächtnis bleiben. Sie wird Lesende polarisieren und dafür mag ich sie auch. Das sie es mir nicht leicht gemacht und sich auch deshalb für mich gelohnt hat. Denn da ist sie, auf der letzten seiner Seiten dann doch: Die Zuversicht …
“Es ist nun Zeit, von der Zeit zu sprechen, die nie vergeht, von der Zeit, die sich ums Geschehen windet, die ungeschehen macht, was im Jetzt und Jetzt und Jetzt geschieht.” Textzitat S. 98
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