Goethe tat es, Puschkin auch, die Finnen tun es, Thekla hat es von Paula und die hat es von Chris, ihre Großmutter war eine Kanalschwimmerin. Die Rede ist vom Schwimmen im Winter. Draußen. Mit brennenden Gliedmaßen, zwischen dünnem Eis, das die eigene Körperwärme noch zu schmelzen vermag.
Schwarzes Wasser, aber klar. Blätter darin. Das Laub eines vergangenen Jahres. Auf dem Grund. Mit bloßen Füßen am Ufer starten, dann musste man nur noch den einen Schritt zu weit gehen.
Der Kälteeffekt als Askese. Ein See als Pupille, Wolken spiegeln sich darin, davon schreibt Marion Poschmann. Sie zeichnet ganze Wortgemälde, wie nur sie es kann. Abtauchen möchte man, zur Ruhe kommen, für sich sein, so wie ihre Schwimmerin in diesem Winter. Die dort startet, wo die Stille beginnt.
Ohne Neopren, nach dem Sommer, dann im Herbst und im Winter, einfach weiter schwimmen. Unser Körper ist ein Wunderwerk. Er passt sich an, hält aus, hält stand. Im zarten Schneeregen auf Konventionen pfeifend.
Mit bloßen Händen kann man sich nicht am Feuer festhalten. Brennende Kerzen am Ufer erinnern an Unfälle, an Badetote. Ein Tiger. Sinnbild einer allgegenwärtign Gefahr. Yoga und geistige Hitze. Wandern im eigenen Atem. Die Tigerübung. Der Versuch dem eigenen inneren Gitter entfliehen.
Marion Poschmann, geboren am 15. Dezember 1969 in Essen, Autorin, Lyrikerin, Stadtschreiberin, dies ist nach Die Kieferninseln und der Chor der Erynnien mein dritter Text von ihr und nicht mein letzter. Mehr Gedichte mag ich noch von ihr lesen, weil es ihr Ton und ihre Sprache sind, die mich vor allem anderen faszinieren und die Dichterin, die in ihr steckt stets hervorblitzen lassen. Auch bei ihren Langtexten. Gerne verlinke ich Euch am Ende des Beitrags meine bisherigen Rezensionen noch einmal.
Bilder entstehen diesmal in meinem Kopf. Bilder von klaren Tagen. Von der herausfordernden Schönheit winterlicher Kälte. Von gefräßigem Frost. Vom Glitzern. Vom Zittern. Davon schreibt Marion Poschmann. Auch.
Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen, verwischen sich mit jedem Kraulschlag. Unsere Winterschwimmerin ist unterwegs zu sich, begegnet einem Tiger und nur ganz vielleicht ist er nicht real. Ausgebüchst könnte er sein. Aus einem Tierpark in der Nähe. Nach einem Brand. Egal. Diese Doppelbödigkeit hat mir sehr gefallen, nicht alles muss ich fassen können und begreifen. Zu schön sind Klang und Ton dieser Erzählung. Wie Marion Poschmann dabei im jeweiligen Moment ist und bleibt habe ich so sehr gemocht. Ihren beinahe ätherisch schönen Text.
Wie mich diese Geschichte aufgehoben und getragen hat, wie auf Flügeln. Wild und weich. Herausgehoben aus der Welt. Die still steht.
Nasser Sand und aufgewiegelte Möwen. Wind an Wind gelehnt. Lachend eintauchen. Sich in der Kälte klären. Dem Tiger begegnen. Verbunden durch ein unsichtbares Band. Es ist nicht zu fassen.
So wunderbar genau beobachtet Marion Poschmann und jedes Detail kleidet ihren Text. Steht ihm, macht ihn besonders. Jede ihrer achtzig Seiten in der Printversion, jede der einhundertsieben Minuten der Hörbuchfassung, die ich in diesem Fall von Herzen gerne empfehle.
Verslegende. Was für ein Untertitel. Eine in Versen abgefasste Legende. Eine die sich auch noch reimt am Ende. Und wie sich diese Satzenden aneinander schmiegen. Die vom Tiger und der Winterschwimmerin. Ihr werdet schon sehen. Oder hören.
Wie auch immer. Die wunderbar einfühlsame Lesung von Marit Beyer jedenfalls wirkt wie ein Streicheln. Eines, das die Wortwahl von Poschmann umschmeichelt und sie eisfunkelnd strahlen lässt. Was für ein Hochgenuss! Bitte selbst erleben. Unbedingt!


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