Unterwegs auf der Frankfurter Buchmesse 2025
The Imagination peoples the air, dieser Satz stammt aus der Feder des philippinischen Autors José Rizal und aus seinem Roman “Noli Me Tangere“, hätte ich mir nicht mit “Fantasie beseelt die Luft übersetzt”. Die Frankfurter Buchmesse tut es und überträgt mit diesen Worten das Motto des diesjährigen Ehrengastes Philippinen ins Deutsche. Als ich am Donnerstag früh zu Beginn meines Messerundgangs auf der 77. Frankfurter Buchmesse den Pavillon des Gastlandes betrete verstehe ich.
Sehr reduziert, sein Innenleben gebaut aus Ananasfasern, Bambus, mit weißen Dächern wie aus Reispapier, teils videobespielt, angelegt als begehbare Inselwelt, empfängt er mich. Wie eine Ruheinsel, selbst das bienenstockartige Stimmengebrumm, der Sound der Messe, verstummt hier. Aus unglaublichen 7.641 Inseln bestehen die Philippinen und man spricht 135 Sprachen. Was könnte besser zur Zielsetzung dieser Frankfurter Buchmesse passen, die Jürgen Boos, ihr Direktor so auf den Punkt gebracht hat: Die Frankfurter Buchmesse verbindet Menschen. Was vielleicht banal klingen mag, aber für mich dieser Tage so viel mehr als notwendig ist. Boos spricht von Dringlichkeit in Bezug auf das Verbindende und stellt den Satz in einen politischen Kontext. Wie sehr ich genau das, gleichzeitig aber auch kontroverse Standpunkte und Debatten hier und heute in Frankfurt persönlich erleben würde, ahnte ich am frühen Morgen noch nicht. Einen Tag würde ich erleben, dem eine Vielzahl positiver Eindrücke am Ende seine Form gegeben hat. Ein Tag angefüllt mit Staunen, Freundlichkeit und Offenheit.
Kurz stand ich in der offenen Eingangstür des Gastlandpavillons und überlegte was ich sehe, da hörte ich eine Stimme. Die eines Tenors und mir stellten sich alle Härchen auf. Ein Sopran schloß sich an und ich trat aus dem toten Winkel eines Pavillons im Pavillon und sah einen Chor. Gelesen hatte ich davon, dass die Delegation der Philippinen mehr als einhundert Kreative umfasse, darunter Musiker und einen Chor, der ausgezeichnet ist. Ausgezeichnet wurde von der UNESCO, die Philippine Madrigal Singers. Ich musste mich setzen, während ein mehrstimmiger, immer wieder anschwellender Gesang die Halle und mein Herz füllte. So hatte mich die Messe noch nicht empfangen! Ich bin angefasst und bleibe erst einmal genau hier. Denn nach dieser Darbietung folgte es noch eine weitere musikalische, eine instrumentale. Fernöstliche Gitarrenklänge lagen jetzt in der Luft, die beseelt ist von Klang. Ich schließe die Augen. Meine Fantasie geht auf Reisen.
Als die Musik endet, schaue ich mich unter der ausgestellten Literatur um. Entdecke einen Titel und einen Text, den ich nicht mehr aus der Hand geben will. Kaufe ihn mir. Es handelt sich um Some people need Killing. Ein Text der aus Manila stammenden Traumajournalistin und Dokumentarfilmerin Patricia Evangelista. Eine Mischung aus Memoir und Reportage, die Dokumentation eines Drogenkrieges unter der Präsidentschaft von Rodrigo Duterte auf den Philippinen. Bei den ersten Seiten ihres Textes hatte ich eine solche Gänsehaut, das nichts, vielleicht noch das zuvor erwähnte Noli Me Tangere, dessen Autor das Erscheinen seines Textes, seines Widerstandsromans mit dem Leben bezahlte, für mich an diesem Morgen besser zu diesem Gastland gepasst hat. Ein Land, das mit seinem Auftritt auf dieser Messe all das abstreifen, andere Facetten zeigen möchte. Ich weiß viel zu wenig über das was dort geschehen ist, will das ändern. Sammle dieses Zitat von Patricia Evangelista auf: “Meine Arbeit besteht darin, an Orte zu fahren, an denen Menschen gestorben sind. Ich packe meine Koffer, rede mit Überlebenden, schreibe meine Geschichten und kehre nach Hause zurück. um auf die nächste Katastrophe zu warten. Ich warte nie sehr lang.”
Es ist später geworden als gedacht, der Taschen Verlag hat mich beim Weiterziehen gebremst mit wunderbaren Ausgaben. Da komme ich einfach nie vorbei ohne zu blättern und diesmal auch am Stand ins Gespräch. In dem ich erfahre, dass man zu Weihnachten eine neue Reihe kleinformatiger Sammelbände plant, die als Geschenk sowas von geeignet sind, auch preislich. Ich beschließe mich selbst zu beschenken. Mit einem Band über Frida Kahlo vielleicht oder mit den schönsten Bibliotheken der Welt. Garten und Landschaft ginge auch oder lieber doch Italien?
Jetzt aber eilig weiter, gerade noch rechtzeitig komme ich zur zweiten Hälfte der einstündigen Live-Aufzeichnung der Sendung Lesart von Deutschlandfunk Kultur. Höre die letzten Antworten von Yulia Marfutova (Eine Chance ist ein höchstens spatzengroßer Vogel) und Katerina Poladjan (Goldstrand) zu ihren beiden Romanen, bevor Dorothee Elmiger die Gewinnerin des Deutschen Buchpreises (Die Holländerinngen) und danach die Comiczeichnerin Katharina Greve (Meine Geschichten von Mutter und Tochter) ans Mikrofon treten. Solche Sammeltermine sind echt praktisch, hat man nur einen Messetag zur Verfügung und eine Liveaufzeichnung zu verfolgen ist immer wieder spannend.
Weiter geht es auf meiner Runde zu und unter den Unabhängigen Verlagen, ich lande beim Otto Müller Verlag. Leider habe ich die Präsentation des Frühjahrsprogramms gerade knapp verpasst, dafür aber dort liebe Menschen getroffen (genau, ihr wisst, ihr seid gemeint!). Gemeinsam sind wir weitergezogen und beim Septime Verlag hängen geblieben auf einen Schwatz. Nach Lydia Steinbacher habe ich mich erkundigt und. Ein enttäuschter “Chef” berichtet man habe Steinbacher beim Bachmann Wettbewerb abgelehnt. Unfassbar für mich. Wenn jemand Kurzgeschichten kann, dann sie. Die gute Nachricht, es wird Neues von Lydia und den Schalenmenschen geben. Eine erweiterte Neuauflage ist bei Septime in Planung. Freu mich drauf.
Nimmer lang bis 12 Uhr, jetzt heißt es einen Platz sichern, denn die Leseinsel der Unabhängigen Verlage erwartet Jehona Kicaj mit ihrem shortlistnomminierten Roman aus dem Wagenbach Verlag, der den Mut hatte nur einen einzigen Buchstaben, das stimmlose “e” auf den Titel zu setzen. Jehona Kicaj liest und berührt mich tief. Wie sie Sätze des Vermissens einfach stehen lässt als wäre das nix. Das hatte ich so nicht erwartet und drum war es eine Notwendigkeit mich anschließend in die Signierschlange anzustellen und ihr Buch mitzunehmen. Dann ist sie auch noch eine so ungemein Sympathische und plaudert mit einem Jeden der Wartenden ein wenig.
Kaum zu glauben, wie im Flug ist eine weitere Stunde vergangen und ich wollte doch Dorothee Elmiger noch lesen hören. Verabschiede und spute mich. Die Schweizer Verlage haben in diesem Jahr gemeinsam eine Bühne nebst Programm kuratiert, zum Glück unweit in der gleichen Halle, ich ergattere den letzten Sitzplatz. Kurze Zeit später sollte auch der Gang am Stand vorbei so gefüllt sein, dass die Security auf einer Gasse bestand. So ist das, wenn frisch gepackene Preisträgerinnen lesen und wie sie sich damit fühlt, muss sie wohl inzwischen drölfzig Mal gefragt worden sein. Davon unbeeindruckt, gleichbleibend freundlich und zum Glück moderierte diesmal eine wirklich interessierte Gesprächspartnerin, wie holprig das im Vergleich dazu am Vormittag war, liest Elmiger drei Passagen und für mich ergibt sich endlich ein Bild ihres Romans und dessen was sie angetrieben hat ihn doch zu beenden. Zahlreiche Schreibversuche habe sie dafür unternommen, wollte gar zwischenzeitlich ganz mit dem Schreiben aufhören. Bis ihr schließlich die indirekte Rede ihre Geschichte aufschloss. Weil sie für ihre zahlreichen Schreibansätze so viel recherchiert habe, gibt es heute diese Geschichten in der Geschichte, diese Fülle in ihrem schmalen preisausgezeichneten Roman. Diese Schilderung ihres Making-Offs und ihr Sound, die Aussicht auf Düsteres, Abgründiges, haben mich dann final gecatcht. Hatte ich den Roman doch, nach der Leseprobe, für mich erst ausgeschlossen. Sperrig wirkte die, was die Passagen dieser Lesung jetzt so gar nicht waren. Was soll ich sagen, auch dieser Roman landet signiert am Ende der Kurzlesung in meinem Rucksack, sogar ein paar Worte durfte ich mit Dorothee Elmiger noch wechseln, man drängte schon. Der nächste Termin.
Den hatte ich auch und zwar an der frischen Luft. Eine Pause und was zu essen. Mal sacken lassen. Die Flut der Eindrücke. Musste jetzt sein. Es geht für mich treppab ins Forum, dort bestelle ich einen Muffin, Capuccino und ein Wasser, fragt mich nicht, gute Güte, was das zusammen gekostet hat, es ist unglaublich. Wahrscheinlich musste ich meinen Sitzplatz unweit der ARD, ZDF und 3Sat Bühne mitbezahlen, immerhin ergatterte ich einen und lauschte daraufhin Denis Scheck mit Druckfrisch aus der Distanz. Dank großer Bildschirme konnte ich prima sehen, wenn auch wenig hören. Was auch daran lag, dass man ich weiß nicht welche Spielgeräte im gleichen Raum installiert hat. Bernd das Brot kam auch vorbei und es ratterte unaufhörlich. Unbeirrt rückte ich nach dieser Stärkung dennoch vor zur Bühne, fand am Rand noch einen Sitzplatz, wollte warten auf Florian Illies und stoperte über ein Interview mit Marianne Ludes. Trio mit Tiger heißt ihr Roman der besprochen wird ist und der bei C. Bertelsmann erschienen ist. Wie gut, dass mich der Zufall an die Hand genommen und hier platziert hat. Was diese Autorin da recherchiert und in welche Quellen, Originaltagebücher, die unveröffentlicht bei den Erben geblieben waren, sie Einblick genommen hat, ist wirklich beeindruckend. Es geht um das Leben des Künstlerehepaares Max und Mathilde Beckmann in ihrem Amsterdamer Exil. Um Enteignung, um die gewaltsame Aneignung von Kunstwerken durch die Nationalsozialisten und es ist der erste Roman über die Beckmanns überhaupt. Kunst in Romanen, da bin ich ganz Ohr und das es bislang über Beckmann, der einer der bedeutendsten bildenden Künstler der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts gewesen ist bislang noch keinen Roman gibt, kann ich gar nicht glauben. Denis Scheck als Interviewer wie gewohnt in Bestform. Dieses Buch muss ich lesen. Ehrlich.
Florian Illies, der im Anschluss auf der Bühne Platz nimmt hat sich Thomas Mann, nebst Frau Katia und den sechs Kindern im Sommer 1933 im französischen Exil in Sanary vorgenommen. Sein Wenn die Sonne untergeht wird am 22.10.25 bei S. Fischer erscheinen und ich möchte diesmal gerne hören, nicht lesen. So hatte ich es auch mit seinem Buch Zauber der Stille über Caspar David Friedrich gehalten und sehr gemocht. Was Illies von den Manns zu berichten weiß, legt er eloquent und charmant dar. Das muss sich einfach großartig lesen oder hören lassen. Da bin ich mir sicher.
Zurück in Halle 3.1 wollte ich eben nach meinen restlichen Merkern für heute in der App der FBM schauen und bin schon wieder automatisch ausgeloggt worden. Diesmal allerdings verweigert sie mir den erneuten Zugriff und ich knirsche innerlich mit den Zähnen. Ohne Anmeldung hat man zwar den Hallenplan auch, aber der ist für Gleitsichtbrillenträger wie mich eine Herausforderung. Zum Karl Rauch Verlag hatte ich noch hingewollt und zum Unionsverlag. Auf dem Weg klopfte ich bei Antje Kunstmann an, bei BonneVoice und Argon, staunte wie Audible die neue Bridgerton Staffel feiert, die haben einen Kronleuchter über ihren Stand gehängt, der gefühlt so groß ist wie ein Ballsaal. Also nein, nicht der Leuchter, sondern der Stand ist so groß.
Am Gemeinschaftsstand der Schweizer Verlage stöbere ich noch, bei den Österreichern war ich schon, bei Folio, Maro und Aki und Cultur Books halte ich an. Alle sind gut gebucht. Wie wunderbar. Beim Karl Rauch Verlag, der den kleinen Prinzen verlässlich und immer im Gepäck hat rufen gleich zwei Titel laut nach mir Der Schrei im Ozean und Meine Angst und unsere. Spannend welche Themenvielfalt allein dieser Verlag besetzt.
Wie bunt die Buchwelt ist spiegelt sich hier in Frankfurt in Augen und Herzen. Am Ende werden es 3% Fachbesucher mehr gewesen sein als letztes Jahr, gut für die Messe, gut für die Branche. Einzig das Sterben des stationären Buchhandels macht mich traurig. In den letzten fünf Jahren sollen in Deutschland ein Viertel der Buchhandlungen geschlossen haben. Bleibt zu hoffen das Trends wie Book Tok & Co. die Leselust weiter befeuern und gleich welcher der Stars die am Buchhimmel gerade aufgehen mag, mich freut der Facettenreichtum.
So hörte ich heute früh im Bus jemanden sagen, die wirklich bekannten Autoren, also der Fitzek zum Beispiel, kämen ja erst am Wochenende. Tja, was sagen dazu wohl die Caroline Wahl Fans die vor mir gerade den Gang verstopfen weil sie am Stand Der Zeit signiert? Gefühlt jeder will danach noch ein Selfie mit ihr und ich? Traue es mich kaum zu sagen, habe Denis Scheck angequatscht und der Mann war so unfassbar freundlich sich mit mir zu fotografieren. Okay, ich bin mit ihm literarisch auch nicht immer einer Meinung, aber was der so wegliest und sein Händchen für Lyrik Tipps. Liebe ich!
Also gut, mein Rücken! Ich hör’ ja auf dich. Ein Stop noch, weil der muss: Beim großartigen Unionsverlag. Für das Büchergilde Magazin durfte ich den Roman Für kurze Zeit nur hier von María Ospina Pizano aus deren Programm rezensieren, ihr erinnert Euch. Gerne wollte ich schauen was der Verlag mit nach Frankfurt genommen hat. Frau Baumann (so nett), empfiehlt Die acht Leben der Frau Mook. Ist gebongt. Noch ein Buch für den Rucksack. Ich werde berichten.
Der Weg zurück zum Parkhaus ist dann doch lang. Wer kam eigentlich auf die Idee die Busse von Halle 8 aus abfahren zu lassen? Da rennst du gefühlt einmal komplett um den Quark bis Frau an Ort und Platz ist. Als hätt’ man am Ende eines Mesetages nicht bereits genug Meter auf dem Tacho und final das, das hat auch Tradition. Falsches Treppenhaus. Ich such’ mein Auto. Finde es, um mich auf dem Heimweg von Stau zu Stau zu hangeln.
Wie kommt das, das ich komplett im Eimer, mit Beine auf’m Sofa und Schmerztablette intus am Ende trotzdem sag: Auf Wiedersehen Frankfurt, schön war’s mit Dir und bis zum nächsten Mal 2026. Dann wird Tschechien der Ehrengast sein und mir fällt auf, das ich auch zu diesem Land literarisch noch keine Beziehung habe. Genau das ist es. So viel lässt sich literarisch noch entdecken und hier, auf dieser Messe ganz besonderns. Bleibt neugierig, so mache ich das auch und vielleicht treffen wir uns im nächsten Jahr genau hier?!
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