Die Wasser des Hudson River und die des Sankt-Lorenz-Stroms scheidet zum Teil der Gebirgszug der Adirondacks. Ihr höchster Punkt, der Mount Marcy mit seinen 1.629 Metern ist gleichzeitig der höchste Gipfel im US-amerikanischen Bundesstaat New York und das Gebirge Teil eines 24.000 km2 großen Naturparks. Namentlich bekannter ist vielleicht der Whiteface Mountain mit seinen Skipisten. Hier, in der Nähe des Lake Placid fanden 1980 die alpinen Skiwettbewerbe der Olympischen Winterspiele statt.
In die Einsamkeit und Abgeschiedenheit seiner Wälder verlegt die Musikerin und Schriftstellerin Liz Moore ihren aktuellen Roman, der bereits kurz nach seiner Veröffentlichung wahre Jubelstürme ausgelöst hat. Ich bin da vielleicht a little late to the party, aber nicht weniger gespannt, ob ich mich da werde anschließen können. Stehe ich doch gehypten Titeln mittlerweile mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber und lese sie wenn, dann gerne mit etwas zeitlichem Abstand zu ihrem Erscheinen.
Liz Moore, geboren am 25. Mai 1983 in Boston/ Massachusetts nennt ihren 2024 erschienen Roman The God of the Woods. Rund vier Jahre sind vergangen seit ihr Bestseller Long Bright River erschienen ist. Die deutsche Übersetzung titelt mit Der Gott des Waldes, geht diesmal auf das Konto des C. H. Beck Literaturverlages und stammt von Corelius Hartz. Im Mai 2025 kletterte der Roman auf Platz 2 der Krimibestenliste von Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur und darum geht’s:
Der Gott des Waldes von Liz Moore
Bear, wie ihn alle hier nur nennen, ist verschwunden. In einem Camp, inmitten des Naturschutzgebietes der Adirondacks. Auf dem Kalender steht das Jahr 1961. Der freundliche kleine Kerl, elf Jahre alt, ist der Sohn von Alice und Peter Van Laar, ein Kind reicher Eltern, denen auch hier Land und Camp gehörte. Er soll mit seinem Großvater in den Wald aufgebrochen, nach Aussage des alten Herrn allein umgekehrt sein, um sein Taschenmesser zu holen und nicht zu ihm zurück gefunden haben.
Man war außer sich, auch an eine Entführung wurde gedacht. Aber es meldete sich niemand, der eine Forderung aufrief, niemand, der drohte. Der Junge blieb verschwunden und seine Mutter, die dem Alkohol bereits vor dem Verschwinden ihres Sohnes zugesprochen hatte, verfiel ihm gänzlich. Sein Vater, schon immer arrogant und unausstehlich, setzte seinem Verhalten die Krone auf.
Im August 1975, Jahre nach diesem tragischen Ereignis, kommt es erneut zu einem Vermisstenfall im Nationalpark Adirondack, auf dem Gelände der Van Laars. Ein Teenager verschwindet in der Nacht spurlos aus einer der Hütte des Feriencamps. Es handelt sich um Barbara Van Laar. Sie ist Bears rebellische Schwester …
Man munkelt hinter vorgehaltener Hand von einer Beziehung. Die Barbara heimlich unterhalten haben soll und noch so einiges mehr erzählt man sich.
In diesem August geht dann auch Tracy verloren. Weil sie denkt, sie weiß wo ihre neu gewonnene Freundin Barbara ist. Tracy taucht wieder auf. Barbara nicht und wir Lesende sind kein Stück schlauer. Erst einmal lässt uns Liz Moore gehörig weiter im Dunkeln tappen und streut Krumen aus.
Zur besseren Orientierung stellt sie jedem Kapite ihrer Geschichte eine Zeitleiste voran und die Ebene auf der man sich jeweils befindet ist fett gedruckt. Es ist hilfreich sich kurz zu vergegenwärtigen wo man gerade steht, denn Moore springt hin und her mit uns zwischen den 1950er, 1961, dem Winter 1973, Juni 1975, Juli 1975 und dem August 1975.
Wir erleben die Zeit als die blutjunge Alice ihren späteren Mann Peter Van Laar kennenlernt, ihre Schwester spielt die Kupplerin, beschert ihr eine glücklose Ehe. Gefangen zwischen Konventionen und einem Altersunterschied, der sie in die Defensive drängt geht sie in ihrer ersten Schwangerschaft ganz auf und als ein Kronprinz dabei herauskommt sind auch ihr Mann und die Schwiegereltern zufrieden. Für sie ist dieser Junge ihre ganze Welt und als er spurlos verschwindet liegt auf der Hand was das mit ihr macht. Oder nicht?
So einfach macht es uns die Autorin allerdings nicht. Sie säht fleißig den Zweifel daran wer hier Schuld trägt und die Saat geht auf. Ist Alice so unschuldig wie sie tut? Welche Rolle hat ihr Schwiegervater da übernommen, in dieser Posse in der man, bei näherer Betrachtung, ein Kind das verlorengeht offenbar nicht wirklich wiederfinden will?
Dann Bears Vater. Was habe ich den gerne mal schütteln wollen. Aber so richtig. Als SIE dann von der Autorin im Zeitstrang von 1975 auf den Plan gerufen wird bin ich zunächst überrascht. Judycka ist mit ihren sechsundzwanzig Jahre als Ermittlerin noch neu im Job und die einzige Frau im Team. Sie ist noch dabei, sich aus ihrem konservativen Elternhaus abzusetzen und sich zu behaupten. Judycka ist rasch aufgestiegen, ihr Instinkt untrüglich, was auch von Vorgesetzten bemerkt wird und doch hat sie zu kämpfen. Mit sich und der Tatsache, dass ihr die meisten der männlichen Kollegen nichts zutrauen. Sie wagt im Fall der vermissten Barbara einen Alleingang. Mit Folgen.
Wird das ein Finale à la Schweigen der Lämmer? Die Autorin konfrontiert ihre Ermittlerin mit einem Serienmörder, einem entlaufenen Sexualstraftäter. Er will wenn, nur mit ihr reden und ihr Chef gibt schließlich wenn auch widerstrebend nach. Die Ereignisse beginnen sich zu überschlagen.
Spannend und geschickt verschachtelt Liz Moore diese Geschichte zwischen ihren Zeitebenen. Hält uns Lesende in der Schwebe und lässt uns Hinweis um Hinweis aufklauben. So deckt sie eine Karte nach der anderen, ein Familiengeheimnis nach dem anderen auf. Es wird klassisch ermittelt und zusammengereimt. Ahnungen bestätigen sich, ein Cold Case wird aufgerollt und nichts ist wie es scheint.
Mehr möchte ich zum Inhalt in diesem Fall nicht verraten, es würde zuviel vorweg nehmen. Denn das Überraschungsmoment und die Verquickung zwischen einem langen tastenden Arm der Vergangenheit und der Gegenwart bitte gerne selbst und in Ruhe erlesen. Gerne wenn der Herbstwind ums Haus tollt. Das passt großartig.
Ihr dürft Twists vom Feinsten erwarten. Geheimnisse werden hier sorgfältig gehütet, so mein erster Eindruck und mein zweiter täuschte mich nicht. Man hasst und man liebt sich. Verletzt und versöhnt sich. Oder nicht. Abgründe öffnen sich nicht nur am Waldrand, sondern die Klüfte, die Macht und Geld aufreissen, Narben die auf dem Rücken derer verbleiben, die mehr Gewissen und Skrupell haben, sind es die dem Roman seine Würze verleihen. Man steht an Abgründen, an die der Wunsch nach Machterhalt Menschen stellt und schaudert.
Wie Liz Moore auch das Rollenverständnis der 1960ziger und 70ziger Jahre einbindet hat mir gefallen, wenn ich einen Wunsch bei ihr frei hätte, dann wäre das dieser: Die ungeheuerlich beeindruckenden Adirondacks, die Undurchdringlichkeit dieser Wälder, die Einsamkeit in ihrem Herzen, es wäre für mich die Kirsche auf der sprichwörtlichen Torte gewesen sie als Protagonistin zu erleben nicht nur als Kulisse. Aber da jammere ich auch hohem Unterhaltungsniveau.
Mich hat dieser Roman in die Ferien begleitet, wo ich aufgrund meiner entdeckerischen Neugier zwar wenig gelesen habe, diesen Fall aber wenn, dann sehr gerne. Long Bright River, den Vorgänger habe ich noch ungehört auf meinem Hörbuchstapel und freue mich jetzt darauf. Ihr habt die Wahl, denn Long Bright River wurde nicht nur eingelesen, sondern inzwischen auch als TV-Serie mit Amanda Seyfried (Mamma Mia) in der Titelrolle vverfilmt. Also, Rucksack packen und let’s go.
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