Die Wut verbrennt alles und an Schuld trägt man schwer. Sagt man. Meint man zu wissen. Wut macht blind und Schuld taub? Während die Schuld betäubt, jedes andere Gefühl überlagert, während sie sich in den Vordergrund drängt, sorgt sie dafür, das wir, wie in Momenten der Wut, die Ratio komplett ausblenden und manchmal verstellt sie uns auch den Blick auf die, die uns anvertraut sind und darauf wer wir wirklich sind …
“Es sind immer die Stillen, die man vergisst.”
Textzitat John von Düffel Die Wütenden und die Schuldigen
Die Wütenden und die Schuldigen von John von Düffel
Austherapiert. Das Einzige was jetzt noch half war Fentanyl. Das Sterben eines Großvaters, die Freundschaft zwischen einer Anästhesistin und einer Palliativmedizinerin. Eine rasende Fahrt aufs Land. Der Unterschied zwischen einschlafen und entschlafen. Rasselnder Raucherhusten, Bonnie Tyler im Radio. Ankommen in einem alten Pfarrhaus mit verwildertem Garten. Hinter diesem Staketenzaun gärtnert Gott und ein streunender Kater hat sich kurzfristig selbst eingeladen. Räudig und räuberisch beliefert er den totgeweihten Hausherrn mit Mäusen, denen er das Leben bereits ausgehaucht hat, zeigt dreist, dass er keine Angst hat er vor dem Tod, der sich hier schon in Wartestellung begeben hat.
Ein Rabbi der gleich zwei Wohnungen mit einer Waschmaschine flutet und der die Wut seiner Nachbarin verrauchen lässt. Quarantäneauflagen werden verletzt. Hoher Besuch wird beobachtet. Bodyguards erledigen den Einkauf und eine Wohngemeinschaft auf Zeit gründet sich. In spontan sich ergebenden Gesprächen spiegeln sich Gegenwart und Vergangenheit. Weisen klärende Gedanken in die Zukunft.
John von Düffel, geboren am 20. Oktober 1966 in Göttingen, arbeitet als Dramaturg an deutschen Bühnen und als Schriftsteller. So verfasste er u.a. den Bühnentext des Musicals “Der Schuh des Manitou”. Im Jahr 2006 gehörte er der Jury zur Verleihung des Deutschen Buchpreises an. Bislang habe ich nur eine Erzählung von ihm gelesen, sein Hotel Angst, die mir sehr gefallen hat. Zeit zu testen ob er mich noch einmal würde abholen können. Diesmal mit einem Roman, seinem aktuellen. Sprachlich bin ich schon nach den ersten Sätzen wieder bei ihm und es ist angenehm diesmal sogar seine Stimme im Ohr zu haben.
Dies dank eines brandneuen Hörbuch-Labels. DuMont audiobook heißt es, und die erste ungekürzte Romanlesung die vom Band lief, durfte der Autor, in diesem Fall John von Düffel, selbst einlesen und von Düffel besteht diese Feuertaufe mit Bravour. Er kennt seinen Text, wer könnte ihn auch sonst besser kennen? Unaufdringlich und mit einer sehr eigenen Satzmelodie trägt er ihn vor, mit reichlich Kunst- und Betonungspausen, die dafür sorgen das die Sätze einsinken können und haften bleiben.
Schreiben kann er aber auch, der Herr von Düffel, und beschreiben. Über seine Ausführungen die hier u.a. ein Pop-Art-Gemälde betreffen, welches ein männliches Genital darstellt, mag ich nicht ins Detail gehen, er kann das und er tut es auch. Ich erwische mich beim Kopfschütteln, lausche seinem Augenzwinkern.
Erzählen tut er episodenhaft, wirft gleich zu Beginn jede Menge Namen in den Romantopf, der wird gut umgerührt und ich beginne mich sogleich gedanklich zu sortieren.
Seine Geschichte lässt er im Kontext der Pandemie u.a. in Berlin spielen. Mundschutz, Quarantänen, der Umgang mit Isolation, gehören bei ihm wie selbstverständlich zum Geschehen. Ich finde es wichtig, dass auch das eine Rolle spielen darf, viele Gegenwartsromane, auch Fernsehserien blenden das derzeit einfach aus. Zeigen eine pandemiefreie Welt. Wir hoffen alle, das die uns auferlegten Einschränkungen bald komplett verschwunden sein werden, wenn die Literatur sie jedoch nicht aufzeichnet, werden wir uns irgendwann nicht mehr erinnern wie es war. Wie es sich angefühlt hat, als einem der Kontakt zu einem Angehörigen untersagt wurde der im Sterben lag. Wie es war um Hoffnung zu ringen. Ich bin mir fast sicher, die nächste Generation wird ungläubig die Augenbrauen hochziehen, wenn sie davon liest oder hört. Es sich nicht vorstellen können, dass man sich über Jahre nicht mehr die Hand gegeben hat um sich zu begrüßen. Man vor Umarmungen Angst hatte. Von Düffel siedelt dabei zeitlich im ersten Lockdown, lässt ihn zwar nicht die Hauptrolle übernehmen, aber es wird sehr deutlich, durch das Agieren und Fühlen seiner Figuren, was diese Zeit gerade auch mit den kreativen Berufen gemacht hat. Stillstand heißt Rückschritt für viele von ihnen, die Welt, die Teil ihrer Identität ist, in der sie zu Hause waren sperrt sie plötzlich aus. Kein Publikum mehr das man spüren kann. Keine Anerkennung aus der man Kraft zieht.
Sich erkennen in der Wut eines anderen wie in einer Spiegelscherbe. Sich verlieben und erleben wie diese Liebe zerbricht. Eine Beichte ohne Buße führt zu einer Erkenntnis. Ziel und Antriebslosigkeit zu einer Trennung.
Wenn das Schicksal uns den Spiegel vorhält was sehen wir dann? Wut, Schuld, Trauer oder Angst? Ein Jurist würde sagen es kommt darauf an und wahrscheinlich stimmt das auch. Denn um nach einem Schicksalsschlag wieder bei sich anzukommen heißt es alle diese Phasen zu durchleben und hoffentlich kann man sich am Ende eines, wenn vergessen nicht geht: Vergeben. Vielleicht ist das ja Schwierigste überhaupt, was wir auf einem Lebensweg zu lernen haben, wie man vergibt. Sich und anderen.
In dieser Geschichte ist die Lernkurve die die Figuren diesbezüglich nehmen nicht immer eine steile, mühsam und steinig ist ihr Weg und es dauert bis es dämmert. Ich mag das so mitgenommen zu werden, zu erkennen woran man sein Herz hängen kann. Ich durfte beim Scheitern und bei Fehlern dabei sein, konnte mitfühlen, mich freuen schimpfen, wundern und anerkennen, in dieser ungekürzten Hörbuchfassung, wo sich rund zehn Stunden lang, Nachdenklichkeit mit poetischen Satzbildern mischt.
Was also ein Rabbi auf Zeitreise, guter Kaffee, Plätzchen nach Omas Rezept, bunte Pillen und die Sucht nach anhaltendem Rausch, eine Kreuzfahrt in den hohen Norden, Eisbären und ihre Wächter mit dem Leben einer Ärztin der Berliner Charité zu tun haben, das lässt sich hier alles entdecken. Kurzweilig und unterhaltsam. Ein humorvoller Grundton und Wortspielereien zeichnen diese Geschichte aus. Trocken ist er dieser Humor, bisweilen staubtrocken, das Roman-Personal ist ein buntes Völkchen, mal kunststudentisch kreativ, mal bekifft oder streitlustig. Eloquent und sehr genau beobachtend lässt von Düffel seine Protagonisten agieren. In manchen Szenen überzeichnet er sie, dann wird er mir eine Spur zu pathetisch, bedient einige Klischees, dies schließt auch seine Figurenzeichnung mit ein.
Dafür setzt von Düffel aber Kapitelschnitte die überaus geschickt die Dramaturgie seiner Geschichte unterstreichen, er blendet ab um ein neues Bild aufzuziehen, eine andere Sequenz, man selbst hastet weiter, ist und bleibt gespannt, will doch mehr erfahren von Problemvermehrung und Problemvermeidung, Leichtsinn und krimineller Energie. Will dem Betäubungsmittelgesetz einen Schritt voraus sein.
Ein verlorener Koffer, Schuld die Eltern ihren Kindern übertragen, unbeabsichtigt. Nein, sogar die besten Absichten hatten sie dabei im Sinn, wollten beschützen. Kinder, die diese Schuld übernehmen und ein Leben lang damit ringen. Gleich zwei grundunterschiedliche Beispiele werden hier skizziert und treffen auf die Wut derer, die jetzt soweit sind sich Erziehungsfehler und so manchen anderen mehr einzugestehen.
Das Ende der Geschichte hat dann seine Heldin geklärt und es geschafft, mich noch auf dem letzten Meter zu verwirren. Hochphilosophisch löst von Düffel auf und verliert mich dabei als Leserin ein Stück weit, weil ich den Gedankengängen seiner Protagonistin nur noch bedingt folgen kann und auch wenn ich es mag das nicht immer alles zu Ende erzählt ist, haben mir ein paar Bindeglieder in dieser Geschichte gefehlt, hat es viele offene Enden, die sich verlieren zwischen Wut und Schuld. In Summe bin ich aber bei ihm, seinen Helden und Lebensblitzlichtern. Eins führt immer zum anderen. Ist es nicht immer so?
Mein Dank geht an DuMont audiobook für dieses Besprechungsexemplar. Ich freue mich auf weitere Produktionen.
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